Im Endspurt setzt Kamala Harris auf Barack und Michelle Obama. Ihre letzten Umfragewerte sind nicht gut. Sie braucht dringend Hilfe.
Da ist er nun wieder im Einsatz: der Gang dynamisch, die Haare inzwischen weiß. Das altbekannte Strahlen blitzt kurz auf, aber in seinem Blick liegt von Anfang an Unruhe, Besorgnis, irgendetwas treibt ihn um.
Barack Obama, 63, steht in grauer Anzugshose und blauem Hemd auf der Bühne einer Unisporthalle in der ehemaligen Industriestadt Pittsburgh. Die Ränge sind voll, 4500 Besucher. Hinter ihm, wie immer, die überdimensionierte US-Flagge. Über den Großbildschirm flackert das Motto „Yes, She Can“, eine Abwandlung seines berühmten Wahlkampfslogans von 2008.
Trump als Präsident – ein Horrorszenario für Obama
Eigentlich wollte Obama längst eine Art Elder Statesman sein, der Grand Seigneur der Demokraten, der sich nur noch in Notfällen einmischt und sich ansonsten seinen eigenen Projekten in den Bereichen Film, Philanthropie, Selbstvermarktung widmet.
Aber das ist jetzt so ein Notfall: Der Wahlsieg von Kamala Harris ist in Gefahr, ja das ganze Land ist in Gefahr. Donald Trump steht vor der Tür des Weißen Hauses, dieser „stümperhafte Milliardär“, wie Obama ihn nennt, „der nicht aufhören kann, sich über seine eigenen Probleme zu beschweren, seitdem er vor neun Jahren die goldene Rolltreppe herunterkam.“ Es ist eine Vorstellung, die dem Ex-Präsidenten sichtlich zusetzt.
Und er schlägt hart zu, da wo es Trump besonders trifft: „Dieses Herumplappern und Verbreiten von verrückten Verschwörungstheorien. Diese 2-Stunden-Reden, Wortsalate, so wie bei Fidel Castro. Diese ständigen Versuche, Dir etwas zu verkaufen. Wer macht sowas?“
Barack Obama macht sich lustig über Trump – das ist jetzt seine Rolle
Obama zählt die absurdesten Dinge auf: goldene Trump-Turnschuhe für 399 Dollar, eine Trump-Uhr für 100.000 Dollar und die Trump-Bibel für 59,99 Dollar. „Er will, dass ihr Gottes Wort kauft, die Donald Trump-Ausgabe. Sowas kann man nicht erfinden.“
Es ist Obamas erster Auftritt im Wahlkampf, im wichtigsten Swing State Pennsylvania. Weitere sollen folgen, in den anderen umkämpften Bundesstaaten. Er soll es wieder richten. Er soll die Menschen an die Urnen treiben. Er soll sie motivieren, schon jetzt ihre Stimme abzugeben. In vielen Bundesstaaten, auch in Pennsylvania, hat das „early voting“ begonnen, die vorzeitige Stimmabgabe.
Wo ist Michelle Obama?
Auch Michelle Obama soll einsteigen. Auf dem Parteitag in Chicago hat sie gezeigt, wie viel Enthusiasmus sie an der Basis auslöst. Als Barack Obama sie kurz erwähnt, bricht sofort Jubel in der Halle aus, die Menschen fordern ihren Einsatz. In der Beliebtheitsskala liegt sie laut einer Umfrage des „Economist“ gemeinsam mit ihrem Mann Barack ganz oben, mehr als 90 Prozent der Demokraten verehren die beiden. Nach ihnen kommt lange nichts mehr, weder Bill Clinton noch Hillary Clinton oder Joe Biden.
Kamala Harris braucht die Obamas dringender als je zuvor. Die letzten Zahlen sind nicht gut, und Demokraten werden gerade nervös bis panisch. Nach ihrem fulminanten Start im August erreichte Kamala Harris ein Plateau und kommt nicht darüber hinweg. Im September lag sie in den meisten Umfragen noch vor ihrem Widersacher, doch seit einigen Tagen ist Trump in den wichtigsten Bundesstaaten vorbeigezogen, wenn auch knapp.
Das Misstrauen ihr gegenüber ist noch groß. Viele Wähler sagen, sie könnten sich noch kein Bild von Harris machen. Also stellt Obama sie in Pittsburgh noch mal vor: Er nennt sie eine „Anführerin, die ihr Leben lang für die Menschen gekämpft hat, die eine Stimme und eine Chance brauchen. Kamala ist so gut geeignet für diesen Job wie kein Kandidat vor ihr.“
Obama identifiziert das Problem: schwarze Männer
Bei den wichtigsten Wahlkampfthemen Inflation und Wirtschaft sehen die letzten Zahlen eigentlich gut aus, dennoch liegt Trump in den Umfragen auch da vor ihr. Beim Thema Einwanderung sowieso.
Vor allem unter schwarzen Männern sind die Umfragewerte bedenklich, auch unter Latinos. Laut New York Times erfährt Harris von ihnen weniger Unterstützung als Joe Biden 2020. Donald Trump versucht inständig, Schwarze und Latinos auf seine Seite zu ziehen, offensichtlich mit einigem Erfolg. Jeder vierte schwarze Mann unter 50 unterstützt Trump laut einer Umfrage der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People), Obama dagegen wusste mehr als 90 Prozent hinter sich.
Der Ex-Präsident spricht offen darüber, und man kann ihm die Verärgerung ansehen. „Ich will Euch ein paar Wahrheiten sagen“, beginnt er und verweist auf Berichte, dass der Enthusiasmus an der Basis gering sei und dass schwarze Männer der Wahl fernbleiben wollen. „Ein Teil von mir denkt – und ich spreche Euch Männer direkt an – dass ihr die Vorstellung einer Frau als Präsidentin nicht so toll findet und mit irgendwelchen anderen Argumenten und Entschuldigungen ankommt.“
Obamas Kritik gefällt nicht allen Afroamerikanern
Ab und zu bricht sein afroamerikanischer Slang durch, mit dem er Nähe signalisieren will. „Ihr überlegt, die Wahl auszusitzen oder jemanden zu unterstützen, der Euch mehrfach verunglimpft hat, weil ihr glaubt, dass das ein Zeichen von Stärke ist, weil das einen Mann ausmacht? Frauen niederzumachen? Das ist nicht akzeptabel.“
Obama wirkt verärgert. Er wirkt fassungslos. Vielleicht geht er etwas zu weit. Nach seiner Rede melden sich einige afroamerikanische Anführer zu Wort, die seinen Paternalismus kritisieren, die Bevormundung. Das Problem seien eher weiße Männer, die Trump mit großer Mehrheit unterstützen. Schwarze Männer stünden mehrheitlich hinter Harris.
Obama aber ist sich dessen bewusst. Er will das Thema gezielt setzen, auch die Diskussion darüber: Kann es sein, dass schwarze Wähler, die ihn noch zum ersten schwarzen Präsidenten machten, die erste schwarze Frau als Kandidatin im Stich lassen und damit einem verbürgten Rassisten zur Präsidentschaft verhelfen?
Er hat noch einiges zu tun bis zum 5. November.