Rot-Rot-Grün in Bremen verfolgt einen überaus migrationsfreundlichen Kurs, entsprechend groß ist der Andrang. Doch jetzt schlägt Innensenator Mäurer von der SPD Alarm: Raubüberfälle „von jungen Männern aus Nordafrika“ stiegen massiv an, die Hansestadt sei „völlig überfordert“. Die Linke schäumt.
Er ist erst einmal in den Urlaub gefahren. Ulrich Mäurer (SPD), seit 16 Jahren Innensenator in Bremen, darf ein wenig Luft holen, nachdem er seinem Ärger über die ungesteuerte Zuwanderung freien Lauf gelassen hatte. Die Hansestadt, so der 73-Jährige vor seiner Abreise im „Weserkurier“, sei „wie die Mehrzahl der Städte und Kommunen völlig überfordert mit der Aufnahme so vieler Menschen. Viele Probleme gab es schon vorher, sie haben sich durch die massive Zuwanderung aber verschärft.“ Dann listete Mäurer auf, was alles schiefläuft.
Es gebe eine Krise auf dem Wohnungsmarkt, günstige Wohnungen seien Mangelware. Dazu „enorme Schwierigkeiten“ im Kita-Bereich, in den Schulen, bei Ausbildung und Arbeit. Die Zuwanderung, so Mäurer weiter, bedeute für die chronisch klamme Hansestadt „enorme finanzielle Belastungen“. Und Kriminalität. „Wir haben“, klagt der Senator, „seit Sommer 2023 einen massiven Anstieg von Raubüberfällen, den wir eindeutig zuordnen können. Die Mehrzahl dieser Taten geht auf das Konto von jungen Männern aus Nordafrika.“ Mäurer plädiert für die Einrichtung von Asylzentren an den deutschen Grenzen, für Abschiebungen, auch nach Syrien und Afghanistan, und kündigt die Schaffung einer zentralen Abschiebebehörde an. „Wenn man die Probleme nicht löst“, so Mäurer, „muss man sich nicht wundern, dass sich immer mehr Menschen von unserem demokratischen Gemeinwesen abwenden.“
Töne, die selten sind im kleinsten Bundesland, dessen rot-grün-rote Koalition noch vor eineinhalb Jahren einen überaus migrationsfreundlichen Koalitionsvertrag unterzeichnet hat. Bremen stand über Jahre in dem Ruf, lieber einen Asylbewerber ohne Bleibeperspektive zu viel als einen Schutzbedürftigen zu wenig aufzunehmen. Entsprechend groß war der Andrang, gerade der jungen, zumeist männlichen, unbegleiteten Migranten. Aus deren Reihen rekrutiert sich ein Teil jener von Mäurer erwähnten Straßenräuber, die die Bremer Polizei mittlerweile recht erfolgreich mithilfe einer Sonderkommission aufspürt. 1000 Ermittlungsverfahren, 350 Tatverdächtige, 66 Haftbefehle. Name der Spezialeinheit: „Soko Junge Räuber“.
Linke überzieht Senator mit Kritik
Die Ersten, die die Analyse des Senators öffentlich aufs Korn nahmen, waren die Koalitionspartner von der Linkspartei. Noch am Tag der Veröffentlichung des Mäurer-Interviews verfassten die beiden Vorsitzenden der Linksfraktion in der Bürgerschaft, Sofia Leonidakis und Nelson Janßen, einen Brief an die Mitglieder des hiesigen Koalitionsausschusses. Darin werfen sie Mäurer vor, die „vereinbarte Linie einer humanitären Migrations- und Flüchtlingspolitik“ zu untergraben. Die Aussagen des Senators seien „weder vom Text noch vom Geist des Koalitionsvertrags gedeckt“. Zwar droht die Linke nicht mit einem Bruch der Koalition. Allerdings, so formulieren es die Fraktionschefs, sehe man „in der Innenpolitik keine Grundlage, Vereinbarungen einzuhalten, die repressiven Charakter haben und von uns als Kompromisse in den Koalitionsverhandlungen akzeptiert wurden“.
Auch bei den Sozialdemokraten trifft Mäurers Zustandsbeschreibung auf Kritik. Intern soll es dabei harsch zur Sache gegangen sein. Für die Öffentlichkeit formulieren sowohl Bürgermeister Andreas Bovenschulte als auch die für Integration zuständigen Fachsenatorinnen vorsichtiger. So mahnt Bovenschulte die Koalitionspartner, nicht jede Äußerung des Innensenators auf die Goldwaage zu legen, verwarnt Mäurer jedoch gleichzeitig unmissverständlich: „Was wir nicht gebrauchen können, ist ein rhetorisches Anheizen der Debatte, weil das kein einziges Problem löst, sondern nur das gesellschaftliche Klima vergiftet. Das hilft niemandem weiter.“
Schulsenatorin Sascha Aulepp räumt zwar ein, dass Organisation und Finanzierung von Schulplätzen in Zeiten steigender Kinderzahlen „anspruchsvoll“ seien, schreibt Mäurer jedoch ins Stammbuch, dass „eine Überforderungsdebatte auf dem Rücken der zugewanderten Kinder und Jugendlichen zu führen, der Sache absolut nicht gerecht“ werde. Sozialsenatorin Claudia Schilling weist darauf hin, dass sich die aktuellen Anstrengungen zur Integration von Zuwandern mit Blick auf den absehbaren Mangel an Arbeitskräften lohne. „Wir sehen die Zuwanderung daher nicht nur als eine humanitäre Verpflichtung und als Herausforderung an, sondern auch als Chance für die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Bundeslandes.“
Bemerkenswert: Inhaltlich stellen sich sowohl Bovenschulte als auch der grüne Koalitionspartner auf Mäurers Seite: „Im Kern ist es doch so“, sagt der Bürgermeister, „dass Bremen und Bremerhaven wie fast alle Städte in Deutschland bei der Aufnahme und Integration von geflüchteten Menschen vor sehr großen Herausforderungen stehen und dass zur Bewältigung dieser Herausforderungen eine konsequentere Steuerung und Verteilung von Zuwanderung notwendig ist.“
Michael Labetzke, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sieht in Mäurers Äußerungen eine zwar zugespitzte, aber auch zutreffende Beschreibung der Lage. Es sei doch „kein Geheimnis“, so Labetzke, dass sich die Hansestadt mit der Aufnahme zu vieler unbegleiteter Minderjähriger übernommen habe. Der Senat sei deshalb vor einem Jahr auf Gegenkurs gegangen. Am Ende komme es darauf an, dass man sich intensiv um junge Migranten kümmere. „Wenn ich Menschen gerade in der Ankommensphase nicht ausreichend betreue, dann kann es passieren, dass die Situation aus dem Ruder läuft. Das ist in Bremen passiert.“
Korrespondent Ulrich Exner ist bei WELT vor allem für die norddeutschen Bundesländer zuständig.