Messerangriffe und Gewalttaten in ganz Deutschland nehmen zu. Immer mehr Bürger haben Angst. Die Polizei gibt Tipps für den Umgang mit Aggression und rät zu „unerwartetem Verhalten“.
Stellen Sie sich vor, Sie werden von einer fremden Person am Arm gepackt. Möglicherweise steht Ihnen der Täter dann nicht gegenüber. Vielleicht hält er sogar ein Messer in der Hand. Wie verhalten Sie sich?
Eine schwierige Frage, auf die die Berliner Polizei eine bemerkenswerte Antwort gibt: Sie rät bei gefährlichem und gewalttätigem Verhalten zum Singen.
Was sich anhört wie ein schlechter Scherz, ist tatsächlich ernst gemeint. Die Polizei gibt den Berlinern auf ihrer Website Tipps im Umgang mit gewalttätigen Situationen und schreibt, dass „statistisch gesehen viele nie in eine“ solche Lage geraten werden. Andererseits wurden im letzten Jahr 48.200 Körperverletzungen erfasst. Die höchste Zahl seit zehn Jahren, die das Sicherheitsgefühl vieler Menschen drückt. Angst zu haben ist laut Polizei aber nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil.
Polizei: Gefühle sind eine Art „Gefahrenradar“
Nach Angaben der Polizei ist „Angst ein wichtiges Gefühl“, das „eine bedrohliche Situation ankündigt“. Alle Arten von Gefühlen seien eine Art instinktives „Gefahrenradar“. Deshalb sollte man sich „von Gefühlen leiten“ lassen und sie keinesfalls verdrängen. Trotzdem sei es „nicht nötig, ständig Angst zu haben, da Gewalt individuell nur sehr selten vorkommt“. Demgegenüber steht die steigende Zahl von Messerangriffen in ganz Deutschland.
Im vergangenen Jahr wurden in Berlin laut Polizei 3482 Messerangriffe verzeichnet. In 918 Fällen wurden Menschen schwer verletzt. Fast alle Verdächtigen, 87 Prozent, waren Männer, und mehr als die Hälfte, 53,5 Prozent, hatte keinen deutschen Pass. Zum Vergleich: Nur ein Viertel der Berliner hat keine deutsche Staatsangehörigkeit. Der Anteil ausländischer Täter ist also überproportional groß.
Diese Zahlen bleiben unerwähnt und auf bestimmte Waffen – also etwa Messer, Schlagstöcke, Macheten, Quarzhandschuhe, Schlagringe oder Scheren –, die ein Täter mit sich führen könnte, geht die Polizei nicht ein. Eine Anfrage der Berliner Zeitung, in der nach genaueren Angaben und möglichem Feedback von Betroffenen gefragt wurde, blieb bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unbeantwortet.
Bei den Verhaltenstipps unterscheidet die Berliner Polizei nicht zwischen den Geschlechtern. Frauen, Männer, Kinder – alle sollen sich möglichst unerwartet verhalten. „Täter erwarten von Ihrem Opfer meist ein bestimmtes Verhalten“, heißt es. Also sollen die Opfer „sich möglichst selbstbewusst geben und keine Angst zeigen“. Man soll also in den Kampfmodus umschalten. Zumindest fast.
Gegenwehr, vor allem dann, wenn das Gegenüber ein Messer zückt, ist keine gute Idee. Opfer sollten den Täter mit „überraschenden Aktionen verblüffen“. Bedeutet: „Täuschen Sie zum Beispiel Telefonate mit dem Handy vor. Simulieren Sie Krankheiten, Übelkeit oder fangen Sie laut an zu singen, um dadurch den Täter aus dem Konzept zu bringen.“
Der sicherste Ort? „Wo Sie in der Nähe von anderen Menschen sind“
Damit der Angreifer nicht provoziert wird, rät die Polizei zum Siezen. So sollen „Außenstehende erkennen, dass Sie von einem Fremden belästigt und bedroht werden“. Und wie sieht es mit der Teilnahme an Veranstaltungen aus? Zuletzt tötete ein syrischer Flüchtling, der eigentlich abgeschoben werden sollte, auf einem Solinger Stadtfest drei Personen mit einem Messer. Einfach wegzurennen, ist in einer solchen Lage unmöglich. Laut zu singen und einen Anruf zu simulieren, scheint ebenfalls kein probates Mittel zu sein.
„Straftaten werden meist dort begangen, wo sich Täter unentdeckt fühlen und sie keine Strafverfolgung und kein Entdeckungsrisiko fürchten müssen“, schreibt die Polizei. Denn letztlich sei man immer dort am sichersten, „wo Sie in der Nähe von anderen Menschen sind“. Man könne schreien oder anderweitig auf sich aufmerksam machen, heißt es noch im Text. Und: „Die Polizei rät vom Mitführen jeglicher Arten von Waffen ab.“