Die der SPD nahestehende Stiftung ermittelt regelmässig die «demokratiegefährdenden» Einstellungen der Deutschen. Neben bedrückenden Befunden liefert sie einen Geleitschutz für die Politik der «Ampel» – und verheddert sich in absurden Schlussfolgerungen.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Alexander Kissler, Redaktor im Berliner Büro der NZZ. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Auf die «geforderte Mitte» von 2021 folgt die «distanzierte Mitte». Alle zwei Jahre legt die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung unter wechselnden Überschriften eine umfangreiche Studie vor, um «rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland» zu messen. Laut der Studie ist der Anteil der Bundesbürger mit einem manifest rechtsextremen Weltbild von 1,7 auf nunmehr 8,3 Prozent gestiegen – ein bedrückender, ein ernstzunehmender Befund.
Leider jedoch schiesst die Stiftung mit ihrer neuen Studie über das ehrenwerte Ziel hinaus. Denn auch wer mit den etablierten Medien fremdelt, die aktuelle Migrationspolitik ablehnt, Ausländer Ausländer nennt oder von der Existenz exakt zwei verschiedener Geschlechter überzeugt ist, wird von den Autoren ins rechtsextremistische Umfeld geschoben.
Durch solche Einseitigkeiten delegitimiert die Studie politische Positionen jenseits linker Überzeugungen. Mitte ist offenbar dort, wo der Koalitionsvertrag der «Ampel» abgearbeitet wird. So springt die Studie der Bundesregierung und ihrem sozialdemokratischen Kanzler auf fast schon täppische Weise bei und vergrössert jene Kluft zwischen Bevölkerung und Politik, die sie wortreich beklagt.
Anfällige Gewerkschaften
Befragt wurden zu Beginn dieses Jahres telefonisch rund 2000 repräsentativ ausgewählte Deutsche. Die Interviews dauerten im Schnitt eine halbe Stunde. Auf dieser Datenbasis entstanden Zahlenbündel zu sechs konkreten Themenfeldern, zur «Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur» und der Verharmlosung des Nationalsozialismus, zu Nationalchauvinismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Sozialdarwinismus.
Laut Ebert-Stiftung stimmen 13 Prozent überwiegend oder ganz der Aussage zu, «wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert». Das sind auf jeden Fall 13 Prozent zu viel. In der Leipziger Autoritarismus-Studie von Ende 2022 lag die Zustimmung zum identisch formulierten Satz bei 7,1 Prozent.
Bemerkenswert und bitter ist, dass Rechtsextremismus unter Gewerkschaftsmitgliedern auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Die Autoren konstatieren bei dieser Klientel eine «überzufällig häufigere Verharmlosung des Nationalsozialismus sowie mehr Zustimmung zum Antisemitismus und Sozialdarwinismus» als beim Rest der Bevölkerung. Insgesamt verorten sich 15,5 Prozent der Befragten als rechts oder eher rechts. Vor zwei Jahren waren es 9,1 Prozent.
Gestiegen ist auch die Gruppe derer, die dem antisemitischen Klischee zustimmen, der «Einfluss der Juden» sei zu gross: von 4,3 auf 11,8 Prozent. Für die sozialdarwinistische These, es gebe wertvolles und unwertes Leben, erwärmen sich überwiegend oder ganz 11,8 nach zuvor 7,3 Prozent.
In der Tat sind solche Zahlen enorme Herausforderungen für einen liberalen Rechtsstaat, insbesondere für dessen Bildungspolitik. Was sagt es aus über den von der «Ampel» forcierten «Kampf gegen rechts», wenn rechtsextremes Gedankengut wächst und gedeiht? Es sind offenbar wirkungslos verschleuderte Millionen zum Vorteil der vom staatlichen Geldsegen profitierenden Institutionen.
Eine Studienautorin fordert vor diesem Hintergrund eine Verzahnung der Demokratieförderung mit der «staatlichen politischen Bildung» und bedauert: Die Normalisierung «extrem rechter Positionen» beginne, wenn man «diversitätssensible Sprache» als «Woke-Wahn» diffamiere.
Vor traditionellen Geschlechterrollen wird gewarnt
Das Lamento gilt generell nicht einem Staat, dessen Dysfunktionalitäten das beklagte Misstrauen in die Demokratie mit verschuldet haben, sondern den Stammtischen: «Allerdings steckt im einfachen Schimpfen auf die Demokratie auch ein demokratiegefährdendes Potenzial.» Wer aus seinem Herzen keine Mördergrube macht und die Sprachcodes des Korrekten meidet, steht kurz vor einer «demokratiegefährdenden Radikalisierung».
Gleiches gilt vom herablassend als «Scheinprotest» bezeichneten öffentlichen Ausdruck «politischer, sozialer, kultureller wie moralischer Beschwerden und Unzufriedenheiten». Die Autoren wünschen sich ein wohltemperiertes Mittelmass, wenn die Regierung denn schon unbedingt kritisiert werden muss.
Auf keinen Fall sollen Ausländer als solche benannt werden. Es handele sich um «Neuhinzukommende». Überall kann «kultureller Rassismus» lauern. «Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit» betreibe, wer etwa die «Aufrechterhaltung und Reproduktion traditioneller Geschlechterrollen» befürwortet und Frauen rät, sich auf die «Rolle der Ehefrau und Mutter» zu besinnen.
Mit ihrer Kritik an den öffentlichrechtlichen Medien sollen es die Deutschen nicht übertreiben. Dass das Vertrauen in ARD und ZDF als «wichtige Säulen unserer Demokratie» von 69 auf 59 Prozent sank, missfällt der Stiftung. «Das politische und das mediale Vertrauen» hingen eng zusammen. Auch hier gilt der Vorwurf nicht den Anstalten, die zu diesem Trend gewiss beigetragen haben, sondern einer labilen Gesellschaft. Melancholisch erinnern die Autoren an die Corona-Pandemie, die den «Sinn für eine demokratische Grundhaltung gestärkt» habe.
Mit dieser ans Alberne rührenden Volte zeigt die Studie, wes Geistes Kind sie ist: In vollendeter Staatsfrömmigkeit liefert sie der Bundesregierung und deren «Kampf gegen rechts» wissenschaftlichen Geleitschutz. Die Mitte wird an den Pranger gestellt, wo sie die Segnungen linker Bewusstseinspolitik bezweifelt: schade um den Diskurs, schade um die wahre Mitte und schade auch um den harten quantitativen Kern einer unerfreulichen Botschaft.