Mitarbeiter von ARD und ZDF äußern in einer Erklärung offen Kritik an ihren Sendern für deren Umgang mit der Viruspolitik und dem deutschen Kriegskurs – Interview mit Ole Skambraks, ex-SWR.
Ohne die Medien hätte sich im Frühjahr 2020 das Corona-Regime nicht etablieren können. Anstatt die fragwürdigen politischen Virus-Verordnungen kritisch zu hinterfragen, wurden sie geradezu propagandistisch mitgetragen. In einer ARD-Anstalt kam von oben die Order: „Die Corona-Maßnahmen werden nicht angezweifelt.“ Den öffentlich-rechtlichen Medien, ARD, Deutschlandfunk und ZDF, kam aufgrund ihres Ansehens dabei eine besondere Rolle zu. Tatsächlich haben die Medien das Corona-Regime und in der Folge ab 2022 den deutschen Kriegskurs im Russland-Ukraine-Krieg gegen wirkliche Öffentlichkeit abgeriegelt. Keine unbequemen Fragen kommen mehr durch, kein Widerspruch, keine alternativen Sichtweisen. Wie die Regierungen haben auch sie das Vertrauen vieler Menschen in ihre Korrektheit missbraucht.
„Öffentlich-rechtlich“ meint gerade nicht „staatlich“, sondern „staats- und regierungs-unabhängig“. Nur so kann Kontrolle funktionieren. Die Tagesschau der ARD soll eben keine Regierungsstatements übernehmen, sondern eigens recherchierte Informationen vermitteln. Dass bei Corona und seither beim Krieg in der Ukraine diese Trennung aufgehoben wurde, hat zu einem fundamentalen Medien- und Informationsproblem in diesem Land geführt, zu einem regelrechten Wahrhaftigkeitsdesaster.
Die einst pluralen Anstalten wurden zu konformen Verlautbarungsmedien. Anstatt in einer nie dagewesenen Ausnahmesituation Pressefreiheit und Meinungsfreiheit als Instrumente der Lösungsfindung wie der Herstellung sozialen Friedens zu verstehen, wurde Kritik gnadenlos angegangen und Kritiker kaltgestellt. Das hat in den Häusern aber auch zu Reibungen und Erschütterungen geführt. ARD- und ZDF-MitarbeiterInnen, die nicht einverstanden sind mit den Nach-2020-Entwicklungen ihrer Arbeitgeber, haben sich gesammelt, ausgetauscht und eine Initiative gestartet. Sie wollen nicht nur die alten ARD- und ZDF-Anstalten wieder haben, sondern einen anderen, neuen, wahrhaftigen, politisch unabhängigen, seriösen und verantwortungsvollen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Jetzt legen sie dafür ein sogenanntes „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ vor, veröffentlicht am 3. April 2024.
Der SWR-Redakteur Ole Skambraks wurde im Herbst 2021 nach öffentlicher Kritik am tendenziösen, regierungstreuen Umgang des SWR mit Corona entlassen. Er hat am neuen Manifest mitgearbeitet.
Ich selber arbeite seit 35 Jahren ebenfalls für die ARD-Anstalten als freier Hörfunkjournalist. Im Zuge von Corona wurde ich aus dem Autorenpool eines kritischen Radiomagazins des WDR eliminiert.
Wir haben eine Umfrage gestartet: Wie steht es um die öffentlich-rechtlichen Medien ARD/ZDF/DLF?
„Es geht nicht mehr darum zu berichten, was ist, sondern die Medien verkaufen jetzt Narrative“
Interview mit Ole Skambraks
Am 3. April wurde eine Erklärung veröffentlicht, die sich „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ nennt. Zum Inhalt kommen wir gleich. Zunächst: Wer sind die Herausgeber? Welche Erfahrungen verbinden sie, und wie kam die Gruppe zusammen?
Ole Skambraks: Das Manifest ist Ausdruck und Zeugnis von kritischen Beschäftigten aus allen öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland. Wir haben uns während der Coronazeit gefunden, da wir mit der Berichterstattung unserer Häuser nicht einverstanden waren. Kritik daran war aber nicht erwünscht und gefährlich. Mittlerweile gibt es Gruppen in allen Sendern, und – das ist mir wichtig – wir haben Geimpfte und Ungeimpfte unter uns. Es sind Menschen, die teilweise schon Jahre lang innerhalb ihrer Häuser versucht haben, Dinge zu ändern. Doch die Realität hat sie immer wieder vor vollendeten Tatsachen, wohlfeilen Lippenbekenntnissen oder auch vor völlig unfähigen Hierarchen kapitulieren lassen. Man muss sich nur den „Klimabericht Norddeutscher Rundfunk“ anschauen, um zu sehen, wie desolat die Stimmung und Zustände sind. Viele Mitarbeiter haben der Geschäftsführung das Vertrauen gekündigt.
Der NDR ist damit nicht alleine. Egal, zu welchem Sender wir schauen: die Unzufriedenheit ist extrem hoch, die Motivation am Boden und sehr viele haben mit den zementierten Strukturen abgeschlossen. Man versucht, es irgendwie bis zur Rente durchzustehen und die Jungen sind froh, wenn sie in einer privaten Produktionsfirma unterkommen, die für die Öffentlich-Rechtlichen (ÖRR) Projekte umsetzt. Insofern sollten die Hierarchen dankbar sein, dass es noch Menschen im System gibt, die an die Grundwerte des ÖRR glauben und diese retten wollen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Angst, mit unliebsamer Meinung zum Geächteten zu werden, ist extrem hoch. Wer zu viel Kritik äußert, riskiert seinen Job.
„Rückkehr zu den im Medienstaatsvertrag festgelegten Grundsätzen wie Meinungsvielfalt, Pluralität und Ausgewogenheit“
Du warst selbst einmal Redakteur in der ARD. Manche kennen Deinen Fall. Kannst Du für diejenigen, die ihn nicht kennen, schildern, was Dir widerfahren ist?
Ole Skambraks: Ich habe mittlerweile für fast alle ARD-Anstalten gearbeitet: Schülerpraktikum beim ORB, erste Reportererfahrung bei Bremen Vier und Fritz, dem Berliner Jugendsender der damals extrem kreatives und intelligentes Programm gemacht hat. Zwei Jahre war ich Manager der Morningshow bei MDR Sputnik, danach meine längste und kollegial schönste Zeit beim WDR. Dort habe ich mich auch in der Redakteursvertretung eingesetzt und gemerkt, wie wenig zu bewegen ist.
Als 2016 das Buch „Mainstream – Warum wir den Medien nicht mehr trauen“ vom Leipziger Medienforscher Uwe Krüger herausgekommen war, habe ich dazu einen internen Workshop vorgeschlagen. Doch die Chefetage hatte Wichtigeres im Sinn. Damals wurde das für nicht so relevant gehalten.
2021 habe ich bei SWR2 im Programm-Management angefangen. Ich hatte mir eine kleine Insel gesucht im Sounddesign zwischen Redaktion und Produktion und war froh, aus der aktuellen Berichterstattung raus zu sein. Doch dann kam Corona und nichts war mehr wie zuvor. Fast alle wurden ins Homeoffice geschickt. Teilweise war ich der Einzige im Büro und bin durch leere Flure gelaufen. Das Kollegium kannte ich kaum. Austausch gab es nur noch virtuell über Team-Konferenzen. Da wurde zwar das Wichtigste besprochen, doch das Zwischenmenschliche fiel weg.
Anfangs wusste natürlich niemand, wie dieses Virus einzuschätzen war und entsprechend wichtig war die Meinung von Experten. Als dann aber immer nur die gleiche Fraktion zu Wort kam und gestandene Fachleute wie Wolfgang Wodarg zu Spinnern erklärt worden sind, bekam ich Bauschmerzen. Erst habe ich meine Bedenken recht leise vorgebracht, doch als der ÖRR quasi nonstop mit Impfwerbung anfing, wurde ich in Konferenzen deutlicher. Nie wurde auf meine Vorschläge oder Einwände eingegangen. Als es dann im Sender hieß „Maskenpflicht nur noch für Ungeimpfte“, ist mir der Kragen geplatzt. Zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass die Impfung nicht oder kaum vor Übertragung schützt. Und jetzt sollte ich, als schwarzes Schaf, alleine Maske tragen?
Damals habe ich alle meine Fragen und Bedenken in einem Offenen Brief formuliert, der bei „Multipolar“ veröffentlicht wurde. Es war eigentlich ein Hilferuf ans Kollegium, um festzustellen, ob ich verrückt geworden bin oder ob es noch andere Menschen gibt, die eine ähnliche Sichtweise teilen. Es gab sie und sie haben sich bei mir gemeldet. Doch drei Wochen nach Erscheinen meines Briefes wurde mir vom SWR fristlos gekündigt.
Was muss man sich unter einem „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ vorstellen: Was sind Eure Hauptkritikpunkte und Hauptforderungen?
Ole Skambraks: Der Titel ist bewusst gewählt. Das Drehen an ein paar Reformstellschrauben kann die systemischen Fehler nicht beheben. Wir fordern eine Rückkehr zu Programminhalten, die den im Medienstaatsvertrag festgelegten Grundsätzen wie Meinungsvielfalt, Pluralität und Ausgewogenheit entsprechen. Ebenso möchten wir den ÖRR demokratisieren: Die Teilhabe der Beitragszahlenden bei medienpolitischen, finanziellen und personellen Entscheidungen ist wichtig. Das kann zum Beispiel über einen Bürgerrat gelingen. Es gibt zahlreiche Initiativen, die sich seit Jahren stark machen für substantielle Änderungen im ÖRR. Bis jetzt wurden sie weder von den Intendanten noch von der Politik in die Reformpläne mit einbezogen. So kann Demokratisierung und breite Akzeptanz nicht gelingen. Wir fordern ein Beteiligungsverfahren, das alle relevanten Verbände und Initiativen einbindet, die sich für Veränderungen in den öffentlich-rechtlichen Medien einsetzen. Ein Medienkonvent soll alle Gewerke an einen Tisch bringen.
„Dann kam Corona und nichts war mehr wie zuvor.“ Führte das auch zu inhaltlichen und strukturellen Veränderungen in den Anstalten von ARD und ZDF? Wenn ja, zu welchen?
Ole Skambraks: Wer erinnert sich nicht mehr an die nonstop Coronabeschallung der Medien? Nach der Tagesschau kam der Brennpunkt und danach zum Beispiel eine Reportage aus dem Altenheim. Christian Drosten war zu Hochzeiten mit einem täglichen Podcast on air. Was er sagte, prägte maßgeblich die Wahrnehmung in der Gesellschaft. Das Problem: Bei diesem und ähnlichen Formaten fungierten die Journalisten hauptsächlich als Stichwortgeber der Experten. Drosten bekam also eine enorme Reichweite durch den NDR. Experten mit gegenteiliger Meinung durften kaum zu Wort kommen.
Die „false Balance“ war immer das Totschlagargument: Wissenschaftler, die nicht hinter dem propagierten Konsens standen, wurden kaum beachtet oder gar diffamiert. Dabei ist das Grundprinzip der Wissenschaft das Anzweifeln, das Hinterfragen, das Überprüfen. Wenn das nicht mehr stattfindet, wird Wissenschaft zur Religion. Die Wissenschaftsredaktionen im ÖRR, die vor Corona keinen großen Stellenwert in der Hierarchie der Häuser belegten (einige Ausnahmen wie Quarks sind zu nennen), wurden während der Pandemie extrem aufgewertet. Was sie sagten, war Gesetz. Andere Autoren hatten dagegen einen schweren Stand.
Christiane Cichys Beitrag für den MDR, in dem sie fragte: „Ungeimpfte zu Unrecht beschuldigt?“, wurde nachträglich als Kommentar gekennzeichnet. Noch heute wird ihre Redaktion bei Recherchen immer wieder behindert, wie Norbert Häring dokumentiert. Die Reformpläne der ARD gehen weiter in diese Richtung: möglichst viel Zentralisierung und das Etablieren von „Gatekeeper“-Redaktionen, die zu kritischen Themen die gesamte ARD beliefern.
„Ein Problembewusstsein gibt es kaum“
Passt auch der RBB-Skandal, das Offenbarwerden einer elitären Selbstbedienungsmentalität in der Senderhierarchie, in diesen Kontext?
Ole Skambraks: Kurze Antwort: ja. Der RBB ist nur die Spitze des Eisbergs. Ein Problembewusstsein dafür gibt es kaum. Kai Gniffke vom SWR hat kein Problem mit seinem exorbitanten Intendantengehalt. In der Sendung Zapp vom NDR erklärte er, warum dies dem Salär von Bundeskanzler Olaf Scholz entspricht (360.000 Euro im Jahr). Der Lohn sei von seinem Verwaltungsrat festgelegt worden. „Die können erwarten, dass da jemand ist, der sich das letzte Hemd dafür zerreißt, dass wir beim Publikum sind“, erklärte Gniffke auf die Frage von Thilo Jung. Zusätzlich mache er sich für die „Unabhängigkeit des Journalismus“ stark. In einem anderen Interview spricht Gniffke von Mitarbeitern, die „jaulen und quieken werden“, wenn die ARD-Reformpläne demnächst umgesetzt werden. Also Kahlschlag unten und oben die große Maßlosigkeit.
Man kann den Eindruck gewinnen, die verbliebenen Insassen der Anstalten bewegen sich wie in einer Blase. Sie realisieren gar nicht, wie sich ihr Arbeitgeber, ihr Arbeitsumfeld und auch ihre eigene Arbeit fortwährend verändert. Wie sie zu einer „anderen ARD“ werden. Täuscht das?
Ole Skambraks: Ich würde grundsätzlich sagen, Veränderung ist gut und wichtig. Wir wollen mit dem Manifest ja nicht in die 1980er zurück. Doch ist es wichtig, bei allen Reformen zu überprüfen, wie weit die Öffentlich-Rechtlichen immer noch ihren Auftrag erfüllen.
Ein aus den USA geprägter Haltungsjournalismus wird auch im ÖRR immer salonfähiger. Es geht nicht mehr darum zu berichten, was ist, sondern die Medien verkaufen jetzt Narrative. Wenn wir in Deutschland der Spaltung der Gesellschaft in einzelne, gegeneinander gerichtete Fragmente entgegenwirken wollen, brauchen wir einen unabhängigen, gemeinnützigen Rundfunk, der tatsächlich alle relevanten gesellschaftlichen Strömungen neutral abbildet.
Ich höre von Kollegen, die nicht mitzeichnen wollten, wir müssten aufpassen, dass das Manifest nicht den Falschen in die Hände spielt. Doch was kann falsch sein, auf die Fehler im System hinzuweisen und mehr Demokratie und Transparenz im ÖRR einzufordern? Wir haben bewusst auf Erstunterzeichner aus der Politik verzichtet, da wir uns nicht vereinnahmen lassen wollten.
Gibt es auch Punkte, die in der Gruppe umstritten sind?
Ole Skambraks: Das Thema Gendern war – wie überall – auch in unserer Gruppe ein großer Streitpunkt. Für bessere Lesbarkeit haben wir uns überwiegend für das generische Maskulinum entschieden. Doch da gab es bis zum Schluss Diskussionen drum. Der Krieg in Gaza und die Bewertung der Berichterstattung des ÖRR hat auch eine Spaltung in unserer Gruppe hervorgerufen. Eine bis dahin aktive Person ist aus der Gruppe ausgestiegen, was mich persönlich sehr schmerzt. Wir haben uns Meinungsvielfalt auf die Fahne geschrieben. Das sollten wir an erster Stelle in unserer Gruppe praktizieren und auch von der Mehrheit abweichende Meinungen zulassen. Wenn der Trubel mit der Veröffentlichung sich etwas gelegt hat, möchte ich da gerne noch mal drauf schauen und unsere eigenen blinden Flecken untersuchen.
Beim Punkt Finanzierung des ÖRR soll das bisherige Prinzip der allgemeinen Beitragszahlung nach Wohnung beibehalten werden. Dieses Prinzip ist zugleich einer der größten Kritikpunkte von Leuten, die Probleme mit den Öffentlich-Rechtlichen haben. Selbst wenn sie nicht mehr einschalten, müssen sie bezahlen. Sie haben keinerlei Mittel, sich zu wehren. Müsste man da nicht über eine alternative Finanzierungsart nachdenken? Gebühr nach Nutzung zum Beispiel.
Ole Skambraks: Wir sprechen uns im Manifest für einen beitragsfinanzierten Rundfunk aus, weil dieser die Unabhängigkeit von Staat und Wirtschaft garantiert. Wie genau der Beitrag erhoben wird und wie hoch dieser sein sollte, haben wir offen gelassen. Das sind Detailfragen, die wir im Medienkonvent diskutieren wollen.
Dänemark und Frankreich haben mittlerweile die Rundfunkgebühr abgeschafft, in Großbritannien soll das ab 2027 der Fall sein. Das freut die Kritiker eines beitragsfinanzierten Systems. Doch wenn öffentlich-rechtlicher Rundfunk aus dem Staatsetat finanziert wird, hat die Regierung direkten Einfluss.
In keinem anderen europäischen Land gibt es eine vergleichbare gesetzlich garantierte Unabhängigkeit und gesellschaftliche Verankerung des ÖRR wie in Deutschland. Die Kräfte, die dieses Mediensystem am liebsten abschaffen möchten, haben kein demokratisch orientiertes, sondern ein wirtschaftliches oder machtpolitisches Interesse.
Dennoch verstehe ich alle, die für diesen ÖRR kein Geld mehr bezahlen wollen. Daher braucht es dringend eine Erneuerung. In den USA wird der Einsatz von Mediengutscheinen diskutiert. Diese könnten vom Staat an alle Bürger ausgegeben werden, die ein Medium wählen, dass sie unterstützen möchten. Das wäre für mich eine sinnvolle Weiterentwicklung des Rundfunkbeitrags.
Die Herausgabe des Manifestes wurde immer wieder verschoben. Was waren die Gründe?
Ole Skambraks: Der Hauptgrund war der Widerspruch zwischen Vorstellung und Realität. Eigentlich wollten wir damit im Oktober 2023, zum 100-jährigen Jubiläum des Rundfunks, heraus kommen. Doch da die meisten von uns noch im Berufsleben stehen, gab es nur begrenzt Zeit, um die Dinge voran zu bringen. Es gab auch einen Moment, an dem ich die Hoffnung aufgegeben hatte, dass sich etwas wesentliches bewegt in unserem Netzwerk. Manchmal war es zäh wie Kaugummi. Einige Engagierte haben wir auf dem Weg leider verloren.
„Für mich ist Angst das zentrale Problem in den Anstalten“
Etliche Unterzeichner haben das anonym getan. Was für ein Problem dokumentiert sich darin?
Ole Skambraks: Das Problem ist mit meinem Fall sehr greifbar geworden. Die Sorge vor beruflichen Konsequenzen ist sehr groß. Sie geht sogar so weit, dass einigen aus unserer Gruppe selbst die anonyme Zeichnung über einen Anwalt zu riskant war. Für mich ist Angst das zentrale Problem in den Anstalten: Eine Erneuerung kann nur passieren, wenn man sich offen und ehrlich begegnen kann. Momentan ist das Miteinander fast überall vergiftet.
Die langjährige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg berichtet in einem aktuellen Beitrag von einem „Kontrollsystem des Wohlverhaltens, wie einst bei Hofe“. Nestbeschmutzer würden stigmatisiert und als Querulanten gedemütigt. Es sei der „soziale Tod“. Als Beispiel führt Rollberg den Redakteur an, der sich, Jahre bevor die „MeToo“-Fälle im WDR bekannt geworden sind, für die Opfer stark gemacht hat. Sein Engagement wurde nicht mit Wertschätzung quittiert, sondern mit Mobbing.
Im Artikel des Business Insider vom 27. August 2022 über massive Missstände beim NDR Kiel sprechen Zeugen, die anonym bleiben wollen, von einem „politischen Filter“ und einem „Klima der Angst“ in der Redaktion. Genau das habe ich selbst 2021 im SWR wahrgenommen. Vor meiner fristlosen Entlassung habe ich meine Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass es Menschen im ÖRR gibt, die sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen. Einige Mitarbeiter sind darüber schwer krank geworden.
Die Stimmen, die eine Aufarbeitung der Corona-Zeit verlangen, nehmen zu. Welche Rolle müssten dabei die ARD/ZDF-Anstalten spielen? Oder anders gefragt: Können die ÖRR überhaupt aufarbeiten oder müssten sie nicht vor allem Gegenstand der Aufarbeitung sein, zumal sich die regierungsnahe Corona-Politik im Falle der Herangehensweise an den Ukrainekrieg wiederholt?
Ole Skambraks: Die Corona-Berichterstattung ist die größte Fehlleistung des Journalismus, seit der Gründung des ÖRR. Wer daran zweifelt, sollte sich die Analysen von Diplom-Journalist und Publizist Timo Rieg zu Gemüte führen. In seiner 156-Seiten starken Arbeit „Qualitätsdefizite im Corona-Journalismus“ kommt er zu einem ernüchternden Fazit: „Der deutsche Journalismus hat ein massives Problem mit der Meinungsvielfalt. Unabhängig vom konkreten Thema ist in der Branche völlig unklar, wozu es Meinungsvielfalt braucht und wie sie aussehen sollte.“ Seit einem Jahr ist diese Arbeit in der Welt. Doch sie wird totgeschwiegen.
Die Komplizenschaft zwischen Medien und Politik ist zu groß. Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrats, hat es in einem Gespräch im Münchner Presseclub trefflich erklärt (1:06:33 im Video):
„Und im Übrigen, Sie wären da ja nicht außen vor, das wissen Sie ganz genau. Also das würde ja die Medienschaffenden ganz genauso betreffen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und was weiß ich nicht alles.“
Eine wahrhaftige Aufarbeitung ist eine Mammutaufgabe. Sie kann nur gelingen, wenn alle Seiten Bereitschaft zeigen, die nonkonformen Wege zu verlassen und wieder miteinander ins Gespräch kommen. Das muss auf jeden Fall durch unabhängige, externe und professionelle Begleitung gewährleistet werden. Die nächsten Monate und Jahre werden ein Ringen zwischen den Kräften, die den ÖRR komplett abschaffen wollen – sie haben gerade mächtig Aufwind – und denen, die sich für einen neuen, am Gemeinwohl orientierten öffentlichen Rundfunk engagieren. Letzterer wird nur eine Chance haben, wenn in den Führungsetagen des ÖRR tatsächlich Bereitschaft zu einem radikalen Schnitt und zur Aufarbeitung der Verfehlungen existiert.
Gefragt sind jetzt die Menschen in den hinteren Reihen, die seit langem ein Unbehagen verspüren und ihre Kritik nicht länger runterschlucken möchten. Ein Versuch ist es wert. Wir könnten damit die großen Versprechen der Demokratie, nämlich Machtkontrolle und Beteiligung, einen guten Schritt voran bringen.
Eine Nachbemerkung: Das Manifest für einen „neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ passt zu den wachsenden Stimmen, die die Aufarbeitung der Corona-Zeit und der Corona-Maßnahmen fordern, auch in den ÖRR-Anstalten. Allerdings versuchen die Corona-Protagonisten von einst diese Aufarbeitung unter ihrer Kontrolle und im Rahmen des offiziellen Corona-Narrativs durchzuführen. Eine vielbeachtete öffentliche Diskussionsveranstaltung des SWR im Februar 2024 hat der Sender bisher lediglich im Internet gestreamt, aber nicht in seinem Fernsehprogramm ausgestrahlt.