Josef Seitz

Während der Iran angreift, pennen ARD und ZDF – mal wieder

15.04.2024
Lesedauer: 4 Minuten
Thorsten Jander/NDR/Thorsten Jan

Kriege, Katastrophen, Unglücke: All das passt in kein Schema, schon gar nicht in das Sendeschema von ARD und ZDF. Dort läuft das Unterhaltungsprogramm, während sich Israel auf einen Überlebenskampf vorbereitet. Die Weltlage wird im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur verwaltet.

Die ARD beschäftigt rund 100 Korrespondenten. „Sie sind“, so versichert der öffentlich-rechtliche Sender, „das Rückgrat der ARD-Nachrichtensendungen.“ Mehr noch: „Sie machen die besondere Qualität unserer Berichterstattung aus.“ Und beim ZDF? „Ein Netz von 18 Auslandsstudios mit Korrespondentinnen und Korrespondenten, die im jeweiligen Land ständig vertreten sind, begründet die Kompetenz des ZDF auf dem Gebiet der Auslandsberichterstattung.“

Liest sich schön, wie die beiden Sender versichern, dass das Gebührengeld gut angelegt ist, um dem Informationsauftrag nachzukommen. Den Realitätstest liefert der iranische Angriff auf Israel . Es ist ein Überfall mit Ansage. Und dennoch: Im Ersten brütet ein gewisser Elton über der nicht ganz so aktuellen Frage, wozu ein Wilderer im US-Bundesstaat Missouri 2018 während seiner einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde: A) rein vegetarisch zu leben B) einmal im Monat den Film „Bambi“ anschauen. Im ZDF ermittelt „Der Staatsanwalt“ im Fall einer „Hochzeit in Rot“. Das ist eine Wiederholung von 2020.

Überlebenskampf Israels? Nicht im Hauptabendprogramm!

Die aktuelle Dramatik ignorieren die öffentlich-rechtlichen Hauptsender nach Kräften. Die Abwehrschlacht im Nahen Osten, der Überlebenskampf Israels gegen hunderte Drohnen, gegen dutzende Marschflugkörper, gegen mehr als 100 Boden-Boden-Raketen – all das schafft es nicht ins Hauptabendprogramm. Um 1.15 Uhr verkündet in der Nachtausgabe der „Tagesschau“ ein freundlich lächelnder Thorsten Schröder: „Der Iran hat am späten Abend einen Luftangriff auf Israel mit mehr als hundert Drohnen und Raketen gestartet.“

Die Information kommt spät, wenigstens ist sie richtig. Neu allerdings ist da nichts mehr. Gegen 22 Uhr laufen die ersten Nachrichtenmeldungen. Um 22.37 Uhr hat Israel schon seinen Luftraum gesperrt. Um 22.39 Uhr haben die USA den Angriff offiziell bestätigt. Um 22.45 Uhr warnt der israelische Sender Channel 12, dass die Welle der Drohnen voraussichtlich um 2 Uhr nachts das Land erreichen werde. Es ist 22.49 Uhr, als der deutsche Botschafter in Israel bei seinen Landsleuten Alarm schlägt: „Ein Direktangriff wie noch nie!“

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Der Botschafter heißt Steffen Seibert. Bis 2010 hat er die ZDF-Hauptnachrichten „heute“ moderiert. Mag sein, dass er sich in dieser Nacht, in der er die Dramatik der Nachrichtenlage in unmittelbarer Umgebung erleben musste, für seine alten Kollegen und deren Verwaltungsarbeit geschämt hat. Während in der ARD Elton sich noch den Kopf über einen US-Wilderer anno 2018 zerbricht, hat der US-Nachrichtensender CNN längst sein Programm geändert für die offizielle Bestätigung der Angriffswelle.

Im Ernstfall kann die Behäbigkeit Leben kosten

Seit fast zwei Wochen wird damit gerechnet, dass die Lage im Nahen Osten eine völlig neue Eskalationsstufe erreichen wird. Nichts an dem Überfall des Irans auf Israel ist überraschend, unklar war nur der Zeitpunkt. Umso schwerer fällt es, das Festhalten am Standard-Unterhaltungsprogramm mit alter Krimiserie und Rate-Show zu verstehen. So ärgerlich die Behäbigkeit sein mag, neu ist sie nicht. Im Ernstfall ist das nicht nur ein Ärgernis. Im Ernstfall kann es Leben kosten.

Nach der Flut im Ahrtal, bei der 130 Menschen starben, wurde die Kritik unüberhörbar, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Möglichkeiten zur Warnung verschlafen hatten. „Zu oft verharren wir heute immer noch in unserem Programmschema, das vorgegeben ist“, hatte etwa der ARD-Meteorologe Karsten Schwanke geklagt, „wir warten auf den nächsten Sendeslot, auch die nächste Nachrichtensendung.“

Es ist verdienstvoll, wenn das Fernsehen am Tag danach die öffentlich-rechtliche Maschinerie anlaufen lässt. Die Verlängerung der „heute“-Nachrichten am Sonntagabend um fünf Minuten, der routinemäßig eingeschobene ARD-„Brennpunkt“ um 20.15 Uhr nach der „Tagesschau“: Das ist nicht mehr als ein laues Verwalten einer 22 Stunden zuvor dramatisch geworden Weltlage. Kriege, Katastrophen, Unglücke – wenn Dinge wichtig werden, existenz- und lebensbedrohend: Dann passen sie in kein Schema.

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