Chatkontrolle:

„Ein Massenüberwachungsapparat von orwellschem Ausmaß“

18.06.2024
Lesedauer: 3 Minuten
Threema bot früh einen verschlüsselten Messenger an. Die App hat in Deutschland eine recht große Anhänger:innenschaft. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek

Nach dem Messenger Signal hat sich auch Threema in deutlichen Worten gegen die Chatkontrolle ausgesprochen. Sollte die Verordnung in der aktuell geplanten Form kommen, könnte der Messenger Europa verlassen. Am Donnerstag wird im EU-Rat abgestimmt.

Der Schweizer Messenger Threema hat sich mit scharfen Worten gegen die in der EU geplante Chatkontrolle gestellt. In einem Blogbeitrag schreibt das Unternehmen, dass mit der Chatkontrolle „ein Massenüberwachungsapparat von orwellschem Ausmaß“ eingerichtet werden solle. Das Projekt müsse gestoppt werden.

Die Chatkontrolle wird voraussichtlich am Donnerstagmorgen im EU-Rat abgestimmt. Die bisherige Sperrminorität gegen das Vorhaben wackelt, weil Frankreich Zustimmung signalisiert hat. Würde der Rat für die Chatkontrolle votieren, könnte sie in die Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament gehen.

Der Messenger Threema, der schon 2012 verschlüsselte Kommunikationsdienste angeboten hatte, nennt die Folgen einer möglichen Einführung der Chatkontrolle „verheerend“. Unter dem Vorwand von Kinderschutz würde es EU-Bürger:innen unmöglich gemacht, sicher und privat im Internet zu kommunizieren, heißt es im Beitrag:

Die massive Verschlechterung der Datensicherheit wäre ein schwerer Schlag für den Standortvorteil des europäischen Marktes, und gewisse Berufsgruppen wie Anwälte, Ärzte und Journalisten könnten ihrer Schweigepflicht bzw. dem Quellenschutz im Internet nicht mehr nachkommen. Und das alles, ohne dass Kinder auch nur ein wenig besser geschützt wären.

„Nicht mit Demokratie vereinbar“

Unabhängig von der technischen Umsetzung der Chatkontrolle, hält Threema die mit der Chatkontrolle einhergehende Massenüberwachung für nicht mit der Demokratie vereinbar. Zudem sei sie unwirksam und untergrabe die Datensicherheit.

Der Messenger warnt auch davor, dass es später keinen Weg gäbe um zu überprüfen, ob die Chatkontrolle wirklich nur bei CSAM (Missbrauchsmaterial) Anwendung finde: „Ist der Massenüberwachungsapparat erst einmal implementiert, kann er leicht für das Erkennen anderer Inhalte als CSAM erweitert werden, ohne dass dies jemand merkt“, so Threema. Aus Sicht eines Dienstbetreibers sei der Erkennungsmechanismus, der von Dritten entwickelt und unterhalten würde, nichts anderes als eine Blackbox.

Sollte die EU-Verordnung zur Chatkontrolle in einer Form durchkommen, die verschlüsselte Kommunikation untergräbt, möchte Threema zuerst alle Optionen wie rechtliche Schritte und technische Workarounds prüfen. Sollte es keinen anderen Weg geben „werden wir andere Kommunikationsdienste aufrufen, die EU mit uns zu verlassen.“

Auch Signal-Messenger gegen Chatkontrolle

Am Montag hatte auch Meredith Whittaker, die Chefin des Signal-Messengers, den belgischen „Kompromissvorschlag“ kritisiert. Mit dem Begriff „Upload Moderation“ hätte die belgische Ratspräsidentschaft der Technologie des Client-Side-Scannings nur einen neuen Namen verpasst, das Scannen bleibe aber das gleiche. Es sei letztlich egal, ob man das Untergraben von Verschlüsselung nun Hintertür, Vordertür oder „Upload Moderation“ nenne, der Effekt bleibe gleich, so Whittaker. Sie warnt vor einer „gefährlichen Schwachstelle in der Kerninfrastruktur“, die außerdem über Europa hinaus globale Auswirkungen hätte.

„Es gibt keine Möglichkeit, die Integrität der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu bewahren und gleichzeitig verschlüsselte Inhalte der Überwachung auszusetzen“ schreibt Whittaker in einem Statement (PDF). Dieser Kritik hatte sich auch der Chaos Computer Club angeschlossen.

Über die Autor:in

Markus Reuter

Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky.

Kontakt: E-Mail (OpenPGP)

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