Bislang verweigert Telegram deutschen Ermittlern selbst für die Aufklärung schwerer Straftaten wichtige Informationen. Das hat sich jetzt offenbar verändert, was mit Ermittlungen gegen den Chef Durow zusammenhängen könnte.
Seit Jahren ist der Messengerdienst Telegram den Sicherheitsbehörden ein Dorn im Auge. Hier tummeln sich Kriminelle und Extremisten; es wird gehetzt, gedroht, mit illegalen Waren wie Drogen oder Waffen gehandelt, es werden sogar Terroranschläge geplant.
Nachrichtendienste und Polizei können zwar oft ganz einfach mitlesen, was auf der Plattform passiert – aber Tatverdächtige zu ermitteln, erweist sich bislang als große Herausforderung. Denn deutsche Ermittler bekamen lange Zeit über beim Betreiber kaum wertvolle Informationen über die Telegram-Nutzer heraus, wie beispielsweise deren individuelle IP-Adresse des Internet-Anschlusses oder ihre Telefonnummer – anders als etwa bei Facebook, beim Twitter-Nachfolger X oder bei TikTok.
Kooperation bisher verweigert
Telegram hatte seinen Nutzern stets Anonymität zugesichert und sogar offen erklärt, nicht mit Behörden zusammenzuarbeiten. Noch im August hatte das Bundeskriminalamt auf Anfrage erklärt, Telegram habe die Beauskunftung von Bestandsdaten „zuletzt abgelehnt“.
Jetzt aber kommt offenbar Bewegung in die Sache. Darauf deuten bereits Angaben von Telegram selbst hin: Der „Transparency Report“ der Plattform weist auf Nachfrage für Deutschland aus, dass im Jahr 2024 insgesamt 53 Anfragen aus Deutschland „zu IP-Adressen und/oder Telefonnummern“ von Nutzern beantwortet worden seien. Insgesamt seien davon bislang 115 Nutzer betroffen gewesen.
„Notfallersuche“ werden beantwortet
In deutschen Sicherheitskreisen wird das veränderte Antwortverhalten von Telegram bestätigt. Seit kurzer Zeit, so erfuhren WDR und NDR, stelle das Bundeskriminalamt (BKA) fest, dass Telegram „wieder Bestandsdaten und bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben auch Emergency Disclosure Requests“ – sogenannte Notfallersuche – beantwortet.
Anfragen deutscher Behörden etwa zu religiösem Extremismus und Terrorismus seien „zeitnah beantwortet“ worden. Polizeien in den Bundesländern sollen darüber hinaus auch bei anderen Delikten inzwischen Antworten von Telegram erhalten haben, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Bereits Ende September hatte Telegram seine Datenschutzrichtlinien überarbeitet. Dort heißt es nun, dass Telegram die Anfragen von Strafverfolgungsbehörden zu mutmaßlich kriminellen Aktivitäten von Nutzern zunächst überprüfen und dann gegebenenfalls den Ermittlern auch IP-Adressen und Telefonnummern zur Verfügung stellen werde.
Führte Festnahme zu Gesinnungswechsel?
In deutschen Sicherheitskreisen geht man davon aus, dass der Wandel vor allem einen Grund haben könnte: die zeitweilige Festnahme des Telegram-Gründers Pawel Durow in Frankreich. Durow, der seit 2021 auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde am 24. August in Paris am Flughafen festgenommen, als er gerade von einer Reise aus Aserbaidschan zurückkehrte. Wenige Tage später kam er gegen Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Euro wieder frei, muss sich nun allerdings regelmäßig bei der französischen Polizei melden und darf Frankreich nicht verlassen.
Durow bezeichnete die Ermittlungen in einer öffentlichen Stellungnahme Anfang September als „fehlgeleitet“. „Wir entfernen jeden Tag Millionen von schädlichen Beiträgen und Kanälen. Wir veröffentlichen täglich Transparenzberichte.“ Durows Anwalt ließ eine Anfrage von WDR und NDR zu der nun stattfindenden Kooperation mit deutschen Behörden unbeantwortet.
Durow droht lange Haft
Durow droht nun ein Prozess und womöglich eine lange Haftstrafe: Die französische Justiz wirft ihm Beihilfe zu Cyberkriminalität vor. Als Geschäftsführer von Telegram soll er nichts gegen illegale Aktivitäten auf seiner Plattform, wie etwa Drogen- und Waffenhandel, sowie die Verbreitung von Aufnahmen von sexuellem Missbrauch von Kindern unternommen haben. Außerdem soll er die Weitergabe von Nutzerdaten an französischen Strafverfolgungsbehörden verweigert haben.
Bemerkenswert war die Reaktion aus Moskau auf die Festnahme Durows, der auch russischer Staatsbürger ist. Der Kreml kritisierte die Festnahme und sprach von einer Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Vor rund zehn Jahren hatte Durow Russland verlassen. Nach Medienberichten war er zuvor mit dem Sicherheitsapparat aneinandergeraten. Unklar ist, wie heute die Beziehung Durows zum Kreml ist.
Telegram spielt in vielen Ländern eine unterschiedliche Rolle. In autoritär geführten Ländern wie Belarus nutzen bislang zum Beispiel viele Regimekritiker die Plattform, weil sie anonym und sicher kommunizieren wollen. In Deutschland ist Telegram etwa bekannt als Plattform für Verschwörungsideologen oder Rechtsextremisten.
Jahrelange vergebliche Bemühungen in Deutschland
In Deutschland hatte die Ampel-Regierung der Plattform den Kampf bereits 2022 angesagt – war dabei allerdings nicht weit gekommen. Bundesinnenministerium Nancy Faeser drohte Telegram zwischenzeitlich gar eine „Abschaltung“ in Deutschland an, etwa das Entfernen aus App-Stores. Bundesjustizminister Marco Buschmann wiederum ließ ein Bußgeldverfahren gegen Telegram einleiten. Die Schreiben landeten allerdings anfangs wohl nur in einem Briefkasten in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem offiziellen Sitz von Telegram.
Über eine Kanzlei in Deutschland wehrte sich Telegram später gegen das Bußgeld. Der Fall liegt seit mehr als einem Jahr beim Amtsgericht Bonn und ist dort noch anhängig.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es sich bei Telegram um ein soziales Netzwerk handelt, das deshalb dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unterliegt. Betreiber sind demnach dazu verpflichtet, gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Beim BKA war man zwischenzeitlich so frustriert, dass man Telegram mit Anfragen „fluten“ wollte, um eine bessere Kooperation zu erreichen.
Beamte aus Innen- und Justizministerium tauschten sich schließlich noch 2022 direkt mit Vertretern der Unternehmensspitze des Messengers aus – aber obwohl Telegram eine größtmögliche Kooperationsbereitschaft mit den deutschen Behörden erklärt haben soll, blieb der Austausch lange Zeit weit hinter den deutschen Erwartungen zurück.