Die Bundespolizei kontrolliert in Bayern an der A93 zwischen Deutschland und Österreich seit 2015 die Grenze – um illegale Migration einzudämmen. Ein Besuch im Grenzgebiet offenbart allerdings, wie leicht sich die Kontrollen umgehen lassen. Nicht mal Umwege sind dafür nötig.
Mittags ist der „Gasthof zur Post“ im oberbayerischen Kiefersfelden immer voll. Zu den Stammgästen gehören seit einigen Jahren Bundespolizisten. Kiefersfelden ist der letzte Ort direkt an der Grenze zu Österreich. Mehrere Dutzend Beamte sind hier stationiert, wie viele genau, will die Bundespolizei nicht verraten. Ihr Job: Die Grenze sichern und den Autobahn-Übergang zwischen Kiefersfelden und dem österreichischen Kufstein kontrollieren.
Was an den anderen deutschen Grenzen auf Weisung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erst neuerdings, seit dem 16. September, passiert, ist an der Autobahn A93 Richtung Innsbruck und Brenner seit 2015 Routine geworden. Eine ganze Infrastruktur hat sich auf die Bundespolizei eingestellt.
Direkt an der letzten Autobahnausfahrt vor Österreich hat die Gemeinde Kiefersfelden ein komplett neues Gewerbegebiet entwickelt. In eines der Gebäude zog ein Hotel ein. Das ist die bevorzugte Unterkunft der Bundespolizei. Jeder in Kiefersfelden weiß es, und man sieht es rund um die Uhr, denn auf dem Parkplatz vor dem Hotel stehen stets Kleinbusse der Bundespolizei, ebenso wie vor dem „Gasthof zur Post“ im Ort zur Mittagszeit.
Der Dienst dort ist offensichtlich beliebt, jedenfalls sagen das Beamte, wenn man vertraulich mit ihnen ins Gespräch kommt. Sie werden von Standorten in ganz Deutschland rotierend nach Kiefersfelden abgeordnet. Die Unterbringung sei gut, der Dienst nicht besonders aufwendig. Es gebe Zuschläge. Die Landschaft sei schön, die Berge unmittelbar vor der Haustür. Neben dem Hotel hat ein Outdoor-Ausrüster seine neue Zentrale mit Shop eingerichtet – auch dort sind Bundespolizisten Kunden.
Ob ihr Einsatz sinnvoll ist, gilt als umstritten. Die Gewerkschaft der Polizei monierte vor wenigen Tagen, die neuen Kontrollen seien kaum wirksam. Die Bundespolizei teilt auf Anfrage mit, von Januar bis Juli 2024 hätten ihre Beamten 11.418 unerlaubte Einreisen festgestellt.
Im selben Zeitraum des Vorjahres seien es etwas mehr gewesen, knapp 13.500. Im Grenzabschnitt vom Chiemgau bis zur Zugspitze zählte die Bundespolizei vergangenes Jahr 4800 illegale Grenzübertritte. Deutlich höher war vergangenes Jahr die Zahl neuer Asylanträge in Bayern, nämlich rund 50.000.
Die grüne Grenze steht offen
Kontrolliert wird dem Augenschein nach nur die Autobahn. Nur dort gibt es Container als Kontrollhäuschen, wo rund um die Uhr Beamte postiert sind. Gleich daneben befindet sich eine Tankstelle mit Lkw-Parkplätzen und einer Fläche, auf der die Bundespolizei eine provisorische Lkw-Halle und – auch aus Containern – eine Dienststelle mit Büros eingerichtet hat.
In der Regel werden Autos, Camper und Lastwagen einfach durchgewunken. Aufmerksam wurden die Beamten allerdings, als der WELT-Reporter dort fotografierte. Es dauerte etwa eine Minute, bis Beamte herbeieilten und den Ausweis kontrollierten.
Umgehen lässt sich die Autobahnkontrolle leicht. Wer von Kufstein nach Deutschland möchte, kann in unmittelbarer Nähe zwischen zwei Landstraßen wählen. Eine verläuft in Sichtweite am anderen Ufer des Inn. Es ist die österreichische Landesstraße 171, die am Inn-Ufer direkt nach Kiefersfelden führt, wo sie Kufsteiner Straße heißt.
Den exakten Verlauf der Staatsgrenze erkennt man daran, dass der Asphaltbelag auf österreichischer Seite neuer und dunkler ist, auf der deutschen dagegen ausgeblichen und ein wenig verschlissen. Die Strecke ist unter Kundigen vor allem im Winter beliebt, wenn sich der Verkehr nach Ski-Wochenenden auf der Autobahn Richtung Deutschland staut.
Auch dort gab es nach 2015 vorübergehend ein Kontrollhäuschen mit Bundespolizisten, die ab und zu Autos kontrollierten. Es ist aber schon lange abgebaut. Derzeit kontrolliert dort niemand.
Die andere Strecke ist weniger bekannt und etwas länger. Sie führt von Kufstein nach Ebbs und Niederndorf und weiter über eine Brücke über den Inn nach Deutschland zur Autobahn A 93. Auch dort gibt es keine Kontrollen. Beide Strecken bedeuten praktisch keinen Umweg. Darüber hinaus gibt es Dutzende kleine Nebenstrecken, die kaum oder nie kontrolliert werden.
Dass die grüne Grenze offen ist, weiß natürlich auch die Bundespolizei. Dem Eindruck von Kontrollverlust tritt sie gleichwohl entgegen: „Auch, wenn dem Anschein nach keine uniformierten Kräfte vor Ort sein sollten, bedeutet das daher nicht zwangsläufig, dass die Bundespolizei nicht präsent ist“, heißt es auf Anfrage. „Die Maßnahmen umfassen nicht nur die Grenzlinie, sondern auch den 30-Kilometer-Grenzbereich. Dabei geht die Bundespolizei anhand aktueller Lageerkenntnisse sowie aufgrund grenzpolizeilicher Erfahrungen vor.“
Und in schönstem Behördendeutsch weiter: „Hierdurch sollen insbesondere Ausweichbewegungen von grenzüberschreitend agierenden Straftätern erkannt und der Fahndungsdruck auf hohem Niveau gehalten werden.“
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die bayerische Politik.