Klaus-Rüdiger Mai

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang verfolgt „persönliche Anliegen“

17.11.2023
Lesedauer: 7 Minuten
Foto: IMAGO

Haldenwang ist eine laufende Affäre: kaum ein Auftritt, bei dem er seine Neutralität als Behördenchef nicht selbst infrage stellt. Offenbar will er den Aufstieg der AfD persönlich verhindern. Dafür macht er auch vor kruden Vergleichen nicht Halt.

Am 9. November breitete Thomas Haldenwang seine politischen Ansichten als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf der Bühne des Berliner Ensembles aus. Er dokumentierte damit, dass ihm die Neutralitätspflicht der Staatsorgane, wie man in Berlin sagen würde, schnuppe ist. Von der Bühne des Berliner Ensembles sprach jedenfalls kein Behördenchef, sondern ein politischer Missionar, früher verwandte man in den seligen Zeiten der Aufklärung auch die Bezeichnung Eiferer dafür. Dass er gegen Hans-Georg Maaßen und gegen Hubert Aiwanger grätzte, gehört sich nicht für den Chef einer Bundesbehörde, die zur politischen Neutralität verpflichtet ist.

Dass der Chef eines Verfassungsorgan sich öffentlich und mit der Autorität seines Amtes mokant über den Parteivorsitzenden einer demokratischen Partei und eines Mitgliedes der Bayrischen Staatsregierung und über ein Mitglied der CDU äußert, wäre, würde man die rechtsstaatlichen Prinzipien der Gewaltentrennung ernst nehmen, ein seriöser Entlassungsgrund. Thomas Haldenwang sprach eben nicht als Privatmann, sondern deutlich als Behördenchef, der „Themen anspricht, die außerhalb möglicherweise meiner Kernkompetenz liegen, weil es mir ein persönliches Anliegen ist (min 44:18 des Mitschnitts)“.

Wird das „persönliche Anliegen“ des Thomas Haldenwang zum Arbeitsalltag seiner Behörde? Er will Menschen aus ihrem „Schlaf“ wachrütteln, also agitieren. Das wirft die Frage auf, ob Haldenwangs Erkenntnisse ihn motivieren, „wachzurütteln“, oder ob sein Wunsch, wachzurütteln, zu seinen Erkenntnissen führen?

Den Unterschied zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik wollte Haldenwang unter anderem darin sehen, dass es in der Weimarer Republik keine Demokraten gab, die die Verfassung verteidigten (1:28:50). Es gab also keinen Carl von Ossietzky, keinen Otto Wels, keinen Kurt Schuhmacher, keinen Friedrich Meinecke, keine Edith Stein, keinen Robert Scholl – und diese Liste ließe sich über Seiten und über Bücher fortführen.

Geschichte gehört also nicht zu den Kernkompetenzen Verfassungsschutzchefs, was kein Problem darstellt, denn er ist nicht Geschichtsprofessor von Beruf, sondern der Leiter einer Bundesbehörde. Problematisch wird es allerdings, wenn dieses – Neudeutsch ausgedrückt – unterkomplexe Geschichtswissen handlungsmotivierend und handlungsleitend wird, dessen Aufgabe nicht darin besteht, die Regierung zu beschützen, nicht darin besteht, in den demokratischen Wettbewerb einzugreifen, dann würde das Amt nämlich zu einer politischen Polizei, nicht einmal darin, die Straftaten der Letzten Generation zu Höhepunkten demokratischen Verhaltens zu verklären, sondern schlicht und ergreifend das Grundgesetz zu schützen.

Und das Grundgesetz ist nun mal in erster Linie das Abwehrrecht der Bürger gegen den von Natur aus übergriffigen Staat – zumal in Demokratien der Staat vom Bürger aus zu denken ist und nicht der Bürger vom Staat aus, als Funktion des allmächtigen Staates nämlich, wie es in totalitären Diktaturen Usus ist.

Deshalb formulierte der Staatsrechtler und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde auch: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Doch, wenn Haldenwang „wachrütteln“ will, wenn er gegen eine im Bundestag vertretene Partei kämpfen möchte, dann versucht er erstens die Voraussetzungen, von denen der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt, nicht nur zu garantieren, sondern sogar zu schaffen. Damit reguliert sich zweitens die Freiheit nicht mehr aus der moralischen Substanz des einzelnen, sondern wird vom Staat zugewiesen.

Drittens würde Haldenwang damit versuchen, die „Regulierungskräfte „mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren“. Statt Freiheit also Rechtszwang und autoritatives Gebot.

Viertens fällt der Staat auf säkularisierter Ebene „in jenen Totalitätsanspruch“ zurück, wodurch er fünftens im Ergebnis in einen neuen „konfessionellen Bürgerkriegen“ stürzt, mit dem Unterschied, dass an die Stelle der Konfessionen die Ideologien getreten sind. Das wäre das Ende des großen Wagnisses um der Freiheit willen und damit das Ende der Freiheit, die immer ein Wagnis ist.

Indem Thomas Haldenwang aber den Vergleich zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik heute anstrengt, insinuiert er, bewusst oder unbewusst, eine wie auch immer geartete Äquivalenz zwischen der NSDAP und der AfD. Damit läuft der Verfassungsschutz Gefahr, an Glaubwürdigkeit zu verlieren, denn wenn die Beobachtung der AfD von dieser Äquivalenz aus geführt wird, dann liegt es im Wesen der Sache, dass sie auch zu dem vorgegebenen Ergebnis führen wird.

Gegen Ende des Gesprächs wird Thomas Haldenwang vom Moderator auf die AfD angesprochen und darauf, ob er sich vorstellen kann, das es doch passieren könnte, dass die AfD in sieben Jahren Teil einer Bundesregierung sei, im Grunde die „Brandmauer“ nicht halten werde.

Auf diese Frage antwortete Haldenwang: „Ich habe keine Glaskugel … Ich sehe Tendenzen und die gehen leider aktuell in eine Richtung und leider nicht in die andere Richtung. Daran müssen wir arbeiten, daran müssen wir Demokratinnen und Demokraten arbeiten, das gemeinsam zu verhindern. Alles andere, da muss man ja verzweifeln, wir müssen jetzt tätig werden, um so was in sieben Jahren vielleicht zu verhindern. Und das ist mein Optimismus, den ich eben habe, dass uns das noch gelingt.“ Im Klartext heißt das, dass Thomas Haldenwang und das Bundesamt für Verfassungsschutz daran arbeiten wollen, dass die AfD in Deutschland nicht in die Regierungsverantwortung gelangt.

Glaubt Thomas Haldenwang, dass nach diesen Äußerungen die Aussagen und Einschätzungen des Amtes über die AfD noch über jeden Zweifel erhaben sind? Wie will nach dieser klaren Definition der politischen Ziele durch den Behördenchef der Behörde die Überparteilichkeit, die Neutralität und die Fairness noch abgenommen werden? Schließlich will Haldenwang in diese Richtung „tätig werden.“

Ein Verfassungsschutzpräsident, der mit einer so eminent parteipolitischen Mission in die Öffentlichkeit drängt, der sie belehren will, stellt durch sein Agieren die Resultate der Arbeit seiner Behörde selbst in Frage – aus dem einfachen Grund, weil er parteilich und nicht überparteilich auftritt. Er maßt sich im Grunde das Richteramt an und leistet damit einen Beitrag zur Selbstdelegitimierung der Staatsorgane.

Denn das ist eine Lehre aus dem Sturz der Weimarer Republik in die Diktatur, die darin besteht, dass die Regierung durch den „Preußenschlag“, durch die Notverordnungen und die Präsidialkabinette sich selbst delegitimierte, weil ein ungeheurer Vertrauensschwund bei der Bevölkerung einsetzte, der sich in dem Wort „Honoratiorenrepublik“ niederschlug, einem Vorläufer des Begriffes Establishment oder Elite. In der Weltwirtschaftskrise verloren viele Deutsche das Vertrauen in die Regierung, weil sie die Regierung als zunehmend abgehoben, arrogant und selbstreferentiell wahrnahmen.

Wenn der Chef des Verfassungsschutzes seine Motive aus der Geschichte bezieht, so sollte er darauf achten, dass seine Kenntnisse dafür auch ausreichen. Es könnte nämlich sein, dass er das Gegenteil von dem, was er will, noch beschleunigt.

Man könnte Martin Luther zitieren, der schon vor 500 Jahren über Ketzerei geschrieben hat: „Denn Ketzerei kann man nimmer mit Gewalt wehren. Es gehört ein anderer Griff dazu, und es ist hier ein anderer Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier streiten; wenn’s das nicht ausrichtet, so wird’s wohl von weltlicher Gewalt unausgerichtet bleiben, wenn sie auch gleich die Welt mit Blut füllte. Ketzerei ist ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen zerhauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken.“ Man muss es eben ausdiskutieren, und nicht einfach die andere Meinung verbieten.

Aber man kann das alles natürlich auch in einem einzigen Satz ausdrücken: In einer Demokratie wird die Frage der Regierung von den Bürgern entschieden und nicht vom Verfassungsschutz.

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