Karl Lauterbach muss sich mit Impf-Nebenwirkungen auseinandersetzen, obwohl er sie lange leugnete. Damit bringt der Bundesgesundheitsminister nicht nur sich selbst in Schwierigkeiten. Ein Problem mehr hat jetzt auch sein Chef.
Karl Lauterbach kam ins Amt als eine Art Volksheld, die meisten Bürger wünschten sich diesen unermüdlichen Corona-Studienleser und Pandemie-Warner als Nachfolger des CDU-Manns Jens Spahn. Und Olaf Scholz surfte auf dieser hoffnungsfroh-heroischen Stimmung.
Es war Anfang Dezember 2021, da führte der Kanzler seine neuen Kabinettsmitglieder in ihre Ämter ein. Das war eine trockene Veranstaltung, wie man sie von Olaf Scholz bisher schon kannte. Das änderte sich allerdings, als Karl Lauterbach an die Reihe kam. Scholz an diesem Nikolaustag: Sicher „haben sich die meisten Bürger und Bürgerinnen gewünscht, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach ist, das wirklich gut kann und dass er Karl Lauterbach heißt. Er wird es.“
Das ganze fühlte sich, dies für die älteren Leser, ein wie die marktschreierische Einführung von Rocky Balboa im Boxkampf gegen Clubber Lang, auf jeden Fall war die plebiszitäre Botschaft des Kanzlers ans Volk: Ihr wolltet ihn, nun kriegt ihr ihn.
Lauterbach hübschte seinen Lebenslauf auf – und kritisierte dann Guttenberg
Nun – der Heroismus ist zu einem Gefühl von Gestern geworden. Und der Volksheld ist zu einem Spitzenpolitiker geworden, dem viele Menschen, nicht nur Ungeimpfte, sondern auch Geimpfte, nicht nur Ärzte, sondern inzwischen auch Rechtsanwälte, mit Misstrauen begegnen. Das liegt am komplexen Amt, an den schwierigen Aufgaben, der mächtigen Lobby. Aber vor allem liegt es an Lauterbach selbst.
Seit diesem Sonntag gibt es den Vorwurf, Lauterbach habe seinen Lebenslauf für eine Bewerbung in Tübingen geschönt, um schließlich an seine Universitäts-Professur in Köln zu kommen. Die Welt-Redaktion hat dafür Akten gewälzt, und was herauskam, lässt sich nicht mehr so leicht vom Tisch wischen. An Anpreisen von Drittmitteln, die es nicht gab. Ein wissenschaftliches Projekt, dass dann scheiterte. Ein Buchprojekt, gefördert von einer Stiftung, das nie vollendet wurde.
Das kritische Publikum kennt derlei seit Jahren aus ähnlichen Fällen – und „Fälschung“ ist zum hochtoxischen Angstwort für Politiker geworden, besonders in Kombination mit „Lebenslauf“. Oder „Doktorarbeit“. Dass Lauterbach vor einem Dutzend Jahren zu den unbarmherzigsten Kritikern des Doktorarbeit-Plagiators Theodor zu Guttenberg zählte, macht seine eigene Angelegenheit nun umso gefährlicher.
Die Maßstäbe für Glaubwürdigkeit, die man anscheinend moralsicher für andere gesetzt hat, können bei eigener Betroffenheit leicht auf einen selbst zurückfallen. Selbst wenn sie aus dem Jahr 2011 stammen. Das Netz vergisst nichts.
Für eine Differenzierung gibt es bei der Impfung keinen Raum
Am selben Tag nun, an dem Lauterbach mit Lebenslauf-Vorwürfen konfrontiert wird, die wie einen Stachel im Fleisch der Aufklärung harren, geht Lauterbach ins Fernsehen. Und legt eine dann doch atemberaubende Kehrtwende hin. Schauen wir ein Jahr zurück.
An der Jahreswende 2021/22 gibt es hitzige Diskussionen über die Corona-Impfung. Sie sind moralisch hoch aufgeladen, es geht um Staatszwang und individueller Freiheit, um die Balance zwischen Individuum und Allgemeinwohl. Und am Ende geht es um eine Impfpflicht. Die wünscht sich nicht nur Karl Lauterbach, sondern auch sein sozialdemokratischer Parteifreund, der Bundeskanzler.
Eine kleine, aber laute Truppe macht Stimmung gegen das Impfen – mit dabei: Sahra Wagenknecht – und die AfD. Sie warnen laut vor den Nebenwirkungen der Corona-Impfung – und unterlaufen damit die Impfkampagne Lauterbachs und der Ampelregierung, die von der Union, also im Kern einer ganz großen Koalition, mitgetragen wird. In dieser aufgeheizten Stimmung macht sich ein ungutes Lagerdenken breit. Für Differenzierung ist nun kein Raum mehr. Und, Lauterbach hat es in einem WDR-Interview selbst einmal gesagt, Wahrheit wird plötzlich zur persönlichen Gefahr.
Für Scholz und Lauterbach blieb die Corona-Impfung immer „nebenwirkungsfrei“
In dieser Situation erweckt Lauterbach den Eindruck, die Corona-Impfung sei „nebenwirkungsfrei“. Und, Pech für ihn, er sagt dies nicht nur einmal, in einem Tweet, wie er jetzt behauptete; sondern er wiederholt es – bei Markus Lanz, bei Anne Will. In jenen Talkshows, in denen Lauterbach in dieser Zeit Dauer- und Stargast ist.
„Das war eine Übertreibung, die ich da einmal in einem missglückten Tweet gemacht habe.“ Diese Behauptung stimmt schon einmal nicht, es war nicht nur ein „missglückter Tweet“ – es war Lauterbachs Kommunikationsstrategie. Und damit war der Gesundheitsminister nicht allein. Impf-Langzeitfolgen seien „extremst unwahrscheinlich“, behauptete etwa die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx.
Und dann der Bundeskanzler. Drei Tage vor Weihnachten 2021 freut sich Olaf Scholz: In Deutschland seien inzwischen fast 60 Millionen Bürger vollständig geimpft – Achtung – „ohne dass wir von schweren Nebenwirkungen oder langfristigen Einschränkungen erfahren hätten“. Diese Kommunikationslinie fährt Scholz auch im Parlament. Auch noch, als er zur Rede gestellt wird.
Impfnebenwirkungen doch nicht so „unwahrscheinlich“ wie zunächst angepriesen
Martin Sichert, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, konfrontiert Scholz im Bundestag mit Zahlen seiner eigenen Bundesregierung, wonach es in einem von 5000 Fällen zu Impf-Nebenwirkungen kam. Es ist eine Regierungszahl. Scholz lässt Sichert mit einer spöttischen Bemerkung abtropfen, was funktioniert, weil dies im Parlament eine gängige, parteiübergreifend praktizierte Methode ist, die AfD in einen Raum des Unseriösen, Unernsten zu schieben. Aber Zahl bleibt nun einmal Zahl.
Und darum hat nun auch Lauterbach ein Problem. Denn 1:5000 ist doppelt so viel wie 1:10000, (beim Paul Ehrlich Institut lautet die Relation bei den schweren Nebenwirkungen sogar 1:3333) und beides ist jedenfalls eins nicht: extrem unwahrscheinlich.
In der Notlage: Pharmaindustrie von jeder Haftung freigestellt
Beim PEI sind inzwischen mehr als 333.000 Impf-Nebenwirkungsfälle aufgelaufen. Bürger haben Rechtsanwälte eingeschaltet, der Ruf nach Schadensersatz wird laut – ganz abgesehen von persönlichem Leid, dass inzwischen in immer mehr Fällen dokumentiert wird. Und plötzlich fallen der amtierenden Bundesregierung die Verträge auf die Füße, mit denen die Pharmaindustrie von jeder Haftung praktisch freigestellt wurde.
Es war eine Notlage, es musste schnell gehen, rasch sollten Impfstoffe zur Verfügung stehen, es war ein Kampf gegen Lockdowns. In dieser Ausnahmesituation kamen Europas Regierungen der Pharmaindustrie weit entgegen, nahmen ihr die Verantwortung für Impffolgen ab – sie kalkulieren zu wollen, hätte viel Zeit gekostet. Und die hatte niemand.
Die Haftung liegt nicht mehr bei den Unternehmen, sondern den Bundesländern
Jedenfalls: Dafür kann Lauterbach nun nichts, dieser Kelch geht auf dem Weg nach Brüssel an der Vorgängerregierung vorbei, an der allerdings die SPD beteiligt war. Dazu Lauterbach entwaffnend offen: „Richtig ist, dass also im Rahmen dieser EU-Verträge damals die Unternehmen weitestgehend aus der Haftung befreit worden sind und dass daher die Haftung also beim deutschen Staat liegt.“ Genauer: den Bundesländern, was angesichts von jetzt schon Tausenden von Verfahren für die eine unangenehme Überraschung sein dürfte.
Damit nicht genug. Lauterbach empfiehlt nun Pharma-Firmen wie Biontech, deren „exorbitante Gewinne“ in eine Stiftung zugunsten der Impf-Opfer einfließen zu lassen. Gewinne, die es laut Lauterbach eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Der Gesundheitsminister vor gut einem Jahr: „Die Pharmafirmen werden mit Impfstoffen nicht reich.“
Täuscht der Eindruck nicht, dann kann man gerade einem Volkshelden bei dessen Entheroisierung zuschauen. Nach der Art, wie er ihn eingeführt hat, kann Scholz am Ende seine Hände in Unschuld waschen, nach dem Motto: Nicht ich – Ihr Bürger habt ihn doch gewollt.
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