Kommunistische Partei Chinas

Hey du, zeig mal deinen Ausweis!

14.06.2021
Lesedauer: 8 Minuten
Ein Militär behält am Tiananmen Platz in Peking Besucherinnen und Besucher im Blick. © STR/​AFP/​Getty Images

90 Millionen Parteikader herrschen in China über 1,4 Milliarden Bürger. Seit ein paar Jahren auch mit Smartphones und Datenbanken. Expertin Katja Drinhausen erklärt, wie.

Die Kommunistische Partei Chinas feiert im Juli ihr 100-jähriges Bestehen. Seit 1949 herrscht sie über China und mit dem rasanten Aufstieg des Landes geben sich ihre Anführer heute selbstbewusst und machtvoll. Anlässlich des Jubiläums hat das Mercator Institute for China Studies einen Bericht über die Partei und ihre Herrschaftstechniken herausgebracht. Wir sprechen mit Katja Drinhausen, einer der Studienautorinnen, über die Dimensionen, die sich dem Parteistaat durch die neuen Digitaltechniken bei der Überwachung und Steuerung des Volkes erschließen.

ZEIT ONLINE: Frau Drinhausen, kaum ein Bericht über den Alltag in China kommt heute ohne Bilder der scheinbar allgegenwärtigen Kameras an den Straßen und Plätzen des Landes aus. Ist China ein Überwachungsstaat? 

Katja Drinhausen: Ja. Wenn man die Geschichte der Regierungsführung der Kommunistischen Partei seit Gründung der Volksrepublik 1949 anschaut, hat die Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger von Anfang an eine große Rolle gespielt. Zwar hatte sich die KP in den ersten Jahren der Öffnung und Reform zurückgezogen, hatte nicht mehr dieses Blockwartsystem und die Entscheidungsmacht des Staates über Karriere, Beruf und Kontakte von der Wiege bis zur Bahre. Aber das war eher eine Anomalie. Selbst in dieser Zeit wurden beispielsweise die persönlichen Akten über die Bürger weitergeführt, in denen man aus verschiedensten Quellen Informationen zusammengeführt hat.

ZEIT ONLINE: In der neuen Merics-Studie heben Sie hervor, dass nicht nur die Überwachung, sondern auch Behördenleistungen in China zunehmend digital sind. Was sind das in der Praxis für Angebote?

Drinhausen: Da gibt es relativ viel Spielraum, das kann von Stadt zu Stadt sehr verschieden sein. Ein Beispiel ist die Stadt Fuzhou, die so eine Art Pilotprojekt für digitales Regieren ist und wo man fast alle Dienstleistungen des öffentlichen Lebens in einer Onlineplattform erledigen kann, von der Sozialversicherung bis zur Firmengründung. In Zukunft soll man sich auch per Gesichtserkennung anmelden können und braucht dann wirklich nur einmal persönlich aufs Amt, um sich dafür auszuweisen.

ZEIT ONLINE: Bringt das denn wirklich so viele Vorteile?

Drinhausen: Man darf den Nutzen nicht unterschätzen. Um beispielsweise Strom und Wasser zu bezahlen, musste man früher stundenlang bei der Bank anstehen. Oder ein extremeres Beispiel: Wenn man in einer anderen als seiner Heimatprovinz seine ID-Karte verloren hatte, musste man früher persönlich dorthin zurückreisen, die Behörden waren nicht vernetzt. Und dann konnte man dafür auch nicht den Zug benutzen, denn das geht nur mit ID-Karte. So etwas lässt sich heute fast alles online regeln, mit der Multifunktionsapp WeChat bezahlt man gleich die Stadtwerke.

ZEIT ONLINE: Wo und wie, an welchen Orten tritt man als Durchschnittschinesin oder -chinese denn so über den Tag gesehen in Kontakt mit dem digitalen Überwachungs- und Dienstleistungsstaat?

Drinhausen: Eigentlich auf allen Ebenen, die wir auch in dem Bericht ansprechen. Nach dem Aufstehen schaut man als Erstes in WeChat nach seinen Kurznachrichten und den öffentlichen Accounts von Influencern, denen man folgt. Dort kommt man schon in Berührung mit der Informationskontrolle, denn diese Apps sind so designt, dass private Chatgruppen nicht zu groß werden dürfen und dass man Posts nicht so einfach weiterleiten kann.

Verlässt man dann seinen Wohnblock, ist die erste Kamera auf dem Weg zur Arbeit am Hauseingang. Die nächste dann im Taxi oder im Bus, wo dann zusätzlich noch ein Sicherheitsmann ist. Unterwegs liest man über das Smartphone Nachrichten, deren Inhalte dem politischen Diktat unterstehen. In den sozialen Medien tauchen immer mehr Accounts von Kadern auf, die die Lokalpolitik loben. In der Mittagspause sind zumindest in den größeren Restaurants erneut Kameras. Und wenn man abends noch ein Bier trinken geht, sind auch in immer mehr Bars Kameras, und man fragt sich, wie entspannt das dann ist.

ZEIT ONLINE: Zuletzt wurde in westlichen Medien viel über Chinas digitales Sozialkreditsystem berichtet. Was ist das genau und wie weit ist es im Alltag der Bürger angekommen?

Drinhausen: Um das Sozialkreditsystem haben sich viele Mythen gebildet. Es ist aber nicht der chinesische Überwachungsstaat schlechthin, sondern primär ein eher träges System von Plattformen und Datenbanken, um Gesetzesüberschreitungen zu dokumentieren. Vor allem: Es gibt die ominösen Sozialpunkte gar nicht, die werden sie nirgendwo finden. Es gibt auf lokaler Ebene ein paar Experimente in der Richtung, allerdings auf freiwilliger Basis, mehr aber auch nicht.

ZEIT ONLINE: Das heißt, es ist total harmlos?

Drinhausen: Nein, wenn sie da erst einmal auf einer schwarzen Liste gelandet sind, weil sie beispielsweise Regeln gebrochen oder ausstehende Schulden haben, ist es online sichtbar, es ist wie ein digitaler Pranger. Die Behörden tauschen jetzt ja auch landesweit Daten aus und stimmen ihre Strafen miteinander ab, dadurch wird man viel breiter sanktioniert. Zudem ist da auch viel Spielraum für Willkür. Im Fokus des staatlichen Sozialkreditsystems stehen weniger Individuen und deren persönliches Verhalten, sondern die Unternehmen. Angenommen ein Unternehmen hat Kundenrechte verletzt oder die Umwelt verschmutzt und ist bei der Wiedergutmachung oder Strafe säumig. Dann wandert das ins Sozialkreditsystem und in die online einsehbare digitale Akte.

ZEIT ONLINE: Wäre das nicht eigentlich Aufgabe der Justiz?

Drinhausen: Das Sozialkreditsystem ist primär eine Art sidekick für das Rechtssystem. Man will einfach das Vertrauen in chinesische Unternehmen, aber auch in die Mitbürger stärken, weil das als sehr wichtig angesehen wird für die wirtschaftliche Entwicklung. So gesehen ist das Sozialkreditsystem ein Katalysator, um China zu einem sozialistischen Rechtsstaat zu machen. Auch staatliche Unternehmen und Beamte werden in dem System erfasst, wenn auch weniger. Aber es ist schon so, dass es sich im Prinzip an alle gesellschaftlichen Akteure richtet.

ZEIT ONLINE: Ich würde gern versuchen, Chinas Digitalräume einmal zu sortieren. Es gibt Dienstleistungen, es gibt Überwachungstools, die im Extremfall auch Bewegungsprofile aufzeichnen, es gibt inhaltliche Kontrollen in WeChat-Gruppen oder in Medien, es gibt Konformitätstools wie das Sozialkreditsystem: wie ein großes Mosaik. Werden diese Datenmassen irgendwo zusammengeführt, zentralisiert?
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Drinhausen: Nein, ein Plan, alle Daten in einem Supertool zusammenzufassen, ist nicht bekannt, das wäre wahrscheinlich auch nicht effizient. Was man braucht, sind Analysetools, die an den richtigen Schnittstellen miteinander verbunden sind. Am größten ist da der Bedarf im Bereich der öffentlichen Sicherheit und im Stabilitätsmanagement. Die wollen am liebsten alles wissen: Was schreiben die Leute online? Wo ziehen sie hin? Sind die Leute wirklich da gemeldet?

Das sieht man dann gut in Minderheitenregionen wie Xinjiang, wo viel stärker verschiedene Ebenen miteinander verknüpft werden. Dort gibt es die Integrierte Plattform für gemeinsame Operationen, IJOP, in die lokale Beamte per Smartphone-App Personendaten einfüttern, um vermeintlich gefährliche Personen zu identifizieren. Es werden extra neue Datenbanken geschaffen, die Informationen aus den verschiedenen Teilsystemen bündeln, mit einem ganz konkreten Ziel.

ZEIT ONLINE: In Ihrer Studie erwähnen Sie die forcierte Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dabei sind Daten über Krankheiten oder Behandlungskosten ein besonders intimer Lebensbereich: Wie halten es Chinesinnen und Chinesen mit dem Datenschutz? Gibt es Debatten darüber, dass man jederzeit irgendwie, irgendwo digital überwacht werden kann?

Drinhausen: Die gibt es, zum Beispiel über die Frage, ob das mit der Gesichtserkennung nicht viel zu weit geht. Unlängst hat ein Juraprofessor in Hangzhou Klage eingelegt gegen einen Tierpark, weil sie ihm nur noch mit Gesichtserkennung Zutritt geben wollten. Er argumentierte, da sei kein staatliches Mandat dahinter, dieser Zoo brauche die Daten nicht. Ähnliche Fälle gibt es bei Wohnbezirken, die Bewohner eines Hauses nur noch per Gesichtserkennung reinlassen wollten. Da gibt es jetzt neue Regulierungen, die verbieten, Gesichtserkennung einfach obligatorisch anzuwenden. Es gibt auch in Juristenkreisen Debatten über die Vereinbarkeit mit Rechten auf Privatsphäre.

Größer noch ist aber in der breiten Bevölkerung die Sorge um Datenleaks, das Gros der Chinesinnen und Chinesen hatte damit schon zu tun. Seit man in China nur noch mit Klarnamen online gehen darf, haben auch Betrugsfälle aus den Leaks stark zugenommen. Das hat viel öffentliche Kritik ausgelöst – sehr zum Schrecken der herrschenden KP – und dazu geführt, dass ein Gesetz zum Schutz persönlicher Daten verabschiedet wird, das sich an europäischen Standards orientiert.

ZEIT ONLINE: Wie stark greift die digitale Kontrolle im ländlichen Raum Chinas, der ja traditionell durch korrupte Lokalkader immer ein relativ hohes Unruhepotenzial hat?

Drinhausen: Während es in Deutschland noch Gegenden ohne Netzabdeckung gibt, hatte man in China schon vor Jahren überall 4G-Standard, also auch auf dem Land. Es gibt Studien, die zeigen, dass auch in ländlichen Gebieten sehr viel Geld in den Sicherheitsbereich geflossen ist und dass auch in Kleinstädten viele Kameras aufgebaut wurden.

ZEIT ONLINE: Die KP Chinas hat 90 Millionen Mitglieder. Reichen die nicht aus, das Volk auch auf dem Land zu bewachen?

Drinhausen: Chinas Überwachungsstaat und der technologiegestützte Regierungsansatz verbinden mit einfachen Mitteln die Kader und Freiwilligen, die auf lokaler Ebene unterwegs sind, mit den Datensystemen. Die haben ja alle Smartphones, oft ausgestattet mit Apps für verschiedene Zwecke, und können darüber Informationen weitergeben. Sie können sich das so vorstellen, dass Sie irgendwo auf dem Land herumspazieren und es kommt Ihnen ein Polizist entgegen, der sagt: Hey du, zeig mal deinen Ausweis! Er macht ein Foto und schickt es einfach per WeChat weiter. Das ist sicher nicht datenschutzkonform, aber da überschneidet sich die Digitalwelt mit der immer noch sehr starken menschlichen Präsenz im System der Kommunistischen Partei. Die gab es von Anfang an, und sie wird jetzt wieder ausgebaut – aber eben mit den neuen technischen Mitteln.  

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