Doku „Zerreißprobe Zuwanderung“

Aussage von Grenzschützer lässt Reporter staunen: „Wissen nicht, wer zu uns kommt“

09.08.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Aussage von Grenzschützer lässt ZDF-Mann staunen: „Wissen nicht, wer zu uns kommt“ Bildquelle: FOCUS online/Wochit

Für eine ZDF-Doku zum Thema Migration reist Nachrichtenjournalist Christian Sievers an die Grenze zu Österreich. Mit der harten Realität konfrontiert ist der ZDF-Mann zunächst fassungslos. Eine rührende Feier lässt ihn sein Urteil zur Migrationsfrage noch einmal überdenken.

Malerisch ist es in der Region Freilassing an der Grenze zu Österreich. Die Alpengipfel piksen pittoresk in den weiß-blauen Himmel. Selbst die Autobahn hat Postkartenpotenzial. Doch etwas trübt das Idyll bei genauerem Hinsehen. Und das genaue Hinschauen ist wiederum der Job der Beamten von der Bundespolizeistelle.

Nachrichtenjournalist Christian Sievers, bekannt aus dem „heute-journal“, ist hier unterwegs, um eine neue Reportage aus der ZDF-Reihe „Am Puls“ zu drehen. „Zerreißprobe Zuwanderung“ wird sein Film heißen, der soeben in der Mediathek veröffentlicht wurde und am Donnerstagabend (8. Augst, 22.15 Uhr) im Zweiten gezeigt wird.

Aussage von Grenzschützer lässt ZDF-Mann fassungslos zurück: „Wissen nicht, wer zu uns kommt“

Seine Gesprächspartner sind zwei junge Beamte von der Zivilstreife, denen gerade eine Schlepperbande durch die Lappen gegangen ist. Sechs syrische Staatsbürger haben sie hingegen in Gewahrsam genommen. Sie seien „von einem polnischen Fahrzeug“ abgesetzt worden.

ZDF / Jonny Müller-Goldenstedt

Wobei man das alles so genau meist gar nicht sagen kann. „Fast alle haben keinen Pass dabei“, berichtet einer der Fahnder über die illegal Eingereisten, die er in seinem Dienst aufgreift. ZDF-Mann Sievers hakt ein: „Sie wissen gar nicht so genau, wer hier im Land ist?“ – „Nein“, kommt die Antwort prompt. Selbst die behauptete Staatsangehörigkeit lasse sich ohne Ausweisdokument nicht überprüfen, so der Beamte: „Also, wir wissen nicht, wer zu uns kommt.“

93.000 illegale Grenzübertritte wurden 2023 in Deutschland registriert. „Wir achten auf Kleintransporter vor allem aus den osteuropäischen Ländern sowie auf Mietfahrzeuge, die angemietet werden für solche Schleusungen“, sagt der Grenzschützer. Und Sievers ergänzt für den ZDF-Zuschauer: Die österreichischen Kollegen seien „keine große Hilfe. Wer nach Deutschland will, werde durchgewunken, hören wir immer wieder.“

Kein EU-Land nimmt mehr Asylbewerber auf als Deutschland

So ist die psychisch belastende Arbeit der Beamten nicht mehr als ein Tropfen auf den berühmten heißen Stein. Kein Wunder bei diesen Kennzahlen: Kein EU-Land nimmt mehr Asylbewerber auf als Deutschland. 2016 gab es einen historischen Höchststand an Asylanträgen (745.545). Nach einer Entspannungsphase steigen die Zahlen seit 2021 wieder.

ZDF / Jonny Müller-Goldenstedt

Dabei kommen Geflüchtete aus der Ukraine in der Statistik nicht einmal vor, da sie kein Asylverfahren durchlaufen müsse. Zähle man sie jedoch dazu, heißt es in der ZDF-Doku, haben 2023 mehr Menschen in Deutschland Zuflucht gesucht als in den Jahren 2015 und 2016 zusammen. Das waren jene der viel zitierten „Flüchtlingskrise“ unter der „Wir schaffen das“-Kanzlerin.

Sachbearbeiter wegen Geflüchteten am Limit

In Naumburg, Sachsen-Anhalt, besichtigt Sievers, was solche Zahlen für den Arbeitsalltag der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der dortigen Migrationsagentur bedeuten. „Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch“, klagt einer vor der Kamera. „Wir haben momentan eine Fallquote pro Sachbearbeiter von um die 950 Personen.“ Sievers ist kurz sprachlos: „Wie schaffen Sie das denn?“

Sein Gesprächspartner antwortet offen: „Das schaffen Sie nicht. Es türmt sich immer mehr an.“ In der Folge mache man „Prioritäten-Arbeit“. In anderen Worten: „Wer am lautesten schreit, wird natürlich auch schneller bearbeitet. Das geht auf die Psyche, das sage ich Ihnen so, wie es ist.“

Verdrängungskampf zwischen deutschen und migrantischen Bedürftigen

Bereits 2018 hatte Jörg Sartor mit einem Aufnahmestopp für Migranten Schlagzeilen gemacht. Sartor ist Leiter der Essener Tafel. Er berichtet im Gespräch mit Sievers von einem zunehmend härter werdenden Verdrängungskampf zwischen deutschen und migrantischen Bedürftigen: „Platz für alle ist nie. Ich muss das ein bisschen steuern. Ich kann nicht sagen: Ich nehme nur noch Ukrainer. Wie soll ich das den Menschen beibringen, die 40 Jahre in diesem Land gearbeitet haben?“

Dann fahren der Tafel-Leiter und der ZDF-Reporter durch Essen. „Die ganzen inhabergeführten, alteingesessenen Geschäfte sind weg“, berichtet der Einheimische. „Ansonsten sehen Sie nur Spielhöllen, Wettbuden und arabische Geschäfte, aber nicht einen vernünftigen Laden.“

Essen hat mit den höchsten Ausländeranteil in der Republik. „Ich fühle mich da nicht wohl“, sagt Sartor. Integration könne nur funktionieren, „wenn ein vernünftiges Mischungsverhältnis“ vorhanden sei. „Es kann nie funktionieren, wenn in einer Schule 90 Prozent nicht Deutsch sprechen.“ Der Tafel-Leiter weiter: „Wenn man einen Stadtteil erlebt, wo 70 Prozent nicht deutsch sind: Die passen sich nicht an. Die wollen, dass wir uns anpassen. Da spiele ich nicht mit.“

„Kettenduldungen“ führten zu Clan-Krieg zwischen Libanesen und Syrern in Essen

Der Essener Islamwissenschaftler Ahmad A. Omeirate klärt Sievers im Interview darüber auf, was „Kettenduldungen“ mit solchen Parallelgesellschaften zu tun haben. Der Begriff bezeichnet teils über Jahrzehnte dauerhafte Verlängerungen von Duldungen für Einzelpersonen oder Familien, ohne dass daraus ein Aufenthaltsstatus entsteht.

„Eine gesellschaftliche Teilhabe ist nicht gegeben“, schlussfolgert der Experte für Clan-Kriminalität. „Dementsprechend zieht man sich in seine Strukturen zurück.“ So entstünden Parallelwelten und Clan-Rivalitäten, wie sie in Essen unlängst zu einer Gewalteskalation zwischen Libanesen und Syrern geführt haben.

Es gibt auch positive Beispiele

Und dann erzählt der problembeladene Film von Sievers und seinen Co-Autoren Anja Kollruß, Philipp Katzer und Yasemin Ergin doch noch: eine Erfolgsgeschichte. Aber eine, die sich eher trotz als wegen des deutschen Staates ereignet hat. Der Afghane Navid Rahmani stand 2020 vor der Abschiebung. Jetzt ist er auf dem Weg zum Malermeister. Sein Chef ist auf zugewanderte Fachkräfte wie ihn angewiesen.

Ulrich Temps heißt dieser Unternehmenschef. Er hat seinen Malerbetrieb auf eigene Kosten um ein privates Schulungszentrum erweitert: „Teilweise haben wir die jungen Leute hier erst alphabetisiert. Die haben in der Berufsbildungsschule nur Bahnhof verstanden“, berichtet der Unternehmer. Er habe 17, 18 pensionierte Gymnasiallehrer in Teilzeit eingestellt, die für Nicht-Muttersprachler den Berufsschulunterricht nachbereiten und die Prüfung vorbereiten. Der Erfolg: „Mega!“

Feier von neuen deutschen Staatsbürgern lässt ZDF-Mann Migrationsfrage überdenken

Auf den Staat baut Ulrich Temps lieber nicht: „Die Behörden kriegen es nicht mehr umgesetzt. Die sind gar nicht mehr im Thema, weil immer wieder neue Instrumente aufgesetzt werden.“ Die Sachbearbeiter seien „komplett überfordert“. Noch ein anderes Problem macht ihm zu schaffen. Ein regionales Durcheinander an Regelungen: „Was in Braunschweig gilt, gilt noch lange nicht in Hannover und in Hameln sowieso nicht. Machen Sie da mal als überregional tätiges Unternehmen einen Schuh draus!“ Christian Sievers entfährt ein mattes „Wahnsinn“.

Zum Schluss seines Films kehrt der „heute-journal“-Anchor noch mal zur Migrationsagentur nach Naumburg zurück. Am Nachmittag bekommen 34 Frauen, Männer und Kinder aus aller Welt feierlich die deutsche Staatsbürgerschaft überreicht. Sievers ist sichtlich gerührt: „Hier kann man heute wirklich alles erleben. Menschen, die voller Hoffnung nach Deutschland gekommen sind. Menschen, die Enttäuschungen erleben werden, und dann hier Menschen, die voller Stolz Deutsche geworden sind.“

Und dann stimmen die Neu-Staatsbürger zur E-Piano-Begleitung die deutsche Nationalhymne an. Es ist ganz offensichtlich noch nicht alles verloren in der so heiß diskutierten Migrationsfrage.

Das Original zu diesem Beitrag „Aussage von Grenzschützer lässt Reporter staunen: „Wissen nicht, wer zu uns kommt““ stammt von Teleschau.

Teleschau

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