Omid Nouripour und Ricarda Lang haben die eigene Basis zu einer Videokonferenz über den Zustand ihrer Partei eingeladen. Schnell zeigt sich: Vor allem in Sachen Migrationspolitik schaffen es die Grünen nicht, sich eigene Fehler einzugestehen.
Sie können es einfach nicht fassen. Lange Zeit waren sie die beliebteste Partei, glaubten, die SPD als linke Volkspartei verdrängen zu können. Für die Grünen schien es nur eine Richtung zu geben – nach oben.
Inzwischen sind die Grünen nach der AfD die Partei, die in der Bevölkerung auf die größte Ablehnung stößt. In den bundesweiten Umfragen sind sie auf 11 Prozent abgesackt, in den neuen Ländern sind sie der Fünf-Prozent-Grenze gefährlich nahe.
Alles halb so schlimm, dachten die führenden Grünen – oder taten jedenfalls so. Die Europawahl belehrte sie eines Besseren beziehungsweise Schlechteren: Sie stürzten um 8,6 Prozentpunkte auf 11,9 Prozent ab.
Spitzenpolitiker der Grünen sind keine Sympathieträger mehr
Noch härter traf sie das Wahlverhalten der jungen Wähler bis 24 Jahren: Dort erreichten sie gerade ein Drittel des Ergebnisses von 2019: magere 11 statt 34 Prozent. Die AfD schnitt mit 16 Prozent in dieser Wählergruppe deutlich besser ab. Die von den Grünen gehätschelten jungen Umweltaktivisten sind eben nur eine Minderheit.
Zudem sind die Spitzenpolitiker der Grünen, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck, keine Sympathieträger mehr. Sie liegen im ZDF-Politbarometer bei der Benotung nach „Sympathie und Leistung“ mit minus 0,6 und minus 0,4 nur im Mittelfeld, deutlich hinter Oppositionsführer Friedrich Merz.
Dies alles war für die Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang Grund genug, die eigene Basis zu einer Videokonferenz über den Zustand der Partei einzuladen. 1500 Mitglieder machten mit, eine in der Sommerzeit beachtliche Zahl.
Grüne schaffen es einfach nicht, sich Fehler in der Migrationspolitik einzugestehen
Wer von den Parteimitgliedern gehofft hatte, Lang und Nouripour hätten konkrete Vorschläge, um die Grünen aus ihrem Tief herauszuführen, wurde enttäuscht. Die Grünen-Spitze präsentierte sich eher nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Ratlosigkeit“.
Mehr auf die Menschen zu hören, sich nicht nur mit denen zu treffen, mit denen man ohnehin übereinstimme – das sind keine falschen Ratschläge der beiden Vorsitzenden. Sie zeugen aber auch nicht von einem überzeugenden Konzept.
Nichts treibt die Menschen mehr um und in die Arme der AfD als die illegale Zuwanderung mit all ihren Folgen. Dabei ist den Wählern sehr bewusst, dass keine andere Partei die falsche Politik der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) so sehr unterstützt und bejubelt hat wie die damals oppositionellen Grünen. Wäre es allein nach ihnen gegangen, wäre die Zahl der Zuwanderer in den vergangenen Jahren noch höher ausgefallen.
Doch die Grünen schaffen es – ähnlich wie die CDU vor Friedrich Merz – einfach nicht, die eigenen Fehleinschätzungen und Fehler in der Migrationspolitik einzugestehen. So weigerte sich Lang bei der Videokonferenz zu sagen, was Sache ist.
Ricarda Lang malt sich die Welt schöner, als sie ist
Stattdessen sprach die Grünen-Vorsitzende von „Gefühlen“, der Menschen, die einen Kontrollverlust beklagen. Diese Sorgen müsse die Partei ernst nehmen. Täte sie es nicht, gingen die Menschen „zu den anderen“.
Da malt sich die Grüne – bewusst oder unbewusst – die Welt schöner, als sie ist. Wie schön wäre es, wenn die Menschen nur das „Gefühl“ hätten, die Politik verliere völlig die Kontrolle darüber, wer in dieses Land kommt und wer hier bleibt, ganz gleich, ob er das darf oder nicht.
Das wirkungsvollste Mittel gegen dieses „Gefühl“ staatlicher Ohnmacht ließe sich mit Zahlen und Fakten begegnen – über Grenzkontrollen, Zurückweisungen, Abschiebungen, Abschiebeabkommen, sichere Herkunftsländer.
Genau das kann die rot-grün-gelbe Regierung nicht liefern, weil die Zahl der Flüchtlinge immer noch zu hoch und die Zahl der Abschiebungen immer noch zu gering ist. Nein, der Kontrollverlust wird nicht nur gefühlt, er ist real.
Kommunalpolitiker werden kaum Herr der Lage
Während Lang „Gefühlen“ begegnen will, werden die Kommunalpolitiker – auch die der Grünen – der Lage kaum noch Herr. Die Städte und Gemeinden wissen nicht mehr aus noch ein, wie sie die Zugewanderten unterbringen und versorgen sollen.
Der Kontrollverlust schlägt sich sehr konkret nieder: unmittelbar bei den fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten für Neuankömmlinge, bald darauf in den Schulen, im Gesundheitswesen, nicht zuletzt auf dem Wohnungsmarkt. Und obendrein in den Kassen der Gemeinden, der Länder und beim Bund.
Es ist halt nicht nur ein Gefühl, dass unter Gewalttätern und anderen Straftätern überproportional viele Menschen sind, die bei uns Schutz suchen, aber gleichzeitig den gewährten Schutz missbrauchen. Da lässt sich die Kriminalitätsstatistik nicht schönreden.
Bei der Migration trügt die Menschen ihr Gefühl nicht
Lang und Nouripour hatten der Basis unter anderem die folgende Lehre aus dem Desaster bei der Europawahl anzubieten: „Die Menschen haben berechtigte Sorgen – und das Gefühl, dass wir an diesen vorbeireden. Wir bieten handfeste Antworten auf die Probleme im Alltag der Menschen.“
Das klingt gut. Nur: Beim Thema Migration trügt die Menschen ihr Gefühl nicht: Es sind die Grünen, die bei diesem Thema zu hundert Prozent an den Menschen vorbeireden. Lang stößt mit ihrer Schönfärberei wahrscheinlich bei den linken Stammwählern ihrer Partei auf Zustimmung – und die Wähler in der Mitte vor den Kopf.