Es war das größte Narrativ der Pandemie, fast weltweit verkündet: Mit der Offenlegung der komplett entschwärzten RKI-Files wird die „Pandemie der Ungeimpften“ enttarnt – als Lüge.
Behördenmitarbeiter sind nicht dafür bekannt, besonders spritzig zu formulieren. Wer sich also durch die seit März veröffentlichten Protokolle des Corona-Expertenrats des Robert-Koch-Instituts gewälzt hat, der fand darin bisher nicht unbedingt den Stoff, der einem den Schlaf raubt. Zumindest nicht sprachlich.
Die im März 2024 nach einem jahrelangen Rechtsstreit von dem Magazin Multipolar mit den Behörden freigeklagten sogenannten RKI-Files waren eher dazu angetan, inhaltlich überprüfen zu können, wann das RKI als Bundesbehörde anderer Meinung war als die Politik zu Beginn der Pandemie. Und an welchen Stellen es sich offenbar dazu genötigt sah, diese seine eigene fachliche Auffassung – bezüglich Corona-Maßnahmen, bezüglich Impfung – binnen Tagen oder Wochen zu ändern oder anzupassen, wenn neue Erkenntnisse vorlagen. Oder auch sobald die Politik das offenbar so wollte.
Die neuen Daten sind brisanter als die bisherigen
Es gibt einige Hinweise auf Letzteres in den – bisher mühsam entschwärzten – Protokollen bis Mitte 2021. Zum Beispiel hieß es darin noch ein halbes Jahr nach Einführung der Maskenpflicht: „Es gibt keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“
Dass Schulen das Infektionsgeschehen nicht maßgeblich vorantreiben, war laut RKI-Protokollen frühzeitig bekannt. Trotzdem wurden die Schulen in Deutschland monatelang geschlossen. Auch dass der Impfstoff Astrazeneca „weniger perfekt“ sei, war dem Robert-Koch-Institut und dem Corona-Krisenstab schon Anfang Januar 2021 bekannt. Trotzdem wurde das Mittel in Deutschland – auch nach Bekanntwerden schwerster Nebenwirkungen – noch viele Monate lang verimpft.
All das wirft kein besonders gutes Licht auf die Arbeit der Politik in dieser Zeit, denn wenn das eigens zur fachlichen Beratung aufgestellte Institut viele der zentralen Corona-Maßnahmen selbst angezweifelt hat, woher kam dann der unbedingte Wille zur Umsetzung, teils noch deutlich stärker oder länger als in anderen Ländern?
Doch viele trösten sich bis heute über diese und weitere Missstände hinweg, indem sie sich sagen, dass Deutschland doch insgesamt noch recht gut durch die Pandemie gekommen sei. Und dass es nun auch mal gut sein müsse mit der Aufarbeitung.
Was nun aber ein Team um die freie Berliner Journalistin Aya Velazquez herausgefunden hat, das müsste eigentlich einschlagen wie eine Bombe in den politischen Betrieb.
Eine Person, die oder der damals beim RKI gearbeitet hatte, hat sich als Whistleblower an die bei X stark engagierte junge Journalistin gewandt und ihr sämtliche Daten der RKI-Protokolle für die gesamte Zeit der Pandemie ungeschwärzt zur Verfügung gestellt. Also auch die Teile, die bisher nicht veröffentlicht wurden, nämlich seit Karl Lauterbach (SPD) Gesundheitsminister ist. Genauer gesagt seit Mitte 2021, da war es noch Jens Spahn (CDU).
Die Experten fragen nach, ob sie den Irrtum richtigstellen sollen
Und daraus ergibt sich nun, etwa aus dem Protokoll vom 5. November 2021, dass die Experten des Gremiums höchstselbst berichteten:
„In den Medien wird von einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt. Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?“
Offenbar wurde diese Frage verneint. Denn im Herbst und Winter 2021 war das Narrativ von der „Pandemie der Ungeimpften“ in aller Munde. Vorneweg steigerte etwa der damalige Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, nur drei Tage später in der ARD bei Anne Will das Narrativ sogar zu einer „Tyrannei der Ungeimpften“ und verkündete ein Jahr später noch in einem Interview, dass er bei dieser Formulierung bleibe. Damit schienen alle Dämme gebrochen zu sein, denn wenn ein solch hochrangiger Ärztefunktionär das unwidersprochen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen so einschätzen durfte, dann mussten sich andere Mediziner, Politiker, Journalisten und der Nachbar von nebenan auch nicht mehr damit zurückhalten, die Schuld für das Anhalten von Maßnahmen und Pandemie wütend auf Ungeimpfte zu schieben.
Diese Erzählung, dass die Ungeimpften schuld an der Pandemie seien, hielt sich sehr lange in Deutschland, manche glauben heute noch daran. Mit Herausgabe der ungeschwärzten und vollständigen RKI-Files muss dieser Glaube hinfällig sein. Es gibt nun ein hochoffizielles Dokument darüber, das sich jeder herunterladen, durchlesen und auch nach weiteren Widersprüchen durchforsten kann, in dem eindeutig von behördlicher Seite festgehalten wird, dass es diese Pandemie der Ungeimpften nie gegeben hat.
Warum und von wem dieses starke und mächtige Narrativ trotzdem überhaupt ausgegeben und so wirksam vorangetrieben wurde, das wird noch Teil der Pandemie-Aufarbeitung sein müssen.
Denn es handelt sich dabei nicht eben um eine Kleinigkeit. Aus dieser – nun offensichtlich falschen – Annahme, dass die Ungeimpften die Pandemie vorantreiben würden, entwickelten sich weitere Maßnahmen wie 2G und 3G und auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht sowie die Duldungspflicht bei der Bundeswehr sind im Endeffekt darauf zurückzuführen. Noch heute werden unter diesen Annahmen Prozesse geführt. Beinahe hätte es in Deutschland eine Impfpflicht gegen Covid-19 gegeben – obwohl, wie man inzwischen auch weiß, führende Politiker wie etwa Lauterbach damals schon von schweren Impfschäden wussten.
Eine politische Bombe und viele weitere Details zu Corona-Maßnahmen
Im Netz werden aufgrund dieses neuen Umstandes nun schon Stimmen laut, die Ampel müsse zurücktreten. Denn wer wissentlich diese folgenreichen Falschinformationen verbreiten oder zumindest gewähren ließ, der handele erwiesenermaßen gegen die Interessen der Bevölkerung.
Soweit wird es wohl nicht kommen. Dennoch dürften sich diejenigen durch diese neuen Erkenntnisse gestärkt sehen, die zuletzt immer lauter einen Untersuchungsausschuss forderten.
Denn es gibt – außer dieser zentralen und wegweisenden Erkenntnis – noch viele weitere Details in den neuen RKI-Files, die von Interesse sein dürften. Davon berichteten auf einer Pressekonferenz in Berlin am Dienstagvormittag Aya Velazquez, die die neuen Files offenbar schon seit Mai in Händen hielt, sowie Bastian Barucker, der ebenfalls unter anderem auf X viele Aufarbeitungstexte veröffentlicht, und der bekannte Maßnahmenkritiker Stefan Homburg, ehemals Professor für öffentliche Finanzen aus Hannover.
Die drei haben sich offenbar seit Wochen und Monaten durch die inzwischen nun über 4000 Seiten Protokolle gearbeitet, zu denen außerdem zehn Gigabyte Zusatzmaterial gehören. Sie haben die gesamten Files mit dem heutigen Tage der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Und sie haben sich aufgeteilt, um nach bestimmten Themen in den Files zu suchen.
Warum nahm Drosten sein Paper zurück?
Aya Velazquez etwa hat sich unter anderem auf Christian Drosten spezialisiert. Der Charité-Virologe, der bis zur Mitte der Pandemie als großer Aufklärer durch viele Medien gereicht wurde und sich dann zurückzog, um aktuell mit einem Buch über die Pandemie wieder von sich reden zu machen, war in großen Teilen der Bevölkerung sehr beliebt.
Nun stellt sich heraus, dass in den RKI-Protokollen etwa vom Juli 2020 steht, dass ebenjener Drosten seine eigene Forschung (ein Paper) zurückgezogen hat, „da ungezielte Testung im Text als nicht sinnvoll betrachtet wird und dies dem Regierungshandeln widerspricht“.
Aya Velazquez hält das für „Wissenschaftsbetrug“ und für „Verschwendung von Steuergeldern“. Sie hat außerdem aus den Files herausgelesen, dass die Forderungen nach Booster-Impfungen nicht aus der Wissenschaft gekommen seien, sondern aus der Politik und auch etwa von Pfizer selbst.
Bastian Barucker hat sich auf die Rolle von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie spezialisiert und aus den neuen Files herausgelesen, dass das RKI schon im Januar 2020 wusste, dass Corona für Kinder kaum eine Gefahr darstelle, sogar noch weniger als bei üblichen Atemwegserkrankungen – und sie trotzdem später durch Schulschließungen, verpflichtende Masken und Impfungen teils entgegen Empfehlungen der Stiko gegängelt worden seien, „um andere zu schützen“. Das sei ein einzigartiger Vorgang in der Medizinhistorie.
Und schließlich machte Stefan Homburg auf der Pressekonferenz deutlich, dass aus den neuen Files besser denn je herausgelesen werden könne, wie unwohl sich das RKI selbst vor allem zu Beginn in Bezug auf viele Maßnahmen gefühlt habe, und wie stark es daran gezweifelt habe, ob der Gesundheitsminister wirklich weisungsbefugt sei. „Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt“, heißt es etwa im Protokoll vom 10. September 2021.
Homburg hat außerdem recherchiert, dass das RKI schon Anfang 2021 von den schweren Impfnebenwirkungen durch etwa Astrazeneca wusste und trotzdem kurz darauf die oberste Politik-Riege, bestehend aus Merkel als damalige Kanzlerin, Spahn als damaliger Gesundheitsminister, Lauterbach als Gesundheitsexperte, der damalige Oppositionsführer Olaf Scholz sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich mit just diesem Stoff in der Öffentlichkeit kurz darauf impfen ließen. Und all dies von der Ärztezeitung, der Apothekerzeitung und dem Spiegel werbewirksam nach außen kommuniziert worden sei.
Homburg spricht von Täuschung der Öffentlichkeit
Homburg dazu am Dienstag: „Es ist meines Erachtens vollkommen fernliegend, wenn eine Gesundheitsbehörde diese Gefahren kennt, dass sich dann gerade diese Leute mit Astrazeneca impfen lassen. Eine naheliegende Interpretation ist, dass selbst in der schlecht informierten Normalbevölkerung die Bereitschaft auf null war. Die Politik hatte aber riesige Lieferverträge abgeschlossen und fürchtete, dass über Lieferbestände und verschwendete Steuerbeträge berichtet wird. Und so hat man die Leute ins Messer laufen lassen.“
Erst zwei Jahre später habe das ZDF über Fälle wie den des Augsburger Anwalts Christian Pülz berichtet, dem nach der Impfung mit Astrazeneca wegen Sinusvenenthrombose eine künstliche Schädeldecke eingesetzt werden musste und dessen Leben seither zerstört ist. Aber da sei es für viele schon zu spät gewesen.
Aya Velazquez sagte abschließend, dass die Politik die Bevölkerung nicht nur vor einem Virus, sondern auch vor möglichen Schäden von Medikamenten zu schützen habe. Und dass der oder die Whistleblowerin „aus Gewissensgründen“ die Daten zur Verfügung gestellt habe, um eine vollumfängliche Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen zu ermöglichen.
Aus dem Publikum meldete sich dazu ein Zuschauer aus Berlin und bat Verfassungsschutz, Politik und Medien darum, sich nun nicht mehr an den Personen abzuarbeiten, die diese Kritik äußern – sondern sich endlich mit den Inhalten der Kritik zu beschäftigen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb am Dienstagnachmittag auf X zu einem Vorbericht der Berliner Zeitung zu den neuen Files: „Das RKI hatte ohnedies vor, mit meiner Zustimmung, die RKI-Files des Corona-Krisenstabs zu veröffentlichen. Jetzt geschieht es ohne dass die Rechte Dritter, auch Mitarbeiter, vorher geschützt worden wären. Zu verbergen gibt es trotzdem nichts.“