Oliver Maksan

Politiker ohne Berufsabschluss dürfen nicht zum Normalfall werden

01.02.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Omid Nouripour und Ricarda Lang sind die neuen Parteivorsitzenden der Grünen. Imago

Die neuen Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour haben weder Studien- noch Berufsabschluss. Das Phänomen gibt es auch in anderen Parteien. Doch mit welcher Glaubwürdigkeit wollen solche Politiker für den Aufstieg durch Bildung werben?

Die Grünen haben am Wochenende eine neue Doppelspitze gewählt. Ricarda Lang und Omid Nouripour unterscheiden das Geschlecht, das Alter und die Verortung im innerparteilichen Koordinatensystem. Sie eint indes, dass sie weder ein abgeschlossenes Studium noch eine andere berufliche Qualifikation vorweisen können. Das Abitur ist in beider Lebenslauf der höchste formale Bildungsabschluss. Die 28-jährige Lang hat zudem keinerlei Berufserfahrung ausserhalb der Politik gesammelt. Der 46-jährige Nouripour führt in seinem Lebenslauf immerhin eine freie Mitarbeit für eine Zeitung und eine selbständige Beratertätigkeit vor dem Eintritt in den Deutschen Bundestag 2006 an.

Der Hinweis darauf eignet sich indes nicht für schnelles Grünen-Bashing. Denn diese Entwicklung findet sich auch beim Spitzenpersonal anderer Parteien. Kevin Kühnert, der neue Generalsekretär der SPD, hat bekanntlich zwei Studiengänge abgebrochen. Auch bei der bürgerlichen Konkurrenz konnte es Paul Ziemiak zum Generalsekretär der CDU bringen, ohne sein Jurastudium beendet zu haben. Und im Nachbarland Österreich schaffte es Sebastian Kurz bis nach ganz oben, ohne ein Studiendiplom vorweisen zu können.

Bildung weist den Platz in der Gesellschaft zu

Gewiss, ein Abschluss in diesem oder jenem Fach sagt nichts aus über die Politikfähigkeit eines Abgeordneten oder Parteifunktionärs. Er muss sich in unterschiedlichste Bereiche einarbeiten können. Politik ist etwas anderes als Fachreferententum. Und niemand würde etwa einem Kühnert sein politisches Talent absprechen. Er vermag Themen zu setzen, rhetorisch zu überzeugen und Mehrheiten zu organisieren.

Damit erfüllen Kühnert und Co. die Kriterien, die Altbundespräsident Richard von Weizsäcker aufgestellt hatte: «Bei uns ist ein Berufspolitiker im Allgemeinen weder ein Fachmann noch ein Dilettant, sondern ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft.» Man muss das gar nicht abwertend lesen. Es beschreibt gut die Anforderungen, die demokratische Prozesse an das politische Personal stellen.

Dennoch schadet es dem Ansehen der politischen Klasse, wenn ausgerechnet Volksvertreter und die Meinungsbildung ganz wesentlich beeinflussende Parteifunktionäre an die Spitze gelangen, ohne dass sie sich formal das angeeignet haben, was dem Einzelnen den Platz in der bürgerlichen Gesellschaft zuweist: Bildung und Ausbildung. Das Fehlen von Abschlüssen bei den Repräsentanten schafft so aus Sicht der Repräsentierten eine Zweiklassengesellschaft. Mit welcher Glaubwürdigkeit sollen solche Politiker zudem für den Aufstieg durch Bildung werben?

Die parlamentarische Verkastung droht

Fast noch problematischer als das Fehlen formaler Abschlüsse ist die Abwesenheit jeglicher Berufserfahrung ausserhalb der Politik. Es nimmt Unabhängigkeit und verstärkt Konformismus, wenn es keine beruflichen Alternativen jenseits von Partei und Parlament gibt. Nichts wirkt für den an der vorgegebenen Linie zweifelnden Parteipolitiker dann disziplinierender als der Verweis auf den Listenplatz.

Vor diesem Hintergrund ist der Eintritt auffallend vieler junger und jüngster Abgeordneter in den neuen Bundestag deshalb nicht nur umstandslos zu beklatschen. Natürlich bringen sie neue Sichtweisen ein. Dennoch sollte der nahtlose Übergang von Parteistrukturen in das Parlament nicht zum Normalfall werden. Sonst droht die parlamentarische Verkastung.

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