Ein Gericht hat ein Hearing zu Pfizer auf Dezember verschoben. Martin Sonneborn tobt – aber ist das für von der Leyen wirklich eine gute Nachricht?
Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) hat bekanntgegeben, dass das Hearing vor einem belgischen Gericht über den Fall Ursula von der Leyen und Pfizer auf den 6. Dezember verschoben wurde. Bei dem Hearing geht es um die Frage, ob die belgischen Strafermittler oder die EU-Behörde für die Verfolgung dieses Falls zuständig sind.
Im April 2023 hatte Frédéric Baldan, ein belgischer Lobbyist, der auf die Handelsbeziehungen zwischen China und der EU spezialisiert ist, bei einem Richter in Lüttich eine Beschwerde gegen von der Leyen eingereicht und ihr vorgeworfen, sich Amtsbefugnisse angemaßt, öffentliche Dokumente vernichtet, unrechtmäßige Interessen verfolgt sowie Korruption begangen zu haben.
Die Beschwerde betrifft die Verhandlungen über die zwischen von der Leyen und dem CEO von Pfizer, Albert Bourla, per SMS verhandelten dritten Impfstoffkaufvertrag vom Mai 2021. Es geht um einen Milliardendeal, dessen Details der Öffentlichkeit völlig unbekannt sind. Die EU-Kommissionspräsidentin hatte sowohl der EU-Ombudsfrau als auch dem EU-Rechnungshof keinerlei Auskunft gegeben.
Der belgische Lobbyist ist der Ansicht, dass die Art und Weise, wie diese Gespräche stattfanden, den öffentlichen Finanzen seines Landes und dem Vertrauen in die EU-Institutionen geschadet habe. Er wollte, dass die belgischen Behörden die Ermittlungen aufnehmen. Doch bereits am 14. Oktober 2022 hatte die EPPO bestätigt, „eine außergewöhnlich hohe Zahl von Berichten und Beschwerden“ erhalten zu haben, dass „sie den Erwerb von Covid-19-Impfstoffen in der Europäischen Union“ untersuchen möge. Weitere Einzelheiten zu der laufenden Untersuchungen will die Behörde auch aktuell nicht veröffentlichen, „um deren Ergebnis nicht zu gefährden“.
Im Mai 2023 hatte die Regionalstaatsanwaltschaft Lüttich, wie im belgischen Strafprozess vorgesehen, laut EPPO eine Kopie der beim Ermittlungsrichter eingereichten Beschwerden des Lobbyisten übermittelt. Die EPPO kam zu dem Schluss, „dass die Beschwerden Tatsachen betreffen, die in ihre sachliche Zuständigkeit fallen“. Daher sei es nun an der EPPO „als zuständiger Staatsanwaltschaft zur Rechtmäßigkeit der beim Ermittlungsrichter in Lüttich eingereichten Beschwerden Stellung zu nehmen“.
Die Anwälte des Beschwerdeführers sehen die Sachlage anders: Ursula von der Leyen habe bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion zur EU-Wahl ausdrücklich gesagt, die Impfstoffe seien aus Mitteln der EU-Mitgliedstaaten gekauft worden. Die EPPO ist formal nur für Verfehlungen hinsichtlich von Mitteln aus dem EU-Budget zuständig. Baldan und seine Anwältin berichteten am Samstag auf einer Pressekonferenz davon, dass sie in der Ausübung ihrer Rechte von der EPPO behindert worden sein.
Das Gericht hat das Hearing am Freitag verschoben, um den Parteien Gelegenheit zu geben, die Fragen der Zuständigkeit und der Aufhebung der Immunität von der Leyens zu diskutieren. Die Beschwerdeführer vertraten bei ihrer Pressekonferenz die Auffassung, dass von der Leyen keine umfassende persönliche Immunität beanspruchen könne, weil sie nicht in das Amt gewählt worden sei. Sie habe allenfalls eine „funktionale Immunität“, sei also vor Verfolgung nur dann geschützt, wenn sie Handlungen im Rahmen ihrer definierten Funktion als Kommissionspräsidentin getätigt habe.
Am Freitag hat das Gericht (Chambre du Conseil) keine Entscheidung getroffen. Es werden weitere Monate vergehen, bis überhaupt klar ist, wer für die Ermittlungen in dem Fall überhaupt zuständig ist. Damit sind vor den EU-Wahlen und auch in der Periode der Bestellung eines neuen Präsidenten durch den Rat keine rechtlichen Verfahren gegen von der Leyen zu erwarten. Der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn von der Partei Die Partei sagte der Berliner Zeitung: „Der bereits hinreichend delegitimierten EU-Wahl, in der das Ergebnis, nämlich eine weitere Amtszeit von Kommissionspräsidentin von der Leyen, bereits genauso feststeht, wie die Ergebnisse bei Wahlen in Russland oder China, wird durch diese Entscheidung weiter delegitimiert.“
Sonneborn hat insbesondere kein Verständnis, warum sich die Ermittlungen so lange hinziehen: „Wieso braucht die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO, die Justizkommissar Didier Reynders untersteht, der Kommissionspräsidentin von der Leyen untersteht, anderthalb Jahre, um von der Leyens Bude im Kommissionsgebäude durchsuchen und ihr Diensthandy zur Einsichtnahme in die Pfizer-SMS beschlagnahmen zu lassen?“ Auch Reynders selbst steh im übrigen „im Mittelpunkt einer Milliarden-Affäre steht, in der erhebliche Teile des libyschen Staatsvermögens, das bei belgischen Banken eingefroren war, spurlos verschwunden sind“.
Sonneborn sagte, das er, als die gerade neugeschaffene EPPO vor anderthalb Jahren verstärktes Interesse an der Übernahme des Falles von der Leyen zeigte, noch gehofft habe, „dass unser unmittelbarer Verdacht, sie würde die Ermittlungen nur an sich ziehen, um sie bis nach der EU-Wahl zu verschleppen, unbegründet wäre“. Stattdessen scheint mit der EPPO „eine weitere Organisation entstanden zu sein, die nicht das Interesse der Bürger, sondern die Abschirmung der EU-Amtsträger vor ihrer demokratischen Rechenschaftspflicht im Auge hat“. Der Klage gegen von der Leyen seien mittlerweile mehrere Staaten, Parlamentarier und rund 500 Bürger beigetreten. Die „einzige Hoffnung“ der Partei Die Partei beruhe nun „auf dem belgischen Richter Frédéric Frenay, der schon in der Vergangenheit hartnäckig und erfolgreich in Korruptionsverfahren agierte, und dem das Gericht in Liège nun ausdrücklich aufgetragen hat, seine Ermittlungen weiter voranzutreiben“.
Dies ist jedoch nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht für die deutsche Politikerin. Frédéric Baldan sagte auf der Pressekonferenz, von der Leyen könne unter diesen Umständen nicht erneut die EU-Kommission leiten, weil sich das Verfahren bis weit in das Jahr 2025 ziehen werde und von der Leyen entsprechend in ihrer Amtsführung beeinträchtigt sei.
Die EPPO hat derzeit laut Euronews 1927 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Impfstoffen laufen und bestätigte der Website indirekt, dass die Ermittlungen weiterlaufen: Man wolle die Ermittlungen „nicht gefährden“. Ob die Belgier ebenfalls weiterermitteln und in den kommenden Monaten Details der Ermittlungen durchsickern, ist unklar.