Social-Media-Kampagne

Wie die „Tagesschau“ Stimmung gegen die ÖRR-Reform macht

25.10.2024
Lesedauer: 4 Minuten
WELT-Autorin Franziska Zimmerer Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

In dieser Woche beraten die Ministerpräsidenten über die Zukunft des ÖRR. Auf ihren reichweitenstarken Social-Media-Kanälen macht ausgerechnet die „Tagesschau“-Redaktion jetzt Stimmung gegen die anstehende Reform. Und suggeriert, es ginge um Zensur.

Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn erfinden. Das schreibt Stefan Brandenburg in der „FAZ“. Diese Einsicht ist nicht überraschend. Schließlich arbeitet Brandenburg als Chefredakteur beim WDR. Doch er äußert sie nicht zufällig. Die PR-Maschine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks brummt in diesen Tagen. Denn es geht um die Arbeitsgrundlage des ÖRR, den Reformstaatsvertrag.

Über den beraten in dieser Woche die Ministerpräsidenten. Konkret geht es darum, dass der Programmauftrag präzisiert werden soll. Definiert werden soll unter anderem etwas, das man in der Fachsprache „presseähnliche Angebote“ nennt. Es meint die Vielzahl an Texten, die auf Dutzenden Webseiten von ARD, ZDF und Deutschlandfunk minütlich online gehen. Oft vermelden SWR, „ZDF heute“, „Tagesschau“, der Hessische Rundfunk und andere Kanäle aus dem ÖRR-Kosmos die gleichen Nachrichten, aber auf unterschiedlichen Webseiten und Social-Media-Kanälen.

Das kann sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk leisten, weil er mit zehn Milliarden Euro pro Jahr prall ausgestattet ist. Diese textähnlichen Angebote sollen nicht verboten, sondern lediglich reduziert werden – zum Missfallen der „Tagesschau“.

Im Duktus eines unseriösen Kettenbriefs

Die Redaktion der kultig-blauen Nachrichtensendung hat sich deshalb etwas ausgedacht: Auf ihren riesigen Social-Media-Kanälen macht sie Stimmung gegen das Vorhaben. Vor jeder Meldung wird eine schwarze Kachel gezeigt und eine Frage: „Was ist hier los?“ Ein Wisch nach links, dann kommt die Auflösung. Im Duktus eines unseriösen Kettenbriefs steht dort mit beinahe drohenden Worten: „Unsere Arbeit auf Social Media könnte eingeschränkt werden. (…) Wir könnten euch schlimmstenfalls nicht mehr in vollem Umfang mit aktuellen Nachrichten und Themen beliefern, die euch wichtig sind.“

Wieder ein Wisch nach links, und man liest die Headline einer unverzichtbaren Nachricht: „Crashtest-Dummy sind zu jung“. Darunter ist der Meldungstext durchgestrichen und damit unlesbar. Es soll wohl suggeriert werden, dass künftig eine Selbstzensur stattfinden muss.

Was hier Millionen Leuten angezeigt wird, ist politischer Protest, bezahlt von Rundfunkgebühren. Auf Kritik reagierte ein anderer der vielen ARD-Chefredakteure, Marcus Bornheim: „Wer die Tagesschau dort (auf Social Media, Anmerkung der Red.) beschränkt, leistet Desinformation Vorschub.“

Da Desinformation immer nur andere betreiben, ist der „Tagesschau“-Redaktion wohl nicht aufgefallen, dass die Worte in ihrem Protest-Posting suggerieren, es ginge um eine Abschaffung ihrer Nachrichtenkanäle wie der „Tagesschau“. Dabei geht es lediglich um eine Reduktion der textähnlichen ÖRR-Angebote. Man könnte es Fake News nennen. Oder eben Aktivismus für die gute Sache. Das hängt bekanntlich vom Absender ab. Beides hat beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts zu suchen.

Ungleiche Voraussetzungen

Wer Meinungsvielfalt unterstützt, kann diesem Reformvorhaben etwas abgewinnen. Schließlich stehen privatwirtschaftliche Verlage in einem absurden Konkurrenzkampf mit dem ÖRR um die Aufmerksamkeit, die Zeit und auch das Geld der Zuschauer und Leser. Man kann diesen Kampf, angesichts der ungleichen Startvoraussetzungen, kaum Wettbewerb nennen. Es steht jedem frei, „Spiegel“, „Stern“ oder WELT zu abonnieren und wieder zu kündigen. Wer den Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro pro Monat nicht zahlt, darf sich auf den Gerichtsvollzieher einstellen oder auf eine Pfändung seines Gehalts.

Auch deshalb haben die Landesrundfunkanstalten genug Geld für mehrere Hundert Social-Media-Kanäle. In diesem Jahr sagte ARD-Chef Kai Gniffke, dass man in seiner Amtszeit rund 140 Kanäle eingestellt habe. Damit bleiben laut ARD-Angaben noch 659 Accounts übrig. Hinzukommen Kanäle von ZDF, Deutschlandradio und vom Jugendnetzwerk Funk.

Dem Instagram-Kanal der Tagesschau folgen 5,4 Millionen Nutzer. Das sind mehr, als den Accounts von „Zeit“, „Spiegel“, „Bild“, „Süddeutsche“ und WELT (4,9 Millionen) zusammen folgen. Die „Tagesschau“ hat den Luxus und so viel Personal, rund um die Uhr Unmengen an Inhalten eigens für die sozialen Netzwerke zu produzieren. Private Medien hingegen müssen alles daran ausrichten, mit ihren Inhalten Geld zu verdienen. Da der ÖRR die sozialen Netzwerke mit Inhalten flutet, wird es immer schwerer für private Medien, junge Nutzer von der Wertigkeit journalistischer Inhalte zu überzeugen.

Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn erfinden. Und zwar so, dass er bezahlbar wäre, eine Vielfalt an Meinungen abbilden würde und private Medien nicht ruiniert.

Das könnte Sie auch interessieren

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024
ARD-Show "Die 100"
26.11.2024
Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neun + 20 =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Gunnar Schupelius – Mein Ärger
17.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien