Professor stellt klar

Klimawandel führt nicht zu „Hölle auf Erden“

13.05.2024
Lesedauer: 4 Minuten
Prof. Dr. Jochem Marotzke ist Klimaforscher und Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg Foto: D. Ausserhofer/MPI-M

Vergangenes Jahr kamen so wenig Babys zur Welt wie seit 2013 nicht mehr.

Die Gründe sind vielfältig. Doch bei den 16- bis 24-Jährigen sticht einer hervor.

Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Appinio hat sich für fast ein Viertel (24,5 Prozent) der Kinderwunsch wegen der Klimakrise abgeschwächt. Ein weiteres Viertel (26,4 Prozent) wollen deshalb gar keine Kinder.

Die einen befürchten, jeder weitere Mensch vergrößere den CO₂-Abdruck auf der Erde. Andere möchten ihren Kindern ein Leben in einer durchs Klima veränderten Welt nicht zumuten.

Kinderlos für den Klimaschutz: Ergibt das Sinn? Das beantwortet der Klimaforscher Prof. Dr. Jochem Marotzke im BILD-Interview.

Das Klima bestimmt nicht alles

BILD: Was bewegt Menschen dazu, wegen des Klimas auf Kinder zu verzichten?

Prof. Dr. Jochem Marotzke: „Mein Verdacht: Es breitet sich ein Klima-Determinismus aus. Die Annahme, das Klima bestimme alles und es sei nichts mehr zu retten, könnte Angst erzeugen.“

Ist diese Angst berechtigt? Sollten wir wegen des Klimas keine Kinder mehr bekommen?

Prof. Marotzke: „Ich würde keinem Menschen sagen, er soll oder sollte keine Kinder bekommen. Aber wenn jemand meint: ,Ich will wegen des Klimawandels keine Kinder‘, würde ich antworten: ,Tun Sie sich das nicht an.‘ Ja, die Welt wird risikoreicher. Aber das Leben wird durch so viele andere Sachen bestimmt. Wer Kinder haben möchte, sollte sich vom Klimawandel nicht davon abbringen lassen. Wir bewegen uns nicht in eine Hölle auf Erden. Wir können uns auf die Risiken einstellen, sind nicht machtlos ausgeliefert, uns droht nicht der Weltuntergang. Apokalyptischen Visionen sind maßlos übertrieben. Klar, der Schutz kommt nicht von selbst, sondern erfordert tatkräftiges politisches Handeln.“

Vielen Menschen bereiten die Folgen des Klimawandels, etwa abschmelzende Gletscher wie hier in der Antarktis, Zukunftsängste / Foto: picture alliance / dpa

Klimaschutz ist extrem politisch

Warum ist die Aussage „Ich möchte den Klimawandel eindämmen und bekomme deshalb keine Kinder“ problematisch?

Prof. Marotzke: „So etwas entpolitisiert den Klimaschutz. Es sind menschliche Aktivitäten, die den Klimawandel hervorrufen. Aber er wird vor allem durch politische und ökonomische Strukturen vorangetrieben. In einer Mietwohnung habe ich oft keinen Einfluss darauf, wie geheizt wird. Ob mein Vermieter die Heizung umstellt, hat einen viel größeren Einfluss, als meine Entscheidung für oder gegen ein Kind. Dieser primitive Punkt: ,Keine Kinder damit wir den Klimawandel nicht befeuern‘, blendet komplexe Sachverhalte aus. Klimaschutz ist eine extrem politische Sache und ich wehre mich dagegen, dass das ins rein Persönliche gezogen wird.“

Mehr Menschen, mehr Emissionen: So simpel ist es also nicht?

Prof. Marotzke: „Wir diskutieren Fachkräftemangel, Rentensystem, … zu sagen ,möglichst wenig Menschen für möglichst wenig Emissionen‘ – da stößt man auf einen Zielkonflikt. Der einzige Kontinent, wo es heute noch ein sehr starkes Bevölkerungswachstum gibt, ist Afrika. Aber hier sind die Emissionen pro Kopf so gering, dass dieses Wachstum zunächst keinen Einfluss darauf hat. Man darf nicht denken, Klima würde alles steuern und es im gewissen Sinne nicht übertreiben mit der Bedeutung des Klimawandels.“

Der Blick in die Zukunft ist nicht nur düster

Was ist der richtige Weg gegen die Erderwärmung?

Prof. Marotzke: „Klimaschutz als etwas, das irgendwem in 50 Jahren zugutekommt, funktioniert nicht. Ich muss jetzt etwas davon haben. In Deutschland haben wir Ressourcen, um Neues auszuprobieren. Beispiel: Eine Stadt, in der weniger Autos sind, ist lebenswerter. Öffentliche Verkehrsmittel gehen einher mit weniger Emissionen. Städte lebenswerter zu gestalten, würde also das Klima schützen. Menschen stellen mittlerweile sogar Solarpanels auf den Balkon. Man spart Geld, weil man Strom selbst erzeugt und schützt das Klima. Vor 20 Jahren wäre das völlig irre gewesen. Das zeigt: Der Blick in die Zukunft ist nicht nur düster.

Auch politisch ist mehr möglich. Ich bin überzeugt, dass das Festhalten an der Schuldenbremse nicht hilft. Eine kluge vorausschauende Politik, die Sachen mit staatlicher finanzieller Unterstützung möglich macht, kann etwas bewirken. Zurzeit vermisse ich in Deutschland eine Politik, die nach praktischen Lösungen für ein langfristiges Ziel sucht.“

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