Kommentar von Veit Etzold

Olympia woke: Das „Letzte Abendmahl“ war ein Festmahl für Gegner des Westens

07.08.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Olympia woke: Das „Letzte Abendmahl“ war ein Festmahl für Gegner des Westens

In einer Zeit, in der kulturelle Sensibilität mehr denn je im Rampenlicht steht, sorgt eine gewagte Darstellung des „Letzten Abendmahls“ bei den Olympischen Spielen für weltweite Kontroversen. Storytelling-Profi Veit Etzold schildert Hintergründe, Reaktionen und Folgen.

Wer ist eigentlich für die Eröffnungs-Inszenierung während der Olympia Feier zuständig? 

Die Inszenierung während der Olympischen Spiele zeigte eine Gruppe von Drag Queens und anderen Künstlern, die eine moderne Interpretation eines Festmahls darstellten, die sehr stark an „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci erinnert. Nachdem diese Aufführung Wellen der Entrüstung provoziert hat, fragen sich alle: Wer war denn dafür zuständig? Wie so oft bei Dingen, die in die Hose gehen, erst einmal keiner. Tatsächlich kann man es hier klar benennen: Die Inszenierung wurde vom künstlerischen Leiter Thomas Jolly entworfen und vom Organisationskomitee Paris 2024 genehmigt.

Thomas Jolly ist ein international renommierter Theaterregisseur, der besonders für seine innovativen Shakespeare-Inszenierungen bekannt ist und der oft traditionelle Themen provokant in Szene setzt.

Ob Emanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Marine Le Pen oder wer immer in Frankreich zum gegenwärtigen Zeitpunkt gerade das Sagen hat, irgendwie in den Prozess eingebunden waren, ist nicht bekannt, Macron lobte das politische Kunstprojekt übrigens.

Das ist in etwa so, als würde ein Unternehmen sein 100-jähriges Jubiläum feiern und der Chef des Unternehmens hat keine Ahnung, was in der Laudatio überhaupt gesagt wird.

Was bedeutet eigentlich „woke“? 

„Woke“ ist ein Begriff, der ursprünglich aus der afroamerikanischen Vernakularsprache stammt und „wach“ bedeutet. Der Begriff wurde zuerst genutzt, um ein Bewusstsein für soziale und politische Ungerechtigkeiten zu kennzeichnen, insbesondere in Bezug auf Rassismus. Prinzipiell ist das nach der kolonialen Vergangenheit des Westens definitiv zu begrüßen. Was nur stört, ist die unterschwellige Unterstellung, dass jeder, der nicht „woke“ ist, sich im wahrnehmungsgestörten Tiefschlaf befindet.

Woke-Tendenzen sehen wir zum Beispiel bei alten Hörspielen wie „Fünf Freunde“, wo im Vorfeld eine lange Predigt kommt, die davor warnt, dass hier „nicht mehr zeitgemäße Themen“ vertreten werden. Da die Hörspielhersteller mit ihren alten Lizenzen aber Geld verdienen wollen, verkaufen sie die Hörspiele trotzdem, allerdings mit einer apothekenartigen Warnung, so als würde es sich nicht um ein Kinderhörspiel, sondern um ein Medikament mit schweren Nebenwirkungen handeln.

Der Disney-Konzern wurde von aggressiven Investoren wie Nelson Peltz mit dem Vorwurf attackiert, dass die Inhalte zu „woke“ seien und am Massengeschmack des Publikums vorbeigehen, die vielleicht kein wokes Schneewittchen sehen wollen. Der Disney-Aktienkurs, der seitdem fast 50 Prozent an Wert verloren hat, scheint diesen Kritikern recht zu geben. Auch Amazons „Ringe der Macht“, die teuerste Serie aller Zeiten, floppte, weil man der eher nordisch geprägten Tolkien-Welt unbedingt eine woke Verkleidung überstülpen musste.

Insgesamt erinnert mich die „Woke“- Strategie sehr stark an die Kunden-Strategie der deutschen Kirchen, wo Produkte für Menschen attraktiv gemacht werden, die diese Produkte niemals kaufen werden. Aus Marketing- und Vertriebs-Sicht so ziemlich das Dümmste, was man machen kann.

Wie haben Medien und Länder auf die Darstellung des „Letzten Abendmahls“ während der Eröffnungszeremonie reagiert?

Die Inszenierung war ein gefundenes Fressen für Populisten jeglicher Art, die ja „schon immer gewusst haben“, dass der Westen seine eigenen Werte mit Füßen tritt. Italienische Politiker, darunter der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini, äußerten scharfe Kritik an der Inszenierung und bezeichneten sie als „beleidigend“ und „schmutzig“. US Präsident Donald Trump sprach von einer „satanischen Inszenierung“ und auch der Vatikan reagierte kritisch und veröffentlichte eine offizielle Stellungnahme, in der Papst Franziskus erklärte, er sei „traurig“ über die Darstellung.

Der Heilige Stuhl verurteilte die Szene als respektlos gegenüber religiösen Überzeugungen und betonte, dass ein globales Ereignis wie die Olympischen Spiele nicht genutzt werden sollte, um religiöse Gefühle zu verletzen. Dass das Thema „Religion“ laut Statuen des Olympischen Komitees bei Olympia auch nichts zu suchen hat, ist den Olympia-Planern in Paris offenbar entgangen.

Klar ist eine Sache: Den Islam, der ja auch eine Weltreligion ist, hätten die Künstler wahrscheinlich nicht lächerlich inszeniert, weil dann eine Vergeltung á la Charlie Hebdo in 2015 nicht lange hätte auf sich warten lassen.

Was sagt die Eröffnungsfeier über das Selbstverständnis und die „Story“ des Westens aus? 

Es ist nicht möglich, keine Story zu erzählen. Wenn die Inszenierung fast jeden an das „Letzte Abendmahl“ erinnert, dann liegt die Schuld nicht bei denen, die das so sehen, sondern denen, die missverständlich kommuniziert haben. Vor allem hätte den Organisatoren klar sein sollen, dass spätestens nach Dan Browns „Da Vinci Code“ nun wirklich jeder und seine Oma schon einmal da Vincis Kunstwerk, wenn vielleicht auch nicht live, gesehen hat. Hier gilt wieder die alte Storytelling-Weisheit: Was missverstanden werden kann, wird missverstanden.

Das Gemälde „Das letzte Abendmahl“ kommt zudem aus der Zeit der Renaissance, als antike Ideale nach dem finsteren Mittelalter wieder Geltung bekamen und auch die Wissenschaften florierten – eine Errungenschaft, auf die Europa eigentlich stolz sein sollte. Dass den Organisatoren nichts besseres einfällt, als sich über diese Einzigartigkeit Europas zu mokieren, kann man kritisieren. Was meiner Ansicht nach viel schlimmer ist, ist die Story, die der Westen nach draußen kommuniziert: Schaut her, wir nehmen uns und unsere europäische Kultur und Geschichte derart wenig ernst, dass wir uns bei einem globalen Event wie Olympia vor der ganzen Welt darüber lustig machen.

Migranten wird immer gesagt, sie sollten sich in ihre europäischen Gastländer „integrieren“. Die Frage ist, in was denn eigentlich? Wenn Europa außer der Gurkenkrümmung, dem Verbrennerverbot und dem Datenschutz keine Gründerstorys mehr einfallen und die tollen Storys, die es gibt, mit Füßen getreten werden, wird das Vakuum, das dabei entsteht, eben mit anderen Storys gefüllt.

Die Olympia-Inszenierung ist nicht nur zu woke, sie ist auch Futter für alle Autokraten. Xi Jinping, Wladimir Putin & Co reiben sich die Hände. Sie haben es ja immer gewusst: Der Westen und besonders Europa ist nicht nur dekadent wie das untergehende Rom, er hasst sich selbst, dass es sich auf offener Weltbühne selber durch den Kakao zieht.

Dieser Text stammt von einem Experten aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.

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