Bis Mittwoch planen die Ampel-Spitzen mehrere Krisentreffen. Die FDP lässt die Zukunft der Koalition offen, Kanzler Scholz gibt sich energisch. Vizekanzler Habeck fordert mehr konstruktive Zusammenarbeit.
Im Streit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP sind die Wogen noch immer nicht geglättet. Um Wege aus der Regierungskrise auszuloten, sind Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstagmorgen erneut zu einem Gespräch zusammenkommen.
Bilder der Deutschen Presse-Agentur zeigen FDP-Chef Lindner, wie er am frühen Dienstagmorgen vor dem Kanzleramt vorfuhr. Bei dem Termin soll weiter geklärt werden, wie die Ampelkoalition in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wieder auf eine gemeinsame Linie kommen kann. Ein ähnliches Treffen der Ampel-Spitzen hatte es bereits am Montag gegeben.
Zuvor hatte Vizekanzler Habeck angesichts der US-Wahl und des Ukraine-Kriegs zum Durchhalten aufgerufen. „Dies ist die schlechteste Zeit, eine Regierung platzen zu lassen und eine Leichtfertigkeit verbietet sich dort“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“. Die Ampel habe es immer wieder hinbekommen, in schwierigen Situationen auch Beschlüsse zu fassen. Aber: „Diese Koalition wird auch keine Liebesbeziehung mehr werden.“
Das Milliardenloch im Bundeshaushalt muss bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses gestopft werden, die am 14. November geplant ist. Habeck sagte, er halte eine Einigung über den Bundeshaushalt 2025 für möglich.
Die freigewordenen Intel-Milliarden, die eigentlich im Klima- und Transformationsfonds vorgesehen seien, könnten einen Beitrag leisten, um die Haushaltslücke zu reduzieren, so Habeck. Das ist ein Entgegenkommen in Richtung Lindner.
Nach diesem Zugeständnis erwartet der Wirtschaftsminister ein Entgegenkommen der anderen Seite. „Nun erwarte ich allerdings auch, dass die anderen auch im eigenen Bereich mal Vorschläge machen und nicht immer nur – und das ist ja das schlechteste Spiel – immer den anderen sagen, was sie von ihnen erwarten“, sagte Habeck in den ARD-„Tagesthemen“. Er habe jetzt vorgelegt.
Am Mittwoch kommt mit dem Koalitionsausschuss dann eine größere Runde zusammen, der auch die Partei- und Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP angehören.
Scholz fordert „seriöses Arbeiten“
Am Montag hatte Bundeskanzler Scholz von den Koalitionspartnern Kompromissbereitschaft im Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik verlangt. „Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderung bewältigen, vor denen wir stehen“, sagte Scholz am Montag in Berlin. Nötig sei dazu „Pragmatismus“ nicht „Ideologie“.
Die Aufgaben seien lösbar. „Dazu muss man seriös arbeiten“, betonte der Kanzler bei einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. „Das ist das, was ich von allen erwarte.“
Angesichts der Auseinandersetzungen um die Wirtschaftspolitik und den Bundeshaushalt fürs kommende Jahr hat am Montag der engste Führungskreis der Ampel-Koalition beraten. Kanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner kamen im Kanzleramt in Berlin zusammen, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Über konkrete Ergebnisse wurde nichts bekannt.
Bei einem Treffen der NRW-Bauindustrie am Montagabend in Düsseldorf ließ Lindner allerdings wissen, dass es sich um „Tage bedeutsamer Entscheidungen“ handelt. Er habe sich geschworen, dass Deutschland wieder „ein Symbol für den Mut zur Veränderung sein muss“. Deutschland leiste sich überbordende Regulierung, einen Sozialstaat, der Untätigkeit toleriere, verzichte auf Atomkraft und befinde sich auf einem „weltweit einmaligen Sonderweg in der Energie- und Klimapolitik“.
Die Umsetzung des Klimaschutzes in Deutschland dürfe kein abschreckendes Beispiel für die Welt werden. Die Bundesrepublik verliere an Wettbewerbsfähigkeit. Der Anspruch müsse aber ein Spitzenplatz sein. „Ich glaube, dass wir Richtungsentscheidungen für unser Land treffen müssen“, betonte der FDP-Politiker.
Habeck moniert „schlechte Tage für Deutschland“
Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck machte bei einem kurzen Presseauftritt am Montag deutlich, er halte eine Einigung über den Bundeshaushalt 2025 für möglich. Zugleich haderte er mit dem Auftreten der Ampel-Koalitionäre.
„Ich verstehe alle Bürgerinnen und Bürger, die mit Kopfschütteln auf das Regierungstreiben schauen.“
Robert Habeck, Wirtschaftsminister
„Die letzten Tage waren schlecht für Deutschland und sie haben nicht dazu beigetragen, das Vertrauen in die Bundesregierung zu stärken“, sagte der Minister. „Ich verstehe alle Bürgerinnen und Bürger, die mit Kopfschütteln auf das Regierungstreiben schauen.“
Die weiteren Gespräche sollen bis Mittwochabend stattfinden. Dann trifft sich der sogenannte Koalitionsausschuss aus den Spitzenvertretern der Ampel aus Regierung, Parteizentralen und Fraktionen. Das Ziel des Kanzlers sei laut „Spiegel“, vorher Klarheit darüber zu schaffen, „dass die Ampel weiterhin zusammenbleibt“.
FDP schließt Ampel-Kollaps nicht aus
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schließt einen Kollaps der Ampel-Regierung in dieser Woche nicht aus. Auf die Frage, ob mit dem Koalitionsausschuss am Mittwoch Schluss sein könnte, sagte er am Montag: „Das wird man sehen.“ Nötig sei eine Grundsatzentscheidung zur Wirtschaftspolitik.
FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner habe konkrete, umsetzbare und finanzierbare Vorschläge für einen Kurswechsel unterbreitet, sagte Djir-Sarai. Diese Ideen sollten auch die Grundlage für die gemeinsamen Diskussionen am Mittwoch mit SPD und Grünen bilden und dort bewertet werden. Bis dahin solle es keine Schnellschüsse geben, hätten sich Kanzler Olaf Scholz und Lindner versichert.
Scholz rechnet mit Ampel-Regierung bis zur nächsten Wahl
Koalitionsregierungen seien „manchmal etwas herausfordernd“, räumte Scholz am Montag ein. „Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderung bewältigen, vor denen wir stehen“, betonte der SPD-Politiker. Und die Regierung sei „gewählt im Amt und wird ihre Aufgaben erledigen“. Darauf bestehe er. Grundlage für die Arbeit der Regierung sei dabei der Koalitionsvertrag, der von allen Seiten verhandelt worden sei.
Zudem habe die Regierung im Sommer den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr auf den Weg gebracht, sagte Scholz weiter. „Jetzt geht es darum, die notwendigen Entscheidungen zu treffen angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen, aber auch der Notwendigkeit, dem Parlament ein paar zusätzliche Vorschläge zu machen für den endgültigen Abschluss des Haushalts für das nächste Jahr.“
Zuvor erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, dass die Ampel-Regierung bis zum regulären Wahltermin am 28. September 2025 zusammenhalten wird. „Ich gehe davon aus, dass diese Regierung konstruktiv bis zum regulären Termin der Bundestagswahl im nächsten Jahr zusammenarbeiten wird“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er betonte auf Nachfrage, dass dies auch die Meinung des Kanzlers sei.
Die CDU forderte am Montag angesichts der verschärften Regierungskrise erneut ein rasches Ende der Koalition von SPD, FDP und Grünen. „Die Ampel muss jetzt staatspolitische Verantwortung übernehmen, nämlich die Sache zu beenden“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Deutschland brauche einen Neustart, der nur über eine neue Regierung gehe. Daher müsse es so schnell wie möglich zu einer Neuwahl kommen.
Nach Aussage von SPD-Chefin Saskia Esken ist die SPD auch für den Fall eines Koalitionsbruchs aufgestellt. „Wir sind als SPD bereit, mit der Situation, so wie sie sich entwickelt, auch umzugehen, und wir sind darauf auch gut vorbeireitet“, sagte Esken in Berlin auf die Frage, ob die SPD auch zum Anführen einer Minderheitsregierung bereit wäre. „Unsere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für dieses Land und die Regierung auch weiterzuführen, so wie sie jetzt aufgestellt ist, ist groß“, erklärte Esken.
„Ich bin der Kanzler. Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderung bewältigen, vor denen wir stehen.“
Olaf Scholz, Bundeskanzler
Grüne sprechen sich für Ampel-Fortsetzung aus
Die Grünen wollen weiter mit der SPD und der FDP in einer Koalition regieren. Die Frage nach einem möglichen Koalitionsbruch stelle sich nicht, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour am Montag nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei in Berlin. „Wir wollen den Bruch nicht. Wir gehen auch davon aus, dass andere vertragstreu sind und wir die Arbeit, die wir hier miteinander machen, zu Ende bringen“, sagte er in Berlin. Dies sei „ein Gebot des Anstands“.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat den eskalierenden Streit in der Ampel-Koalition kritisiert. Alle Beteiligten sollten sich wegen der internationalen Entwicklungen und Herausforderungen auf ihre Aufgaben konzentrieren, sagte sie am Montag bei einer Pressekonferenz in Kiew.
Baerbock forderte, „dass wir uns im Sinne dieser internationalen Verantwortung vielleicht alle ein bisschen zusammenreißen, einfach unseren Job tun und jeden Tag dankbar sind, dass wir in Freiheit und in Frieden immer wieder aufwachen, arbeiten und unser Leben genießen.“
Die CDU hatte angesichts der verschärften Regierungskrise erneut ein rasches Ende der Koalition von SPD, FDP und Grünen gefordert. „Die Ampel muss jetzt staatspolitische Verantwortung übernehmen, nämlich die Sache zu beenden“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin. Deutschland brauche einen Neustart, der nur über eine neue Regierung gehe. Daher müsse es so schnell wie möglich zu einer Neuwahl kommen.
Zum möglichen Szenario einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen bei einem Austritt der FDP aus der Koalition äußerte sich Linnemann ablehnend. Deutschland brauche Stabilität, was nur mit einer Regierung gehe, die Mehrheiten habe. „In dieser Situation eine Minderheitsregierung bis zur Wahl, davon halte ich überhaupt nichts.“ Dann müsste Kanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen. Auch zu einem möglichen Regierungseintritt der Union äußerte sich Linnemann ablehnend.
Ampel-Streit so heftig wie nie
Daran gab es jüngst starke Zweifel. Stattdessen sah es so stark wie nie zuvor danach aus, dass die Koalitionspartner bereits ihren eigenen Wahlkampf vorbereiten, anstatt zusammenzuarbeiten. Scholz und Lindner hielten jeweils eigene Treffen mit Wirtschaftsvertretern ab, Habeck und Lindner wiederum legten separate, nicht in der Koalition abgesprochene Konzepte vor, wie sie die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung bekommen wollen.
Die Lindner-Idee enthält Steuersenkungen für Unternehmen, die Lockerung von Klimavorgaben und der Reduzierung von Subventionen und Sozialleistungen. Vieles davon widerspricht dem bisherigen Kurs der Bundesregierung. SPD und Grüne wiesen die Vorschläge zurück, Sozialverbände kritisierten sie scharf.
Scholz und Lindner diskutierten bereits Sonntagnacht
Am Sonntagabend beriet sich Scholz bereits mit den Spitzen der SPD über die Situation in der Ampel-Koalition. Die Beratungen fanden im Kanzleramt mit den beiden SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie Generalsekretär Matthias Miersch statt.
Anschließend war auch Lindner zu Beratungen mit Scholz im Kanzleramt. Details wurden nicht bekannt. Bei dem Gespräch dürfte es aber ebenfalls um die gegenwärtige Lage in der Ampel-Koalition gegangen sein.
Lindner verteidigt seinen Plan im ZDF
Zuvor verteidigte Lindner die Vorschläge in seinem Wirtschaftswende-Papier am Sonntagabend im ZDF, ohne damit ultimative Forderungen zu verbinden.
Er betonte allerdings, dass Deutschland eine wirtschafts- und finanzpolitische „Richtungsentscheidung“ sowie eine Regierung brauche, die einen „klaren Kurs“ habe. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich laut Lindner zum Schlechten verändert, Steuerlast und Energiepreise seien zu hoch.
Er warte ab, was nach den Grünen nun die SPD vorschlage, sagte der Finanzminister. Die Situation müsse hernach „schnellstmöglich“ geklärt werden.
Auf die Inhalte seines Papiers ging der FDP-Chef nicht näher ein, sagte aber, man könne massive steuerliche Entlastungen für jene finanzieren, die bereit seien, zu investieren. Habeck hatte demgegenüber vorgeschlagen, Investitionen der Wirtschaft über eine Investitionsprämie zu unterstützen. (Tsp./AFP/dpa/Reuters)