Wolfram Weimer

Fünf Gründe, warum die AfD immer stärker wird

30.05.2023
Lesedauer: 6 Minuten

Die neuen Umfragen sind für das politische Berlin ein Schock. Die AfD wird in Deutschland Monat für Monat stärker und erreicht erschreckend hohe Werte. Der Bundesrepublik droht ein Kipp-Punkt seiner politischen Architektur. Es wird Zeit, über die Gründe des rechten Massenprotests offen zu sprechen.

Es kracht im politischen Gebälk Deutschlands. Die AfD steigt in neuen Umfragen auf bedrohlich hohe Werte. Die Rechtspopulisten haben nicht nur die Linkspartei und die FDP inzwischen weit hinter sich gelassen. Jetzt überholen sie auch die Grünen und nähern sich der SPD. Die Stimmung in der Republik ist offenbar massiv in kritischer Bewegung – damit droht die politische Architektur der Bundesrepublik ins Wanken zu geraten. In Teilen Ostdeutschlands ist die AfD mittlerweile die stärkste politische Kraft. Es gibt fünf unangenehme Wahrheiten für den erschreckenden Erfolg der AfD.

Erstens ist die Proteststimmung eine direkte Reaktion auf die als sehr schwach empfundene Ampelregierung in Berlin. Vor einem Jahr – als die neue Koalition aus SPD, Grünen und FDP noch weithin mit Hoffnung und Wohlwollen betrachtet wurde – ermittelte Forsa im RTL/ntv-Trendbarometer nur Umfragewerte von 8 Prozent für die AfD. Inzwischen hat sich der Rückhalt glattweg verdoppelt. Die Zustimmung zur Ampel und zur AfD verlaufen dabei wie Spiegelbilder. Egal welche Umfrage man sich heute ansieht – es sieht für die Scholz-Regierung miserabel aus: Der ARD-Deutschlandtrend ermittelt, dass derzeit sieben von zehn Deutschen mit der Arbeit der Bundesregierung wenig bis gar nicht zufrieden sind. Das Institut für Demoskopie Allensbach misst sogar den niedrigsten Wert für eine Kanzlerpartei, der in der Geschichte der Bundesrepublik je gemessen wurde. Die Unzufriedenheit hat sachpolitische Gründe (dringliche Probleme wie Inflation, Migration und Wohnungsmangel werden nicht gelöst, dafür lehnen große Mehrheiten die Abschaltung der Atomkraftwerke oder die geplanten Heizungsverbote ab), sie hat machtpolitische Ursachen (die Regierung ist offen und lautstark zerstritten, der Kanzler wirkt führungsschwach) und habituelle Gründe, weil die Regierung keine verbindliche Kommunikation betreibt und ihr gefühlte Volksnähe weithin abgeht. Der CDU-Veteran Wolfgang Bosbach bringt das so auf den Punkt: „Mit ihren politischen Schwerpunkten und einer Sprache, die allenfalls in der rot-grünen Szene auf Begeisterung stößt, entfernt sich die Ampel immer mehr von den ganz alltäglichen Sorgen der Menschen.“ Die Wahl der AfD gilt daher in größer werdenden Kreisen als Denkzettel für die Ampel.

Zweitens begründen viele AfD-Sympathisanten ihre Haltung mit dem Ärger über die offensiv zur Schau getragene „grüne Ideologie“. Der Widerstand gegen den vermeintlichen Ökologismus entzündet sich nicht nur an der als rigide gefühlten Klimapolitik (Stichwort „Heizhammer“), er hat vor allem kulturelle Auslöser. Die Grünen werden im AfD-Milieu als arrogante „Bevormunder“ und „Verbieteriche“ wahrgenommen. Die Schlagworte von „Wokeness“ oder „Gender-Wahn“ sind daher kulturelle Treiber des Rechtsrucks. Wenn Regierungsvertreter, öffentlich-rechtliche Medien bis zum Finanzamt die Bürger gegen ihren Willen in politisiertem Deutsch angendern, wenn eine gefühlte Sprach- und Kulturpolizei über „Indianer“, „Mohren-Apotheken“ und Seniorinnen mit Sombreros wacht, dann wächst der rechte Protest zum breiten Widerstand. Der Historiker Andreas Rödder, der maßgeblich an der Erarbeitung des neuen CDU-Grundsatzprogramms beteiligt ist, beschreibt den Effekt so: „Der Zusammenhang ist ganz offensichtlich: Es gibt internationale sozialwissenschaftliche Forschungen, dass die grüne Bewegung aus Klima- und Identitätspolitik die rechtspopulistische Gegenbewegung nährt. Heißt: Je ideologischer die Grünen auftreten und ihre Politik durchziehen, desto stärker wird, wie man das sozialpsychologisch nennt, die rechte Reaktanz, die in Deutschland auf das Konto der AfD einzahlt – und die muss nicht einmal aktiv etwas dafür tun.“

Drittens wächst in Deutschland ein mulmiges Abstiegs- und Ausgeschlossenheitsgefühl. Die Inflation wird in ihrer Tiefenwirkung von der Regierung völlig unterschätzt. Hinter abstrakten Zahlen vom Reallohnverlust und dem Verschweigen des geldpolitischen EZB-Versagens keimt eine üble Stimmung aus Wut und Scham. Wenn Millionen Deutsche plötzlich im Supermarkt an der Wurst für ihre Kinder sparen müssen, dann wird das Selbstbewusstsein einer Nation von innen erschüttert. Die Inflation wirkt dabei wie ein Augenöffner für den deutschen Niedergang insgesamt. Die Bürger erleben ihr einst stolzes Spitzenland mit einer alltäglich maroden Infrastruktur. Die Digitalisierung ist in jedem Urlaubsziel besser, Brücken sind allenthalben brüchig und gesperrt, der Wohnungsbau in Deutschland bricht ein, Straßen sind in miserablem Zustand, und während Millionen Pendler täglich in überlangen Staus stehen, müssen sie sich im Autoradio aus Berlin Debatten um Tempolimits anhören. Auf dem Land verschwinden Ärzte, Läden und Busse, in Apotheken fehlen Medikamente, Handwerker kommen nicht mehr zuverlässig, Industrieunternehmen verlassen das Land, auf Post, Bahn und den Flugverkehr ist schlechter Verlass und in allen möglichen internationalen Rankings wird Deutschland nach hinten durchgereicht. Es grassiert das weiträumige Gefühl: Deutschland sackt ab – nur in ökologischer Besserwisserei nicht. Die Hinwendung zum Rechtspopulismus wirkt in dieser Gemengelage wie ein plumper Rückgriff auf die vermeintlich besseren, alten Zeiten.

Viertens ist die Migrationskrise wieder da. Hunderttausende neue Flüchtlinge sind unterwegs, Italien hat den Notstand bereits ausgerufen, viele deutsche Kommunen schlagen ebenfalls Alarm. Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, warnt: „Die EU schlafwandelt in eine neue Migrationskrise, obwohl der rasant steigende Migrationsdruck offensichtlich ist.“ In der Bevölkerung wächst die Sorge, dass Deutschland seine Migrationskrise von 2015 wiederholt, dies aber kaum politisch adressiert wird. Während sich in immer mehr Gemeinden Notcontainer und Turnhallen mit neuen Flüchtlingen füllen, gibt es keine sichtbaren Entscheidungen aus Berlin, den Migrantenstrom zu steuern oder zu regulieren. Das eröffnet Rechtspopulisten einmal mehr das Tor für Stimmungsmache, denn laut ARD-Deutschlandtrend fordern vier von fünf Deutschen, Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Doch die Ampelregierung tut sich schwer, das umzusetzen oder eine andere echte Lösung des Problems herbeizuführen.

Fünftens wirkt das Mediensystem zuweilen wie ein unfreiwilliger Verstärker des Rechtsrucks. Der Versuch wichtiger Leitmedien, konfliktreiche Themen zu tabuisieren und rechte Opposition zu stigmatisieren, provoziert manchen Widerstand erst. Eine Allensbach-Umfrage kam 2021 zu dem Ergebnis, dass nur noch 45 Prozent der Deutschen das Gefühl haben, die politische Meinung frei äußern zu können. Das ist der niedrigste Wert in einer solchen Allensbach-Umfrage seit 1953. Wenn die Hälfte der Bevölkerung die Meinungsfreiheit derzeit für nicht ausreichend gewährleistet hält, dann ist das ein miserabler Befund für Medien, die vielfältige Meinungen eigentlich sichtbar machen sollten. Eine solche Einschätzung bildet zugleich den Nährboden für Verschwörungstheorien und Rechtspopulismus. Wenn Millionen die politisch korrekten Meinungskorridore – insbesondere die der öffentlich-rechtlichen Medien – für zu eng erachten, dann brechen immer mehr politisch in Extreme aus. Tatsächlich haben – ob Klimapolitik oder Euro-Inflation, ob Pandemiebekämpfung, Migrationskrise oder Ukrainekrieg – zu viele Medien die jeweils offizielle Regierungspolitik lautstark vertreten und kaum kritische Gegenöffentlichkeit ermöglicht. So wurden Kritiker der Pandemiepolitik zu rasch in eine rechte Querdenker-Ecke gestellt. Damit drängen auch Medien skeptische Normalbürger in die Arme der AfD, die bei allen Großdebatten der vergangenen Jahre zynisch berechnend immer die nonkonformistische Position gesucht hat. Die AfD hat erkannt, dass der Nonkonformismus in einer zu eng geführten Medienwelt eine eigene politische Kraft entfalten kann. Wenn Medien nämlich zu Besserungsanstalten der Nation mutieren, dann schadet der Konformismus des Guten der politischen Kultur und Demokratie. Die gegenwärtige Debatte über eine Reform von ARD und ZDF ist daher mehr als nur eine Nachjustierung der Finanzierung und Skandalbewältigung. Es geht auch um die Meinungsbalance in der Republik – und die sollte wieder breiter und offener werden, um Rechtspopulisten den informationellen Nährboden zu entziehen.

Quelle: ntv.de

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