Über eine Äußerung zum Umgang mit der AfD kam Friedrich Merz in die Bredouille. Das sagt über die CDU mehr aus als über ihn. Man kann daraus viel lernen – auch über eine AfD-Falle, die die Linke für Merz aufgebaut hat.
Der ganze große Streit um Friedrich Merz und die AfD fördert eine bunte Welt zutage. Man kannte sie bisher noch nicht. Lokal gehen die Uhren offenbar anders, völlig anders jedenfalls als in Berlin. In der Hauptstadt und von der Hauptstadt aus lässt sich prächtig theoretisieren über die Ausgrenzung der AfD. In vielen Städten geht es aber anders zu. Lokalpolitik folgt anderen Regeln.
Beispiel FDP: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, bekannt vor allem aus vielen Ukraine-Waffen-Debatten, hat eine 25-jährige kommunale Polit-Karriere in Düsseldorf hinter sich. Sie bescheinigt Merz wegen dessen „Geringschätzung gegenüber der kommunalen Basis“ des Staatswesens, „dass er höheren Staatsämtern nicht gewachsen ist“. Denn gerade in der Kommunalpolitik, der „Wiege unserer Demokratie“ dürfe die „Brandmauer zur antidemokratischen AfD“ nicht fallen.
„Wenn ich die AfD ausschließen würde, würden wir kein einziges Anliegen durchbekommen“
Ein paar hundert Kilometer weiter östlich, in Dresden, sieht das Strack-Zimmermanns Parteifreund Holger Zastrow ganz anders. Mehrheiten für FDP-Projekte seien nur mit der AfD möglich. „Vor allem in zentralen verkehrspolitischen Fragen haben wir lernen müssen, dass es mit Grünen, SPD und Linken niemals eine Mehrheit für unsere Positionen geben wird. Wenn ich da die AfD ausschließen würde, würden wir kein einziges, unseren Wählern wesentliches Anliegen durchbekommen.“
Auf die CDU sei kein Verlass, denn die habe mit ihren Stimmen grünen Verkehrsprojekten erst zum Durchbruch verholfen. Im Lokalen kann man sich leichter die Macht da holen, wo man sie findet. ,
Beispiel CDU: Uta Bätz ist Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten in Sonneberg. Dort, wo der erste AfD-Mann, Robert Sesselmann, eine Landratswahl gewonnen hat. Sie sagt, wenn die AfD einen Antrag im Kreistag vorlege, der gut für die Bevölkerung sei, „dann stimmt unsere Fraktion nach reiflicher Überlegung“ zu. Parteitagsbeschluss der CDU hin oder her.
„Einschränkungsloses Kooperationsverbot mit der AfD“? Das ist überinterpretiert
Aber vielleicht ist dieser Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU selbst das Problem. Die Christdemokraten haben in Hamburg vor fünf Jahren beschlossen, eine Zusammenarbeit dürfe es weder mit der AfD noch mit der Linkspartei geben. Nun sagt Norbert Röttgen, der auch gerne CDU-Vorsitzender geworden wäre, die CDU habe „verbindlich ein einschränkungsloses Kooperationsverbot mit der AfD beschlossen“.
Das ist, freundlich gesagt, leicht überinterpretiert. Davon, dass auf allen föderalen Ebenen, bis hin zum Kommunalen, jede Form der Kooperation mit der AfD ausgeschlossen ist, bei Androhung eines Parteiausschlussverfahrens, ist in dem Parteitagsbeschluss von Hamburg jedenfalls nicht die Rede.
Beispiel SPD: In Hildburghausen hat die SPD zusammen mit der AfD einen Bürgermeister zu Fall gebracht – ohne dass die SPD-Zentrale in Berlin deshalb auf die Palme gegangen wäre. In der CDU ist das schon einmal ganz anders gelaufen. Als der FDP-Mann Kemmerich mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, intervenierte die Bundeskanzlerin persönlich aus Südafrika: Diese Wahl müsse rückgängig gemacht werden. Wurde sie dann auch.
Man kennt sich eben, auch dem Fußballverein oder der Freiwilligen Feuerwehr
Der Nordhäuser Landrat Matthias Jendricke, ein Sozialdemokrat, sagte der „Bild“: „Alle Fraktionen stimmen regelmäßig mit der AfD.“ Man kennt sich eben, auch dem Fußballverein oder der Freiwilligen Feuerwehr, bisweilen seit Jahren oder gar Jahrzehnten. Und dann ist die persönliche Beziehung in einem Kreistag auch schon einmal wichtiger als die parteipolitische Orientierung. Und Berlin ist weit, wenn man in der thüringischen 40.000-Einwohner-Stadt Nordhausen Politik machen muss.
Es wird gerne gesagt, im Lokalen gehe es um im Kern nicht parteipolitische Projekte. Aber seit wann sind Straßen unpolitisch – siehe die Äußerungen von Zastrow. Aber selbst bei für partei- wie staatspolitisch wichtigen Fragen kommt es zur lokalen Kooperation über angeblich rote Linien hinweg. In Meißen stimmten SPD und AfD gemeinsam für einen Antrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Die alte und die neue Nähe zu Russland können eben doch noch verbinden, was eigentlich nicht zusammengehört.
Die wenigsten Kooperationen mit der AfD findet man bei den Grünen. Allenfalls noch in einem Kaff im Schwäbischen eine auf AfD-Initiative hin gemeinsam beschlossene Aufstockung der Theaterfinanzierung.
Im Grunde hat Merz nichts anderes getan als die Wirklichkeit beschrieben
Strich drunter: Jene pragmatische Kooperation mit der AfD, von der Friedrich Merz am vergangenen Sonntag im Fernsehen gesprochen hatte und die ihm eine ungewöhnlich große Kritik eintrug, gibt es längst. Oft bei der CDU, aber auch bei SPD und bei der FDP. Im Grunde hat Merz nichts anderes getan als die Wirklichkeit beschrieben: In den Gemeinden, vor allem in Ostdeutschland, wird von Fall zu Fall entschieden, ob und wie man mit der AfD zusammenarbeitet.
Dieser Umstand erklärt also nicht die Dramatik der Kritik am CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Merz weiß jetzt jedenfalls, wer alles nicht hinter ihm steht (falls er das nicht ohnehin wusste): die Frauenunion der CDU, die über 16 Jahre hinweg Angela Merkels treueste Truppe war – und offensichtlich noch ist.
Die Sozialausschüsse, denen der Ex-Manager allerdings immer schon suspekt war. Von deren Vize Dennis Radtke, der im Europäischen Parlament sitzt, musste sich Merz in hohem moralischen Ton belehren lassen, dass die Gründung der Union auch auf den Widerstand gegen die Nazis zurückgehe. Und Menschen, die einfach noch eine Rechnung mit Merz offen haben wie Röttgen.
Hans‘ Zweifel an Merz‘ Eignung als Kanzler sind irrelevant
Dazu kommen „has-beens“ wie der saarländische Ex-Ministerpräsident Tobias Hans. Der sprach Merz die Kanzlerfähigkeit ab – auf Basis welcher Erfahrung eigentlich?
Noch nie sammelte im Saarland ein CDU-Mann so wenig Stimmen ein wie Hans bei der letzten Landtagswahl. Sein Parteifreund Frank Helmenstein, Bürgermeister im bergischen Gummersbach, hat über den Parteifreund aus dem Saarland darum ein eindeutiges Urteil: „Tobis Hans ist als Saarland-MP krachend gescheitert und zurecht in der Versenkung verschwunden. Seine Zweifel an Merz‘ Eignung als Kanzler sind irrelevant.“ Das ist so hart wie wahr. Im Kampf gegen die AfD empfiehlt CDU-Nobody Hans übrigens CO2-Einsparungen.
Mit so einer Truppe kann Merz kaum in den Krieg ziehen, gemeint ist eine große Wahl. Motto: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Womöglich fehlt nicht Merz die Kanzlerfähigkeit, sondern der CDU.
Zur Erinnerung: Die innere Schwäche der CDU war der entscheidende Grund dafür, dass die CDU die Kanzlerkandidatur des CSU-Vormanns Markus Söder ablehnte. Es war das Kernargument des damals entscheidenden Mannes – CDU-Grandseigneur Wolfgang Schäuble.
SPD und Grüne haben für Merz eine nahezu perfekte AfD-Falle aufgebaut
In der Merz-Debatte, die tatsächlich um eine Petitesse ging, hat die CDU ihre derzeitige Kampagnen-Unfähigkeit gezeigt. Eine unfreiwillige Offenbarung. Dies wiegt umso schwerer, als SPD und Grüne für Merz eine nahezu perfekte AfD-Falle aufgebaut haben.
Immer dann, wenn Merz konservative Signale („Paschas“) sendet, entfacht Linksgrün eine Debatte darüber, dass der CDU-Chef die AfD über eine sprachliche Aneignung erst hoffähig mache. Indem alles halbwegs Konservative von Merz sofort von links unter AfD-Verdacht gestellt wird, soll der CDU-Chef gehindert werden, die blaue Partei auf deren eigenem Spielfeld zu attackieren. Das ist ein Grund für die derzeitige demoskopische Stärke der Blauen.
Es ist ein plumper Trick. Aber es finden sich fast immer hinreichend viele CDU-Leute, die sich davon beeindrucken lassen. Zumal viele Medien diese Melodie laut mitpfeifen.