Die NSDAP hat ihren Aufstieg zur Macht von Thüringen aus begonnen. Nach Höckes Wahlsieg blicken ausländische Reporter mit Sorge auf ganz Deutschland.
Erfurt – Ausländische Medien schlagen nach Björn Höckes Wahlerfolg in Thüringen Alarm. Obwohl Rechtspopulisten auch in anderen Ländern in den vergangenen Jahren Erfolge feiern konnten, weckt der Sieg eines Rechtsextremisten mit Blick auf die deutsche NS-Vergangenheit besondere Ängste. Selbst aus Frankreich, wo vor Kurzem die Regierungsverantwortung der rechtspopulistischen Marine Le Pen nur knapp abgewehrt wurde, kommen Warnungen.
So bezeichnete die Tageszeitung Le Monde die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen als historisch. Das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg läge die extreme Rechte bei einer Wahl in Deutschland vorne. Dass dies in Thüringen passiere, sei kein Zufall, es gäbe Präzedenzfälle: „Nach ihrem Erfolg bei der Thüringer Wahl 1929 gewann die NSDAP erstmals ein Landesministerium, vier Jahre vor Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler“, schreibt das linksliberale Blatt.
„Gefährlichster Mann Europas“ – AfD-Politiker Höcke als Geschichtsprofessor kennt verbotene SA-Slogans
Die rechtsliberale kroatische Jutarnji list titelt am Dienstag (3. September) mit Blick auf Björn Höcke: „Das ist der gefährlichste Mann Europas!“ Die Tageszeitung mit Sitz in Zagreb betont vor allem, dass Höcke zwar Geschichtsprofessor ist, selbst jedoch immer wieder auf seiner Opferposition beharrt. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate stehe er vor Gericht, weil er in der Öffentlichkeit einen verbotenen Nazi-Slogan der SA-Nazi-Einheiten verwendet habe“. Und beide Male habe er behauptet, er habe keine Ahnung davon, dass der Slogan „Alle für Deutschland“ verboten sei.“
Durch einen AfD-Sieg in einem der 16 deutschen Bundesländer kommen nicht direkt die Nationalsozialisten zurück an die Macht. Die historischen Parallelen fallen allerdings auch Medien weit außerhalb Europas auf. Der argentinische Canal 26 titelte noch am Wahlsonntag: „Historische Wahlen in Deutschland: Die Rechtsextremen haben zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gewonnen“.
Die New York Times deutete Höckes Wahlsieg als den Anfang der erneuten Normalisierung des Extremismus in Deutschland. „Björn Höcke hat mehr geschafft, als die extreme Rechte in den Mainstream zu bringen. Er lenkt den Mainstream nach rechts“, schreibt das US-Medium.
Sieg der Höcke-AfD in Thüringen eine Gefahr für europäische Integration
Die italienische Tageszeitung La Stampa fürchtet nach Höckes Sieg und den instabilen Machtverhältnissen in Frankreich allgemein um das Herz der europäischen Integration. Von dem innereuropäischen Chaos profitiere vor allem Russland. Ursula von der Leyen sei nicht mehr als eine Bastion des Widerstands gegen rechte Vorstöße und die Brüchigkeit ihrer eigenen Regierung. „Stattdessen sieht nun Wladimir Putin seine fünfte Kolonne in Ostdeutschland gestärkt.“
Die Wahlen offenbarten „ein Szenario des realen politischen Zusammenbruchs in dem Land, das traditionell an der Spitze der europäischen Wirtschaft steht“, schreibt El Mundo aus Madrid. Britische Medien wie der Guardian sehen den Grund für die AfD-Erfolge zunächst eher beim Auseinanderdriften von östlichen und westlichen Regionen in Deutschland. Die Financial Times schreibt: „Die Ergebnisse spiegeln die wachsende Frustration in Ostdeutschland über eine Regierung wider, die viele mit hoher Inflation, wirtschaftlicher Stagnation, steigenden Energiekosten und ständigen internen Streitigkeiten assoziieren.“
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ampel-Krise und Wahlerfolgen der Höcke-AfD?
Die Frage, ob Ampel-Politik der AfD zum Erfolg verholfen hat, spielt auch in ausländischen Medien eine Rolle. Etwa das konservative Wall Street Journal aus New York spricht vom Kollaps der Regierungsparteien. „Die Wähler haben die Nase voll von Olaf Scholz und einer Koalition, die Migration nicht steuern kann und sich trotz des greifbaren und wachsenden wirtschaftlichen Schadens an Klimazielen festklammert.“
Bei Fragen über die Rolle der Ampel-Koalition sowie der Frage, ob die AfD-Erfolge in Ostdeutschland eine Dynamik der Bundesländer, ganz Deutschlands oder gar ganz Europas oder der Welt sind, herrscht laut Berichten der dpa Uneinigkeit. Bei einer Sache sind sich internationale und nationale Medien allerdings einig: Der Kanzler hat ein Problem. Das Nachrichtenportal Politico greift zu einem drastischen Bild: „Das Ergebnis ist ein weiterer Nagel im politischen Sarg von Kanzler Olaf Scholz.“ (lm)