In einer neuen ARD-Dokumentation will „Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer herausfinden, wie es um unsere Demokratie bestellt ist. Unter anderem trifft sie dafür den Biathlon-Weltmeister Erik Lesser, der sich in Bezug auf „die Flüchtlingsthematik“ über einen Mangel an Meinungsfreiheit ärgert.
Am Sonntag, 1. September, wird es ernst: Die ersten Landtagswahlen im Osten stehen an, bundesweit beobachtet mit einer Mischung aus Spannung und Sorge. Gewählt wird in Thüringen und Sachsen. Immer öfter stellt sich dort und im ganzen Land die Frage, warum so viele Menschen die Demokratie kritisch betrachten. Was treibt die Skeptiker an – und wonach streben sie? Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Journalistin Jessy Wellmer, die seit Herbst 2023 die „Tagesthemen“ moderiert und in ihrem Buch „Die neue Entfremdung“ die Unterschiede zwischen Ost und West beleuchtet, begibt sich kurz vor den wichtigen Ost-Wahlen in der ARD-Doku „Machen wir unsere Demokratie kaputt?“ (Montag, 26. August, 20.15 Uhr, im Ersten, und abrufbar in der ARD Mediathek) auf die Suche nach Antworten.
Eigens für den Film wurde eine Umfrage bei Infratest Dimap in Auftrag gegeben, die Einstellungen und Meinungen der Deutschen zur Demokratie ausleuchten soll. Sie fördert erkenntnisreiche Ergebnisse zutage. So sind etwa 46 Prozent der Befragten „weniger oder gar nicht zufrieden“ mit „der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert“, heißt es im Film. In Ostdeutschland ist die Zahl der Unzufriedenen mit 55 Prozent noch höher.
„Das ist keine Einladung zum Dialog, das ist eine Einladung zur Hinrichtung“
Auch der ehemalige mittelsächsische Landrat Dirk Neubauer sorgt sich um die Demokratie. Der Politiker ist von seinem Amt zurückgetreten, weil er die Bedrohungen und Anfeindungen von Rechtsextremen nicht mehr erträgt: „Der unfassbare Hass, der da wächst – das hat schon eine Dimension, die ist schwer zu ertragen.“
Im Gespräch mit Jessy Wellmer berichtet er: „Es ist jetzt nicht so, dass mir jeden Tag jemand geschrieben hätte, dass er mich um die Ecke bringen will. Das ist alles betont freundlich. In diesen Mails wird suggeriert, wir wollen Kommunikation, und wenn Sie dann Bilder von der Veranstaltung sehen, dann sehen Sie mich in Sträflingskleidung.“ Neubauer stellt klar: „Das ist keine Einladung zum Dialog, das ist eine Einladung zur Hinrichtung.“
Ihm selbst sei es denkbar schwer gemacht worden, sich politisch zu engagieren. Gerade deswegen hält Neubauer es für so wichtig, für die Demokratie einzutreten. „Aus meiner Sicht wird es Zeit, dass wir verstehen, dass es auf jeden einzelnen ankommt“, betont er. Demokratie sei „überlebenswichtig für uns alle“, mahnt der gebürtige Sachse. „Wenn wir nationalistischen Bestrebungen weiter Tür und Tor öffnen, dann werden wir in Schutt und Asche enden. Es ist nicht nur fünf vor zwölf, es ist zehn nach zwölf.“
Flüchtlingsdebatte: Lesser kann „verstehen, dass manche Leute total genervt sind“
Ähnlich sieht das der Ex-Biathlet Erik Lesser. „Wenn die AfD den Ministerpräsidenten stellen würde, da hab ich wirklich Befürchtungen für mich im sportlichen Bereich“, sagt der gebürtige Thüringer und erklärt, sich um die Demokratie zu fürchten. Bedenken hat er jedoch auch in puncto Meinungsfreiheit. Die sei vor allem in Bezug auf die Geflüchtetenpolitik gefährdet, glaubt Lesser. „Wenn jemand hilfsbedürftig ist, dann komm – wir helfen dir dabei, dass du sicher leben kannst. Wenn derjenige aber einen Teufel tut, sich einzubringen in die Gesellschaft, auch die Gesellschaft zu akzeptieren, dann sag ich: Da ist die Tür, du kannst dich gleich wieder vom Acker machen.“
Lesser fordert, das Thema „medial mal wieder in den Fokus zu holen“ – da unterbricht ihn Jessy Wellmer. „Das passiert doch andauernd“, widerspricht sie ihrem Interviewpartner. „Es wird doch in allen möglichen Zeitungen verschieden diskutiert, es gibt Kommentare in jede Richtung, in allen Facetten. Es dringt irgendwie nicht zu mir, wie Menschen da der Ansicht sein können, nicht ihre Meinung äußern zu dürfen. Es passiert doch überall!“ Das sieht der Sportler anders: „Bei dieser Flüchtlingsthematik hat man über die letzte Zeit schon das Gefühl gehabt hat, dass da vieles nicht ausgesprochen wurde“, findet er. „Und wenn man da gesagt hat: Na ja, die sollen sich mal vom Acker machen, wenn sie sich nicht integrieren wollen – kommt die N.zikeule. Da kann ich schon auch verstehen, dass manche Leute total genervt sind.“
Vor allem Wähler der AfD scheinen diese Einstellung zu teilen. „Kann man in Deutschland seine Ansichten und Meinungen aussprechen, ohne dadurch ernsthafte persönliche Nachteile zu haben?“, lautet eine der Fragen, die der Sender im Rahmen der Demokratie-Umfrage gestellt hat. In der Gesamtbevölkerung halten 59 Prozent die Meinungsfreiheit für gegeben; 37 Prozent stimmen der Fragestellung nicht zu. Unter den befragten AfD-Wählern hingegen glauben 79 Prozent, dass die eigene Meinung hierzulande nicht mehr ohne Konsequenzen ausgesprochen werden kann.
Dieter Nuhr: „Ich habe nie behauptet, dass man nichts mehr sagen darf“
„Die Meinungsfreiheit ist ganz pauschal in Deutschland auch sehr gut aufgestellt, weil zumindest von staatlicher Seite ja keine Konsequenzen drohen“, macht indes der umstrittene Kabarettist Dieter Nuhr in der Dokumentation deutlich. Einst behauptete er in einem Interview, Leute würden „mundtot“ gemacht. Im Interview mit Jessy Wellmer ruderte er nun zurück: „Ich habe nie behauptet, dass man nichts mehr sagen darf.“ Er kritisiere lediglich das „Meinungsklima“ und vermisse „die Bereitschaft, zu akzeptieren, dass jemand anders denkt. Das ist schon über weiter Strecken flöten gegangen.“
Die Demokratie hält Dieter Nuhr in zweierlei Hinsicht für gefährdet: Von rechter Seite sehe er eine „noch unfassbare Intoleranz“ sowie einen „schlimmen Willen zur Unwissenschaftlichkeit“. Von linker Seite sei es indes „insofern schlimm, als dass es eine große Dominanz hat in bestimmten Bereichen der Gesellschaft“.
Laut den Befragten der ARD-Studie liegt das Gefahrenpotenzial vor allem rechts: Für „die aktuell größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland“ halten 30 Prozent „Rechtsextremismus und Rechtspopulismus“. Weitere 18 Prozent halten „falsche Politik und Abgehobenheit von Politik(ern)“ für eine Bedrohung; neun Prozent wiederum betrachten Migration als die größte Gefahr für die Demokratie. (tsch)