Brutale Morde, Sprengstoffanschläge und Drogen: Seit Jahren wächst die Macht der sogenannten „Mocro Mafia“ in unserem Nachbarland. Nun drängt sie verstärkt nach Deutschland. Wie es dazu kam und was auf die Sicherheitsbehörden zukommt.
Ein Riesenknall riss die Anwohner am frühen Donnerstagmorgen in der Berliner Allee in Düsseldorf aus dem Schlaf. Vor einem Geschäftshaus in der City ging ein Sprengsatz hoch. Zeugen werden später berichten, dass ein dunkel gekleideter Mann nach der Explosion in ein Auto sprang und flüchtete.
Menschen wurden nicht verletzt, allerdings entstand ein großer Sachschaden. Die Kölner Polizei hat die Ermittlungen übernommen. Derzeit prüft man Verbindungen zu fünf Anschlägen, die vermutlich die niederländische Mocro-Mafia zwischen dem 29. Juni und dem 3. Juli begangen haben soll.
Auch wurden zwei Geiseln gekidnappt , die vor einer Woche in Köln-Rodenkirchen durch ein Spezialeinsatzkommando (SEK) aus dem Keller einer Villa befreit wurden. Hinter der rabiaten Gangart steckt ein Krieg mit einer Drogenbande, die dem niederländischen Syndikat 300 Kilogramm Marihuana im Wert von 1,5 Millionen Euro aus einem Lager im rheinischen Hürth geraubt hatte.
Nach Geiselbefreiungsaktion glaubten Ermittler, Lage hätte sich beruhigt
Nach der Geiselbefreiungsaktion glaubten die Ermittler, dass sich die Lage beruhigt hatte. Zumal sich die drei Auftraggeber der Entführung nach Holland abgesetzt hatten. Das neuerliche Sprengstoffattentat deutet darauf hin, „dass der Konflikt offenbar nicht beendet ist“. Die Ermittler befürchten, dass der Drogenkrieg weiter eskalieren könnte.
NRW-Innenminister Herbert Reul erklärte gegenüber FOCUS online: „Unsere Ermittler haben innerhalb von wenigen Tagen beachtliche Ermittlungserfolge vorzuweisen. Zahlreiche Durchsuchungen und Festnahmen senden ein klares Signal.“
Eines sei aber auch klar, so der CDU-Politiker weiter: „Die Arbeit ist noch nicht vorbei. Denn was wir jetzt sehen, ist eine neue Qualität im Kampf um den Markt um Drogen. Dabei hilft es auch nicht, dass manche Betäubungsmittel bagatellisiert werden.“
Der letzte Satz barg unverhohlene Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Cannabis-Liberalisierungsgesetz . Polizeiexperten melden seit der Einführung des Gesetzes einen explosionsartigen Anstieg der Nachfrage von Marihuana, der vor insbesondere niederländische Drogenkartelle mit marokkanischen Wurzeln auf den Plan ruft.
„Angels of Death“: Hauptakteure im niederländischen Kokaingeschäft
Wer aber sind diese Banden, die in den Niederlanden mit ihrem kriminellen Terror Anwälte, Journalisten, Ermittler, Justiz bis hin zum Königshaus bedrohten?
Am Beispiel des inhaftierten Paten Ridouan Taghi erklären sich die Hintergründe. Ende Februar 2024, nach einem sechsjährigen Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt, soll Thaghi etliche Auftragsmorde befohlen haben. In einer beispiellosen Gewaltwelle ließ er den Bruder des Kronzeugen der Anklage, dessen Anwalt nebst einer Vertrauensperson töten. Auch der prominente Investigativ-Journalist Peter des Vries fiel im Juli 2021 einem Killer zum Opfer.
Mit dem Mord an de Vries forderte die „Mocro-Mafia“, die vorwiegend aus marokkanischen Migranten der dritten Generation besteht, die niederländische Staatsmacht heraus. Taghi galt mit seiner Bande „Angels of Death“ als einer der Hauptakteure im niederländischen Kokaingeschäft. Von seiner Zentrale in Abu Dhabi aus führte er bis zu seiner Festnahme im Jahr 2019 sein Syndikat mit harter Hand. So sollen mindestens drei Morde an Bandenmitgliedern auf sein Konto gehen, die er als Polizeispitzel verdächtigt hatte.
Niederlande gleich Narco-Staat?
Der Fall Thagi offenbart das grundlegende Problem jenseits der Grenze. Manche Kolumnisten verglichen die Niederlande mit einem Narco-Staat. Längst gelten die Seehäfen wie Rotterdam als Einfallstor für Kokainlieferungen aus Südamerika. Hunderte Tonnen werden laut Europol über diese Stationen nach geschleust. Inzwischen ist das Nachbarland nicht nur berühmt für seinen Käse, sondern auch für seine synthetischen Drogen.
In den vergangenen 20 Jahren schossen die chemischen Rauschgiftlabore wie Pilze aus dem Boden. So gilt etwa eine Provinz in Limburg weltweit als das Silicon Valley der Ecstasy-Produktion. Inzwischen exportieren die Drogen-Gangs ihr Know-how auch nach NRW.
Bereits vor drei Jahren berichtete der Leitende Kriminaldirektor Achim Schmitz vom Landeskriminalamt NRW, dass Rauschgiftfahnder „zum Beispiel bei Cannabis-Plantagen und Drogenküchen zur Herstellung oder Pflege der Pflanzen gefunden haben, die von Experten aus den Niederlanden stammen.“ Auch waschen Finanzschieber an Rhein und Ruhr die Drogengelder der Narco-Gangs aus dem Oranje-Land.
Auch Mord gehört zum Geschäft
Mafia-Banden der süditalienischen N’Drangheta, die in NRW ihre Zentralen unterhielten, bezogen ihr Koks aus Kolumbien über Einfuhren in die Niederlande. Dabei ging es arbeitsteilig zu. Albanische Gruppierungen kontrollierten die Seehäfen. Gegen eine Provision holten sie den Stoff von den Containerschiffen aus Südamerika von Bord. Der Zoll wurde geschmiert. Wenn die Lieferungen aus Südamerika stockten, bedienten sich die Mafiosi örtlicher marokkanischer Großlieferanten.
Auch Mord gehört zum Geschäft. „In den Niederlanden sind wir mittlerweile bei 20 bis 30 Liquidationen im Jahr auf offener Straße“, berichtete Robin Hoffmann, Kriminologe an der Uni Maastricht. Die Gewaltspirale in den Niederlanden grassiert seit Jahr 2013. Damals verschwand im Hafen von Antwerpen eine große Kokain-Ladung. Das Morden begann. Ähnlich wie zu den Prohibitionszeiten in den US-Städten der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts löschten die Mocro-Banden nicht nur die Zielpersonen aus, sondern auch das Leben ihrer Killer.
„Außer den Auftragsmorden innerhalb der Szene kamen dann irgendwann auch die Attentate beispielsweise auf Journalisten und Anwälte dazu“, erläuterte Professor Hoffman dem Kölner Stadt-Anzeiger und FOCUS online. „Und diese Spirale, die dreht sich jetzt immer weiter. Dabei geht es vor allem darum, maximale Aufmerksamkeit zu erregen.“
Nach seinen Erkenntnissen stammen die Auftragsmörder aus den Hochhaussiedlungen in den prekären Vierteln. „Diese Leute fühlen sich abgehängt. Die führen den Auftragsmord für drei- bis fünftausend Euro durch.“ Je höher die Erfolgsrate, desto schneller klettern sie in der Bandenhierarchie hoch.
Aufstieg der Kokain-Barone hängt mit der liberalen Drogenpolitik zusammen
Der Aufstieg der Kokain-Barone hängt nach Ansicht des Kriminologen vor allem mit der liberalen Drogenpolitik zusammen. In den 70er Jahren billigte die niederländische Regierung den Konsum von Haschisch und Marihuana. Coffee-Shops avancierten zum Big Business.
Dann aber geschah Folgendes: Drogenbanden schmuggelten den Stoff aus Marokko und der Türkei im großen Stil in die Niederlande. Hier bauten die Dealer ein gut organisiertes Vertriebsnetz auf. „Das erstreckte sich über ganz Europa“, berichtet Hoffmann.
In den Niederlanden führte dies dazu, dass die Coffee-Shops am Tresen die Ware legal verkauften, die illegal durch die Hintertür eingeschleust worden war. Großzügig schauten die Behörden darüber hinweg.
In den 90er Jahren stiegen die Cannabis-Schmuggler auf härtere Drogen um. Der Koks-Handel versprach weitaus höhere Renditen. Mit den steigenden Gewinnen wuchs auch die Macht der Narco-Banden im Nachbarstaat.
Polizei und Justiz liefen Trend lange Zeit hinterher
Polizei und Justiz liefen dem besorgniserregenden Trend lange Zeit hinterher. Das liegt daran, dass in den Niederlanden ein anderes Rechtsprinzip gilt. Hier entscheiden die Provinzen über das Budget der Polizei und die Kriminalitätsschwerpunkte. Alles andere fällt weitgehend hinten runter.
Während Polizei und Justiz hierzulande jegliche Straftaten verfolgen müssen, entscheiden die niederländischen Kollegen, ob sie einem Verbrechen nachgehen oder nicht. So schraubten die Strafverfolger etwa den Kampf gegen marokkanische Geldautomaten-Sprengerbanden herunter. Da die Gangster überwiegend in NRW agieren, wurden die Ermittlungskommissionen bis auf eine eingestampft.
Ähnlich verhielt es sich lange Zeit mit den marokkanischen Rauschgift-Banden. Zwar hat die niederländische Regierung nach dem Mord an dem Journalisten de Vries eine halbe Milliarde für den Kampf gegen die „Mocro-Mafia“ locker gemacht. Für den Kriminologen Hoffmann liegen die Fehler aber in der Vergangenheit: „Man hat zu lange weggeschaut, das ist ganz klar.“