Gewalt, Selbstjustiz, Verachtung

„In Neukölln entscheidet sich Deutschlands Zukunft“

07.03.2022
Lesedauer: 8 Minuten
Polizisten im Jahre 2019 bei einer Razzia in einer Shisha-Bar in Neukölln. Mit Großeinsätzen und Kontrollen versucht die Polizei der Hauptstadt seit Jahren, gegen die organisierte Kriminalität in Neukölln vorzugehen. (Foto: dpa)

Falko Liecke, seit mehr als einem Jahrzehnt Stadtrat in Berlin-Neukölln, nennt den Bezirk „Brennpunkt Deutschland“. So heißt auch das Buch des CDU-Politikers, über das ntv.de mit ihm gesprochen hat. Es ist harter Tobak. So sagt er: „In Neukölln halten kriminelle Migranten und politisch Radikale die Polizei für Freiwild.“

ntv.de: Sie beschreiben Neukölln als „Brennpunkt Deutschland“, in dem sich die Zukunft der Republik entscheide. Wie kommen Sie darauf?

Falko Liecke: Falls Sie damit meinen, die These sei zu steil – ist sie nicht. Mein Herz hängt an Neukölln, ich lebe und arbeite gerne dort. Genau deshalb mache ich mir umso mehr Sorgen um den Bezirk. Die gesellschaftliche Entwicklung ist verheerend. Ich erlebe es täglich auf der Straße und in der U-Bahn, wenn ich Drogenabhängige und Obdachlose sehe. Die Zunahme an Verwahrlosung, Armut, fehlgeschlagener Integration, Gewalt, Selbstjustiz, politischem und religiösem Extremismus ist allgegenwärtig.

Übertreiben Sie da nicht?

Nein. Staatsverachtung und Autoritätsverlust zeigt sich überall. Polizisten, die in Neukölln ihren Dienst tun, leben gefährlich. Kein Beamter wird sich in Uniform mit dem Rücken zum Eingang in ein Café setzen. Das ist zu riskant.

Kriegen Sie das auch persönlich ab?

Beschimpft und beleidigt werde ich ständig, nicht nur in den sozialen Medien. Das Auto meiner Frau, die Polizistin in Neukölln ist, wurde abgefackelt. Mitglieder eines libanesischen Clans haben mir auf der Straße klarzumachen versucht, dass nicht Staat und Gesellschaft in „ihrem“ Teil von Neukölln das Sagen hätten, sondern nur sie selbst. „Pass auf deine Kinder auf. In Neukölln gibt es leicht mal einen Toten“, ließ mich einer wissen. Selbst von Kindern aus einem der Clans habe ich so was in der Art schon zu hören bekommen. Noch vor wenigen Jahren wäre ich nie auf die Idee gekommen, daheim aus den Fenstern zu schauen, welches Auto vor der Tür steht. Das mache ich jetzt ständig, schon wegen meiner Frau. Ich möchte nicht der nächste Walter Lübcke sein.

Wenn man Ihr Buch liest, ahnt man, warum Menschen Sehnsucht nach Autoritäten haben, der starken Frau, dem starken Mann. Was denken Sie darüber?

Die Angst der Menschen vor sozialem Abstieg kann ich gut verstehen. Aber die Sache mit dem „starken Mann“ sollten wir schön bleiben lassen. Russland zeigt gerade, wie das endet.

Was brauchen wir dann?

Für mich kann „starker Mann“ nur starker Staat heißen. Wir müssen die Akzeptanz steigern, dass der Staat das Gewaltmonopol hat, Polizei und Justiz das Recht konsequent anwenden und umsetzen. Diesem Grundsatz muss wieder Geltung verschafft werden. In Neukölln halten kriminelle Migranten und politisch Radikale die Polizei für Freiwild.

Sie schreiben in Ihrem Buch Sätze wie: „Wenn fast ein ganzer Kiez auf unsere Gesellschaft und ihre Regeln spuckt, wird es schwer.“ Warum die drastische Wortwahl?

Es hat keinen Sinn, die Missstände zu verniedlichen oder zu beschönigen. In Neukölln erleben wir das, was wir, wenn wir nicht aufpassen, in ein paar Jahren überall in Deutschland haben. Wir müssen Armut und organisierte Kriminalität entschlossen bekämpfen, offen über die negativen Folgen von Einwanderung, den Islamismus und politischen Extremismus reden, was daraus erwächst, nämlich Staats- und Demokratieverachtung. Neukölln hat viele schöne Seiten. Die werden aber mit in den Strudel des Niedergangs gerissen. Deshalb müssen wir handeln.

Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem?

Es gibt nicht nur eins, es gibt viele Hauptprobleme.

Nennen Sie die beiden wichtigsten.

Wenn ich zwei hervorheben müsste, dann die organisierte Kriminalität durch Clans und die Bildung, die ein Trümmerhaufen ist – trotz aller Bemühungen. Beides gilt für ganz Berlin, in Neukölln ist es aber besonders eklatant. Die Pandemie hat die Situation verschärft. In vielen Familien war kein Homeschooling möglich, es fehlt an gutem Internet und Technik, die Eltern sprechen ungenügend Deutsch, die Kinder leben mit sechs, sieben Geschwistern in einer kleinen Wohnung, da ist nichts mit Unterricht. Die Kids lassen ihren Frust auf die Straße ab. Um die Kinder müssen wir uns kümmern, sonst werden sie durch einen Mangel an Bildung Abgehängte der Gesellschaft von Morgen sein.

Was also tun?

Wenn wir eine verlorene Generation verhindern wollen, müssen wir massiv in Schulen und Sozialarbeit investieren, finanziell und personell. Wir brauchen hier die besten Lehrer. Klar, es fehlt an Geld. Trotzdem müssen wir dringend etwas unternehmen. Sonst landen viele Kinder in Armut, werden kriminell oder radikale Islamisten.

Und gegen die Clans?

Vorsicht! Es geht nicht gegen „die Clans“. Es geht gegen Clankriminalität. Wer als Clanmitglied nicht kriminell ist oder von der Kriminalität profitiert, interessiert mich gar nicht. Um gegen die kriminellen Teile der Clans anzukommen, müssen endlich alle Behörden aufwachen. Polizei und Justiz reicht nicht aus. Jobcenter, Gewerbeamt, Ordnungsämter, Kfz-Zulassungsstellen, Familiengerichte, Jugendämter und so weiter. Sie alle müssen mitmachen und dürfen sich nicht weiterhin unzuständig fühlen.

Sie sagen, der Islamismus, insbesondere der staatlich gestützte, sei eine große Gefahr für die Demokratie.

Man denkt bei Islamisten immer an lange Bärte, Sprengstoffgürtel und Kalaschnikow. Die viel größere Bedrohung ist aus meiner Sicht aber der legalistische Islamismus …

… also der Versuch, auf dem Koran fußende Regelungen über den privaten Bereich hinaus in der deutschen Gesellschaft zu etablieren – aber gewaltfrei …

Genau. Nicht etwa, weil sie Gewalt ablehnen. Im Gegensatz zu gewalttätigen Islamisten sind sie nur der Meinung, dass diese schleichende Unterwanderung erfolgreicher ist. Und sie haben recht.

Also funktioniert das nach Ihrer Auffassung?

Die nutzen die offene Gesellschaft, die Religions- und Meinungsfreiheit, um langfristig einen islamisch geprägten Staat zu etablieren. Und sie haben Zeit, denken strategisch und gewinnen Schritt für Schritt immer mehr Einfluss in Medien, Parteien und Gesellschaft. Die werden unsere Freiheiten so lange ausnutzen, bis sie sie abschaffen können.

Beobachten Sie das oder glauben Sie das?

Die Gefahr durch den legalistischen Islamismus wird von Sicherheitsbehörden landauf, landab beschrieben. Es hört nur niemand wirklich zu. Und das, obwohl wir es im Alltag erleben.

Wo zum Beispiel?

Hass gegen Homosexuelle und Verachtung westlich geprägter Frauen zeigt sich doch vielfach. Zum Beispiel darin, dass in Neukölln Regenbogenflaggen in Jugendeinrichtungen heruntergerissen und vermeintlich muslimische Lehrerinnen in Hosen als Huren beschimpft werden. Das gehört bei manchen Bevölkerungsteilen zur familiären DNA und richtet sich fundamental gegen unsere freiheitlichen Werte.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von „Kopftuchaktivistinnen“. Was ist schlimm am Kopftuch?

Nicht jede Frau mit Kopftuch ist eine Islamistin. Aber Aktivistinnen, die bewusst das Kopftuch zur Schau stellen, machen sich für einen fundamentalen, antifeministischen und politischen Islam stark, der im Widerspruch zu unserer Verfassung steht.

Gibt es diese Aktivistinnen in Neukölln?

Frauen und Mädchen ohne Kopftuch werden in Teilen Neuköllns von der lauten Minderheit der Befürworter eines radikalen Islam massiv unter Druck gesetzt. In einer Grundschule nahe der Neuköllner Al-Nur-Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, tragen Mädchen schon ab acht, neun Jahren Kopftuch. Es ist absurd, dass Vereine und Verbände aus dem Bereich des politischen Islam vom Land Berlin mit Unsummen gefördert werden.

Der Linke-Abgeordnete Ferat Kocak wirft Ihnen „rassistische Hetze gegen Muslime“ vor. Sie haben zur Wahl von Ricarda Lang und Omid Nouripour zu den neuen Vorsitzenden der Grünen getwittert: „Ich wünsche ein fröhliches ‚Allahu Akbar‘.“ Haben Sie vielleicht ein grundsätzliches Problem mit Muslimen?

Wissen Sie, den Herrn Koçak darf man nicht ernst nehmen, sonst hat man schon verloren. Der stellt sich auch am Tag des Einmarsches von Putin in die Ukraine hin und fordert den Abzug aller NATO-Truppen aus Osteuropa. Anderen Leuten Rassismus vorwerfen ist sein Geschäftsmodell.

Das kann man aber von Frau Lang oder Herrn Nouripour nicht sagen.

Der Tweet tut mir leid, er war nicht so klug, ich habe ihn gelöscht und Herrn Nouripour um Entschuldigung gebeten, falls ihn das verletzt hat. Rassismus wird mir seit Jahren von Linken immer wieder vorgeworfen, wenn ihnen nichts weiter einfällt. Auch, dass ich ein Hans-Georg Maaßen sei. Im Gegensatz zu Herrn Maaßen mache ich aber seit Jahren aktiv Politik, gehe die Probleme vor Ort an und grenze mich strikt von der AfD ab. Ich rede nur klipp und klar über die Probleme …

… die andere nicht sehen? Oder nicht sehen wollen?

Grüne, Linke und Teile der SPD ignorieren diese Probleme seit Jahren. Oder beschönigen sie. Die Linke in Neukölln hält ja sogar Razzien in Shisha-Bars und Spätverkaufsstellen für rassistisch. Dabei wissen wir, dass sie Anlaufstationen und Drogenverkaufsstellen organisierter Krimineller sind.

Sie sagen: Neukölln ist erst der Anfang. Was meinen Sie damit?

Was wir in Neukölln erleben, ist immer nur der Vorläufer von dem, was irgendwann überall in Deutschland kommen kann und vielerorts auch wird. Ich bin sicher: In Neukölln entscheidet sich Deutschlands Zukunft. In meinem Buch meckere ich nicht permanent und erzähle auch nicht nur, was schiefläuft. Ich will aufrütteln und berichte von Beispielen, wie es besser laufen, wie Verbrechen bekämpft und ein Abdriften Jugendlicher in Kriminalität verhindert werden kann.

Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt Stadtrat in Neukölln. Da tragen Sie Mitverantwortung für die Misere.

In gewisser Weise kann man das so sehen. Trotzdem kann ich guten Gewissens sagen: Ich habe alles versucht, was möglich ist, erst recht während der Pandemie. Die Probleme sind viel zu groß für die Kommunalpolitik. Die Landesregierung lässt Neukölln seit Jahren im Stich und kümmert sich lieber um die hippen Bezirke wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain – wo die Wähler der Grünen leben.

Mit Falko Liecke sprach Tilman Aretz

Quelle: ntv.de

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