Jost Müller-Neuhof

Wie totalitär hätten wir es denn gerne?

27.08.2023
Lesedauer: 2 Minuten
© dpa/Zacharie Scheurer

Wer sich „menschenverachtend“ über Vorgesetzte auslässt, darf gekündigt werden, meint das Bundesarbeitsgericht. Eine Warnung, vermutlich an breite Teile der Bevölkerung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ein bemerkenswertes Urteil gefällt, das in das Privatleben abhängig Beschäftigter hineinreicht. Demnach kann sich ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, „nur im Ausnahmefall“ darauf berufen, er habe im Chat Vertraulichkeit erwartet. Heißt: Im Regelfall nicht. Und dann darf man ihm kündigen (Az.: 2 AZR 17/23).

Das Urteil ist auch bemerkenswert, weil in der Vorinstanz umgekehrt entschieden wurde. Hier hieß es, die Worte seien „Bestandteil einer vertraulichen Kommunikation“. In einem derart privaten Umfeld – sieben Leute bei WhatsApp, langjährig befreundet, Ex-Kollegen und Kollegen aus derselben Firma – dürfe man sich frei äußern, auch wenn es andere verletzen kann. Diese kriegen ja nichts davon mit, jedenfalls gehe der Äußernde davon aus.

Was ist richtig? Das Bemerkenswerteste am BAG-Urteil ist, dass es die Qualität der Kommunikation wesentlich zum Maßstab macht. Ein bisschen beleidigen wäre vielleicht okay. Wird es rassistisch und sexistisch, ergehen sich die Beteiligten in Gewaltfantasien, ist es nicht mehr okay. Dann wird aus privat auf einmal öffentlich und aus blödem Gerede ein stabiler Kündigungsgrund.

Wir bemühen uns, aus uns bessere Menschen zu machen. Es glückt nicht immer und nicht allen. Dass bestens befreundete Kollegen und Ex-Kollegen über Vorgesetzte und Ex-Vorgesetzte herziehen, dies auch derbe, herabwürdigend und – angesichts von immer mehr Frauen in Führungspositionen – sexistisch und – angesichts von Diversität in Führungspositionen – rassistisch, transfeindlich und möglicherweise homophob, ist traurig und beschränkt.

Aber derlei Kundgaben bündeln das Ressentiment Unterlegener, dienen dem Frustabbau von Verlierern. Wer weiß, vielleicht hilft dies dem sozialen Frieden zuweilen mehr als dass es „zu Gewalt anstachelt“, wie das BAG mutmaßt. Im Job sollen sich die Chat-Beteiligten tadellos verhalten haben.

Das BAG-Urteil geht mit solchem Verhalten trotzdem streng ins Gericht. Das ist in sittlicher Hinsicht überaus korrekt. Es könnte aber den Eindruck verstärken, dass es für Ressentiments keinerlei Rückzugsort gibt. Nicht einmal mehr das private Gespräch.

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