Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verpflichtet das Bundesinnenministerium, dem Online-Portal „Nius“ Auskunft zu erstatten. Hintergrund war die Frage, gegen welche Medien die Regierung vorgeht. Rechtsanwalt Steinhöfel sprach von „Kaltschnäuzigkeit“ im Umgang mit der Presse.
Das Bundesinnenministerium (BMI) muss dem Nachrichtenportal „Nius“ mitteilen, gegen welche Journalisten es im Jahr 2022 mit einem Unterlassungsbegehren vorgegangen ist. Auch muss das BMI offenlegen, aus welchem Grund es die Berichterstattung beanstandete. Dies entschied der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg am Montag und gab damit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von „Nius“ statt. Der Beschluss, der WELT vorliegt, kann nicht mehr angefochten werden.
Hintergrund war eine Anfrage von „Nius“ an sämtliche Bundesministerien. Die Journalisten um den früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt wollten wissen, ob und wenn ja wegen welcher Äußerungen seit Amtsantritt der Ampel-Regierung gerichtliche oder außergerichtliche Unterlassungsbegehren gegen Medien oder Journalisten geltend gemacht wurden. Damit wollte „Nius“ herausfinden, ob ein „generelles und bisher unübliches“ neues Phänomen vorliege, dass der Staat verstärkt gegen mediale Äußerungen vorgehe – oder aber, ob nur bestimmte Journalisten wie etwa die von „Nius“ im Fokus stünden.
Die Vorgeschichte: „Nius“ hatte vermehrt mit Klagen der Bundesregierung zu tun. Unter anderem hatten das Bundesentwicklungsministerium, das BMI und die Antidiskriminierungsstelle (ADS) von Ferda Ataman versucht, Berichterstattung oder Überschriften von „Nius“ gerichtlich zu untersagen. In anderen Fällen weigerten sich dieselben Stellen, den Journalisten von „Nius“ Auskunft auf Presseanfragen zu erteilen. In sämtlichen Gerichtsverfahren bekam „Nius“ Recht, die Bundesregierung unterlag. Vertreten wird das Portal durch den Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel.
Das aktuelle Verfahren greift nun eine Reaktion des BMI auf die journalistische „Nius“-Anfrage auf. Das Ministerium von Nancy Faeser (SPD) hatte geantwortet, in einem einzigen Fall gegen Journalisten außergerichtlich vorgegangen zu sein. Gegen wen und warum man eingeschritten war, wollte das BMI aber nicht sagen. Dies aber hielt „Nius“ für relevant, um etwa beurteilen zu können, ob es mehr im Fokus von Unterlassungsklagen stehe als andere Medien.
Mit Recht, befand der Senat. In seiner Begründung macht das Gericht ein gesteigertes öffentliches Interesse und einen „Aktualitätsbezug“ der Frage geltend, wessen Berichterstattung das Ministerium verhindern wollte. Das Gericht äußerte sich außerdem inhaltlich in seiner Begründung. Dass die Bundesregierung mithilfe externer Anwälte gegen regierungskritische Berichterstattung vorgehe, sei ein „neues Phänomen“, an dem großes öffentliches Interesse bestehe, stellten die Richter fest. Mit der verpflichtenden Auskunft des BMI könnten sich Hinweise ergeben, ob die Bundesregierung „gezielt gegen bestimmte Journalisten“ vorgehe und ob sich daraus „ein Muster ableiten“ lasse.
In seiner Begründung stellte der Senat klar, dass der presserechtliche Auskunftsanspruch genauso für das Portal „Nius“ wie für die Presse und den Rundfunk gelte. „Nius“ sei ein „im Internet frei zugängliches, audiovisuelles und journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot“. Deshalb sei es im Hinblick auf den Auskunftsanspruch der Presse oder dem Rundfunk im funktionalen Sinn gleichzustellen, heißt es.
Rechtsanwalt Steinhöfel gewann im Jahr 2024 bereits 14 presserechtliche Verfahren gegen verschiedene Regierungsstellen, zum Großteil im Auftrag von „Nius“. Zum aktuellen Gerichtsbeschluss sagte Steinhöfel WELT: „Darüber kann man sich als Anwalt freuen oder als Bürger fassungslos sein angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der diese Regierung die Rechte der freien Presse rechtswidrig ignoriert.“