88 Seiten Anklage

Was der Hausmeister von Compact mit dem Verbot des Magazins zu tun hat

20.07.2024
Lesedauer: 8 Minuten
Jürgen Elsässer, Gründer und Chefredakteur des Magazins Compact. dpa/tnn

Auf 88 Seiten begründet Innenministerin Faeser das Compact-Verbot. Unser Autor, Experte für den Verfassungsschutz, hat die Verfügung gelesen und stieß auf merkwürdige Begründungen.

In dieser Woche hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Monatsmagazin „Compact“ des Publizisten Jürgen Elsässer verboten. Es erreicht eine Auflage von ungefähr 40.000 Lesern – bei mehr als 80 Millionen Staatsbürgern. Das sei ein „harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene“ in Deutschland, sagte die Ministerin. Freilich war das bloß politisches Marketing. Das Verbot ist kein Zeichen von Stärke, sondern in Wahrheit von politischer Schwäche. Es erfolgt zu einer Zeit, in der es der Bundesregierung immer weniger gelingt, die Bürger von ihrer Politik zu überzeugen.

Der Autor dieses Textes hat Jürgen Elsässer im Jahr 2009 persönlich kennengelernt. Elsässer hatte ein kleines Büchlein mit dem Titel „Nationalstaat und Globalismus“ veröffentlicht. Sein Kernargument war damals schlagend – und ist es noch heute.

Man muss sich am Ende entscheiden: Entweder will man die Grenzen für alle offenhalten. Dann müsste man aber die sozialstaatlichen Leistungen radikal reduzieren, um Missbrauch durch bloße Armutszuwanderung zu verhindern. Das wäre das amerikanische Modell: Wer essen will, muss auch arbeiten.

Jürgen Elsässer: der „Dagegen-Mann“ hinter Compact

Oder es gibt die zweite Option, für die Elsässer schon vor 15 Jahren plädierte: Wer den Sozialstaat für eine zivilisatorische Errungenschaft hält, muss die Grenzen wieder unter Kontrolle bringen, damit Glücksritter das System nicht ausnutzen können und am Ende zum Einsturz bringen. Genau so machen es heute die Skandinavier. Entweder also amerikanische Weltoffenheit und Eigenverantwortung – oder skandinavischer Sozialpatriotismus bei gleichzeitiger Abschottung. Deutschland ist bis heute zwischen diesen beiden Optionen gefangen.

In unserem Gespräch war Elsässer durchweg freundlich und aufgeschlossen. Und er saß zugleich mit gehöriger Breitbeinigkeit da. Die kultivierte er nicht nur gegenüber seinem Gesprächspartner, sondern auch gegenüber seiner damaligen Lebenspartnerin – wenn ich mich recht erinnere – asiatischer Herkunft. Wahrscheinlich ist das ohnehin der entscheidende Punkt, also Elsässers Charakter. Verfassungsschutzrechtlich betrachtet ist das natürlich irrelevant. Und trotzdem könnte es mehr erklären als zahlreiche seiner politischen Äußerungen.

Elsässer ist ein Dagegen-Mann. Er stand schon vor Jahrzehnten auf der Seite der kleinen Leute. Immer ging es ihm darum, die „Abgehängten“ gegen das „Establishment“ zu verteidigen. Da damals der Zeitgeist konservativ war, war Elsässer natürlich links, „antideutsch“ sogar. Im Jahr 1996 veröffentlichte er einen Diskussionsband mit Sahra Wagenknecht. Während sie damals die „deutsche Kultur“ hochleben ließ, ätzte Elsässer gegen die „Zwangsstrukturen“ namens „Familie, Staat, Nation“.

Heute aber steht der politische Zeitgeist in den oberen Etagen eher links. Und wieder ist Elsässer dagegen. Nancy Faeser hat also die Zeitschrift eines Narzissten und Neurotikers verboten. Und nicht eines Mannes, der der Verfassung wirklich gefährlich werden könnte. Vor 15 Jahren warnte er noch vor dem furor teutonicus, der deutsch-nationalen Raserei. Heute ist er einer seiner effektivsten Lautsprecher.

Elsässer muss sich am Ende nicht darüber beschweren, es mit den staatlichen Behörden zu tun bekommen zu haben. Deren Beweislage ist – wie fast immer – weniger eindeutig, als die Zuständigen es behaupten. Aber sie ist doch eindeutiger als in anderen Fällen. In der insgesamt 88 Seiten umfassenden Verbotsverfügung, die dieser Zeitung vorliegt, wird Elsässer zum Beispiel wie folgt zitiert: „Wir wollen dieses Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, indem wir uns hinter den warmen Ofen oder den Computer verziehen und irgendwelche Texte wie eine Laubsägearbeit auf den Markt bringen. Sondern das Ziel ist der Sturz des Regimes.“

Alles kommt darauf an, was genau Elsässer unter „Regime“ versteht. Wenn damit die aktuelle Bundesregierung gemeint und der „Sturz des Regimes“ durch demokratische Wahlen vonstatten gehen soll, wäre das kein Fall für den Verfassungsschutz. Wenn aber in Wahrheit die demokratische Staatsordnung gemeint ist, sieht es anders aus. In der Verbotsverfügung gibt es Beispiele, die in beide Richtungen weisen. Die Durchführung oder Vorbereitung von Gewalthandlungen wird Elsässer und Co. allerdings nicht vorgeworfen.

Elsässer also will das „Regime“ stürzen und dieses wehrt sich nun dagegen. Man könnte den Fall daher für eindeutig halten. Er ist es aber nicht. Es ist nicht verfassungsfeindlich, verfassungsfeindlich zu denken. Man könnte sogar sagen: Genau diese Möglichkeit ist der Sinn der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Die Verfassung erlaubt es nicht nur ausdrücklich, dass jeder Bürger regierungskritische Gedanken hegt. Jeder darf Staat und Demokratie sogar ganz ablehnen. Nur eines darf auch ein verfassungsfeindlicher Bürger nicht tun: sich politisch aktiv gegen den Kern der Verfassung betätigen. Er darf, wie die Juristen es sagen, also keine „Bestrebung“ verfolgen.

Professor zur Verbotsverfügung: „Juristische Klippschule“

Aber genau das wirft man Elsässer und seinen Mitarbeitern vor. Dabei geht es um drei Dimensionen. Elsässer wolle mit seinem Magazin erstens auf die Willensbildung des Volkes Einfluss nehmen. Das ist ein dusseliges Argument. Genau das ist ja der Sinn von „Presse“. Dann würde die Arbeit von „Compact“ zweitens zur verfassungsfeindlichen Radikalisierung von Bürgern führen. Als Beleg hierfür wird in der Verbotsentscheidung auf den Hausmeister verwiesen.

Der hätte im Frühjahr des Jahres 2023 zu Jürgen Elsässer mit Blick auf den amtierenden Bundeswirtschaftsminister angeblich das Folgende gesagt: „Ich hab schon überlegt, ich hab ja hier die Knarre, ich müsste dem Habeck mal ein Auge ausschießen.“ Die Schlussfolgerung des Bundesinnenministeriums: Der in den Akten namentlich genannte Hausmeister „kann somit als Beispiel dafür angeführt werden, wie sich die Anhänger von ‚Compact‘ dazu bereiterklären, jederzeit für die verfassungsfeindlichen Ziele des Vereins einzutreten bzw. diese umzusetzen.“ Der Nachweis darüber, dass der Hausmeister diese Stammtischparole wirklich ernst meinte und sie außerdem ein Ergebnis der Lektüre von „Compact“ war, findet sich in der Verfügung des Innenministeriums freilich nicht.

Deshalb geht die Behörde in ihrem Verbot noch einen Schritt weiter – und das ist am Ende der dritte, entscheidende Punkt. Das Magazin „Compact“ sei gar „kein ‚Markt der Meinungen‘“, sondern gebe bloß die Meinungen Elsässers wieder. Was das Innenministerium damit sagen will: Es handelt sich nicht um ein echtes Presseerzeugnis und unterliegt daher auch nicht der durch die Verfassung garantierten Pressefreiheit.

Volker Boehme-Neßler ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Oldenburg und hat sich die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums angesehen. Juristisch betrachtet, sagt er, stünden ihm die „Haare zu Berge“. Das sei alles auf dem Niveau eines Jurastudenten im ersten Semester geschrieben. Das sei „juristische Klippschule“.

Da wäre zunächst das Problem, ein Medienunternehmen – organisiert über eine GmbH – zu einem Verein umzudeklarieren, um es anschließend leichter verbieten zu können. In Paragraf 2 des Vereinsgesetzes heißt es hierzu: „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“

Ganz zugespitzt könnte man dann auch schon jede Ehe zu einem „Verein“ erklären und dem Vereinsrecht unterwerfen. „Das war mit Sicherheit nicht das, was der Gesetzgeber ursprünglich wollte“, sagt Boehme-Neßler. Würde diese Gesetzesauslegung Schule machen, könnte im Zweifel jede Zeitung dieser Republik zu einem „Verein“ uminterpretiert und verboten werden, falls sie sich aus Sicht der Regierung missliebig äußerte. Und dies wäre nichts anderes als das Ende der Pressefreiheit.

Und genau an dieser Stelle wird der Rechtsprofessor ein wenig emotional: „Unsere repräsentative Demokratie ist ohne freie Presse schlicht undenkbar. Demokratie bedeutet, dass alle Bürger das gleiche Recht haben, an der politischen Herrschaft beteiligt zu werden. Die Presse soll dabei einen ‚Markt der vielfältigen Meinungen‘ ermöglichen. Es soll einen Wettstreit um die besten Ideen geben.“ Greife die Regierung in diese Meinungsbildung ein, drohe ein Schaden an der Demokratie. Es geht im Falle Elsässer also gar nicht in erster Linie um die Frage, ob sein Magazin „Compact“ extremistisch ist oder nicht. Es geht um die Frage, ob eine Demokratie auch Extremisten aushalten können muss, sofern diese nicht gewalttätig werden, sondern bloß für ihre Meinung werben.

Verbotsbegründung: Hat Nancy Faeser verfassungswidrig gehandelt?

Historisch betrachtet hat Professor Boehme-Neßler ohnehin recht. Im 19. Jahrhundert, als es noch um die Erkämpfung der Demokratie ging, standen vor allem der Kampf gegen die Zensur und für das Recht auf freie Meinungsäußerung aller im Vordergrund. Meinungs- und Pressefreiheit sind historisch betrachtet also nicht nur die Gründungsmythen der deutschen Demokratie. Sie sind die wichtigsten politischen Grundrechte überhaupt.

Und genau an dieser Stelle zeigt sich die größte Schwäche der Verbotsbegründung. Hier liegt ein fundamentaler Eingriff in die Pressefreiheit über den Umweg des Vereinsrechts vor. Diese Möglichkeit wird über Artikel 9 des Grundgesetzes zwar ausdrücklich eröffnet. Aber es stehen sich hier verschiedene Rechtsgüter gegenüber, zwischen denen eigentlich abgewogen werden müsste. Das Innenministerium verzichtet schlicht mit den Worten darauf, dass die Pressefreiheit gemäß Artikel 5 Grundgesetz „nicht zum selbständigen Prüfungsmaßstab erhoben“ werden müsse.

Die Verbotsverfügung gegen das Magazin „Compact“ täusche daher eine echte Rechtsgüterabwägung am Ende bloß vor, so der Rechtsprofessor. Er nennt es denn auch eine „simulative Rechtsprüfung“. An keiner Stelle werde in der Verbotsverfügung ernsthaft die Frage erwogen, ob man die Pressefreiheit durch das Vereinsrecht durchbrechen dürfe. Ob also ein fundamentales Grundrecht durch eine bloße Regierungsentscheidung aufgehoben werden kann.

Boehme-Neßler rechnet damit, dass die Entscheidung von Nancy Faeser (SPD) spätestens vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wird: „Und falls es so weit käme, müsste sie eigentlich zurücktreten. Immerhin wäre dann erwiesen, dass sie ausgerechnet als Verfassungsministerin selbst absichtsvoll verfassungswidrig gehandelt hätte.“

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