Gastbeitrag von Gabor Steingart

Silicon Valley setzt auf Atomkraft – und Deutschland ist zunehmend isoliert

Lesedauer: 5 Minuten
Silicon Valley setzt auf Atomkraft – und Deutschland ist zunehmend isoliert / Bildquelle: FOCUS online/Wochit

Der globale Trend zu den Erneuerbaren Energien wird nicht gebrochen, sondern nur ergänzt: Die Atomenergie, derzeit für rund fünf Prozent der weltweiten Stromerzeugung verantwortlich, dürfte ihren zuletzt rückläufigen Stellenwert wieder moderat ausbauen.

Die Geschichte der Kernenergie ist eine Geschichte großer Katastrophen – Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima – und nicht minder großer Hoffnungen. Zum Beispiel die Hoffnung auf ein Ende des fossilen Zeitalters.

Neue Freunde: Der Widerstand gegen die Atomkraft wurde von Greenpeace und den Grünen angeführt. Die Atomlobby bestand aus Energiekonzernen, Kraftwerksbauern und konservativen Politikern. Diese Atomlobby erfährt in diesen Tagen Verstärkung von unerwarteter Seite. „Big Tech is going nuclear“, schreibt die Financial Times .

Silicon Nuclear: Die Erschaffer der Künstlichen Intelligenz setzen auf einen neuen Reaktortyp, um den Strombedarf ihrer Rechenzentren zu befriedigen. Dazu muss man wissen: Eine KI-Anfrage verbraucht bis zu zehnmal so viel Energie wie eine normale Google-Suche.

Wichtig zu verstehen: Die neue Welt wird nicht weniger, sondern deutlich mehr Energie konsumieren. Goldman Sachs schätzt, dass der Strombedarf von Rechenzentren bis 2030 um 160 Prozent steigen wird. Für Europa prognostiziert die Investmentbank, dass der gesamte Strombedarf – auch durch die Elektrifizierung der Wissensgesellschaft – von 2023 bis 2033 um 40 Prozent steigen wird.

Robert Blue , CEO von Dominion Energy, bestätigt den Trend: „Wir stehen vor einer neuen Ära der Energienachfrage, die durch KI angetrieben wird.“

Up in the sky: Unternehmen wie Cameco profitieren direkt davon. Der kanadische Uranriese, der mit einer EBIT-Marge von zwölf Prozent und einem Umsatzwachstum von fast 40 Prozent das Jahr 2023 abgeschlossen hat, steht bereit, die steigende Nachfrage zu bedienen. Mit 469 Millionen Pfund an bestätigtem Uranvorkommen gehört Cameco zu den Big Playern in der Branche.

AI wie Atomic Intelligence: Amazon hat Vereinbarungen mit Energieversorgern im Bundesstaat Washington getroffen, um die Entwicklung von vier neuartigen „Small Modular Reactors“ (SMRs) zu unterstützen. Ein ähnlicher Deal wurde in Virginia abgeschlossen, zudem beteiligte sich Amazon an X-energy, einem SMR-Entwickler.

Die Internetgiganten im Gleichschritt: Google, Tochter von Alphabet , verpflichtet sich, Strom von SMRs zu kaufen, die von einem Start-up namens Kairos Power gebaut werden. Vergangenen Monat hat Microsoft einen 20-jährigen Stromliefervertrag mit dem Energiekonzern Constellation Energy abgeschlossen, der ein Atomkraftwerk in Pennsylvania wiedereröffnen wird, das 2019 stillgelegt wurde.

Der Guru spricht: Sam Altman , CEO von OpenAI und für viele der Gott der künstlichen Intelligenz, fasst den neuen Trend so zusammen:

„Ein Durchbruch in der Energieerzeugung ist notwendig für die Zukunft der Künstlichen Intelligenz, die weitaus mehr Energie verbrauchen wird, als die Menschen erwartet haben. Es gibt keinen Weg dorthin ohne einen solchen Durchbruch. Das motiviert uns, mehr in Kernfusion zu investieren.“

Altman , der persönlich 375 Millionen Dollar in das amerikanische Kernfusionsunternehmen Helion Energy investiert hat, betont die Bedeutung innovativer Energiequellen für die technologische Entwicklung.

„Ich wünschte, die Welt würde auch die Kernspaltung als Energiequelle stärker annehmen.“

Die Börse reagiert positiv: Die Aktien von Nuklearunternehmen profitieren. Constellation Energy, der größte Atomkraftwerksbetreiber in den USA, verzeichnete seit Beginn des Jahres einen Anstieg von knapp 134 Prozent. Vistra, ein weiteres Unternehmen, das mit der Energieversorgung von KI-Rechenzentren verhandelt, legte seit Jahresbeginn sogar über 240 Prozent zu.

Politische Schützenhilfe: Auch auf höchster politischer Ebene in den USA wird klar, dass Deutschland einen Sonderweg beschritten hat und es in den USA keine Abkehr von der Atomenergie geben wird. Präsident Bidens Klimaberater Ali Zaidi erklärte kürzlich:

„Die Wiederinbetriebnahme von Atomkraftwerken ist entscheidend für die Energiesicherheit unseres Landes.“

Auswirkungen auf die Märkte: Nach einem raketenhaften Anstieg Anfang 2024, als der Uranpreis die magische Marke von 106 Dollar pro Pfund durchbrach, stabilisiert sich der Markt nun in einem Korridor zwischen 85 und 90 Dollar. Dieser Rücksetzer war kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stabilität.

Uranpreis stabilisiert: Analysten wie Jonathan Hinze von UxC und Grant Isaac von Cameco sind sich einig: Der niedrige 80er-Bereich hat sich als neuer „Floor“ etabliert. Das bedeutet, dass es eine starke Nachfrage gibt, sobald der Preis unter diese Marke fällt.

Das neue Gold: Anleger, die Uran nach dem Preisverfall auf 17 Dollar pro Pfund im Jahr 2016 abgeschrieben hatten, werden jetzt eines Besseren belehrt. Seit 2020 befindet sich der Uranpreis in einem stetigen Aufwärtstrend. Anfang 2024 kletterte er erstmals seit 16 Jahren wieder über die 100-Dollar-Marke.

China hilft: Die Volksrepublik setzt gleichzeitig ebenfalls auf eine Renaissance der Atomenergie. Man will unabhängig werden von den Gaslieferungen des Nahen Ostens und der Russen.

Natürliche Intelligenz: Die Führung des Landes hat dafür nicht die künstliche Intelligenz befragt, sondern die natürliche Intelligenz des Politbüros sprechen lassen. Man setzt gleichzeitig auf alle neuen Technologien, um den Energiehunger des Landes befriedigen zu können.

Auch in Europa herrscht Konjunktur: Polen plant den Bau von 79 Kleinreaktoren mit jeweils 300 Megawatt Leistung. Sie sollen ein Drittel der zukünftigen Atomenergie liefern und lokal ganze Ortschaften oder Fabriken mit Strom und Wärme versorgen. Der erste SMR soll 2028 ans Netz gehen.

Globaler Ausblick: Damit wird der globale Trend zu den Erneuerbaren Energien nicht gebrochen, sondern nur ergänzt. Die Atomenergie, derzeit für rund fünf Prozent der weltweiten Stromerzeugung verantwortlich, dürfte ihren zuletzt rückläufigen Stellenwert wieder moderat ausbauen, ohne Wind, Solar und Geothermie zu verdrängen.

Fazit: Greenpeace wird sich an die friedliche Koexistenz mit der neuen Atomlobby gewöhnen müssen. Die Energiewelt der Zukunft ist nicht schwarz oder grün, sondern bunt. Es brennt, windet, scheint – und strahlt.

 

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