Kommentar

Neue Eskalation in der Ampel: Alle gegen Lindner – ein ZDF-Moderator giftet ihn unfair an

04.11.2024
Lesedauer: 5 Minuten
Christian Lindner, Finanzminister und Bundesvorsitzender der FDP / Quelle: Fabian Sommer/dpa

In der Ampel brodelt es weiter. Für Ärger sorgen vor allem die jüngsten Wirtschaftsthesen von Christian Lindner. Doch die als toxisch abzutun, ist falsch und ignorant. Ein Kommentar.

Es ist ein Streit ohne Ende: In der Ampel brodelt es weiter, und diese Woche könnte sich entscheiden, ob sie weitermacht oder es zum Bruch kommt. Inzwischen ist man nach dem ganzen Kindergartentheater geneigt zu sagen: Bitte ja, schafft endlich klare Verhältnisse!

Für viele Menschen hat die Ampel fertig – und das Schlimme ist: Während die drei Parteien streiten, geht die Wirtschaft – und nicht nur die – den Bach runter. Entscheidungen werden vertagt, Gesetze bleiben liegen, in vielen Ministerien geht gar nichts mehr. Da ist die Zustandsbeschreibung von Saskia Esken ausnahmsweise mal richtig: „Es brennt die Hütte.“ Nur leider hat sich die SPD-Parteichefin auf den Zustand der Streit-Koalition bezogen – und nicht darauf, dass die Menschen das ewige Gezerre leid sind und das dem Land inzwischen schadet.

Am Sonntag jagte daher mal wieder ein Krisengipfel den nächsten, FDP-Chef Lindner raste um 21 Uhr zum Rapport ins Kanzleramt. Vorher aber musste er sich noch in der Sendung „Berlin direkt“ von Moderator Wulf Schmiese angiften lassen und sich der Vorwürfe erwehren, er wolle die Koalition platzen lassen. 

Dass Lindner am Sonntagabend im ZDF Rede und Antwort stand, kam nicht von ungefähr. Er hatte am Freitag, wenn auch unfreiwillig, wie er beteuert, eine neue Bombe im politischen Berlin platzen lassen: Er präsentierte ein eigenes Konzept, um von Deutschland wirtschaftlichen Schaden abzuwenden – 18 Seiten lang, an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Mit dem Tenor, dass es – nach drei Jahren Regierung, an der er auch beteiligt ist – so nicht weitergehen kann.

Lindners Vorstoß einfach abzutun, ist falsch

Es ist der vorläufige Höhepunkt nach der Woche der Gipfel (Scholz im Kanzleramt) und Gegengipfeln (Lindner) oder Ideen zu einem Deutschlandfonds (Habeck). Das Einzige, was man mitnehmen kann, ist, dass es keine gemeinsame Strategie geben wird, weil alle drei Parteien unterschiedliche Vorstellungen haben. 

Doch Lindners Vorstoß einfach nur als ein Heischen um Aufmerksamkeit abzutun, ist falsch. Ebenso überzogen erscheint der Vorwurf, das Strategiepapier sei „toxisch“, wie es im ZDF genannte wurde. Vielmehr legt die Diskussion in der Sendung nahe, dass das eigentliche Interesse weniger an einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Inhalten bestand, sondern eher daran, Lindner zu Aussagen zu bewegen, die die Koalition gefährden könnten. Zweifelhaft war auch der Umgang des Journalisten Schmiese, der dem FDP-Chef scheinbar das Label eines Ultimatums an SPD und Grüne anheften wollte – eine Strategie, auf die Lindner jedoch nicht einging.

Der Fokus auf Schuldzuweisungen untergräbt eine sachliche Debatte

Anstatt einer fairen Auseinandersetzung mit den Sachfragen rückte die Debatte erneut in den Fokus, wer die Schuld für politische Konflikte und die Schwierigkeiten der Regierungsarbeit trägt. Diese Entwicklung ist aber nicht nur auf die Ampelkoalition beschränkt, sondern symptomatisch für die politische Kultur in Deutschland insgesamt. Der Fokus auf Schuldzuweisungen statt auf Problemlösungen untergräbt eine sachliche und lösungsorientierte Debatte und zeigt, dass das politische Klima von Reflexen der Rechtfertigung und der Verteidigung durchzogen ist – ein Klima, das letztlich einer konstruktiven politischen Arbeit entgegensteht.

Lindner trifft einen wichtigen Punkt, wenn er feststellt, dass „Deutschland sich selbst schwächt“. Seit Jahren weisen Unternehmer darauf hin, dass die wirtschaftliche Dynamik des Landes vor allem durch ungünstige Rahmenbedingungen gebremst wird. Dazu zählen das schwache Produktivitätswachstum, ein niedriges Arbeitsvolumen, der Sonderweg Deutschlands beim Klimaschutz, ein massiver Investitionsstau und die zunehmende Zersplitterung der globalen Märkte. Verschärft wird die Situation durch die ausufernde Bürokratie, die Innovationen und Effizienzsteigerungen zusätzlich hemmt.

Doch dabei bleibt es nicht: Beim Bürgergeld, Geflüchteten und der Rente soll ebenfalls gekürzt werden. Auch stellt der Finanzminister neue Forderungen auf, die bislang in der Ampel nicht verhandelt wurden, und will mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags möglichst sofort beginnen. Er sollte in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf drei Prozent abgesenkt werden. In einem zweiten Schritt könnte er im Jahr 2027 dann vollständig entfallen. Damit will er vor allem den Mittelstand entlasten. 

Und während selbst Alt-Sozis wie Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die Union den Lindner-Plan begrüßt und als notwendig bezeichnet haben, gibt es vonseiten der SPD und Grünen vor allem neben dem Satz, das sei nicht umzusetzen, das: eine deutlich zur Schau getragene Ignoranz. Manche sprechen gar von einem Erpressungsversuch. 

Das ist ein gravierender Fehler und macht deutlich, dass ein Umdenken dringend nötig ist. Vom Kanzler, dem Vizekanzler und ihren Parteien sollte man erwarten, dass sie offen bleiben für Vorschläge zur Verbesserung der Lage im Land. Die reflexartige Ablehnung aller FDP-Vorschläge – die selbstverständlich auch eigene Parteiziele widerspiegeln, wie es bei SPD und Grünen ebenso der Fall ist – zeugt weder von Souveränität noch von Sachorientierung. Im Gegenteil: Wer die wirtschaftliche Lage ernsthaft verbessern will, sollte Lindners Forderungen konstruktiv prüfen, statt sie vorschnell abzulehnen.

Am Mittwoch könnte der Koalitionsausschuss darüber entscheiden, ob die Ampelkoalition bricht – eine Entscheidung, die möglicherweise Neuwahlen im März nach sich ziehen würde. Doch unabhängig davon, ob die Wahl in wenigen oder wie geplant in zehn Monaten im September stattfindet, steht schon jetzt fest: Das gegenseitige Blockieren wird weitergehen. Wahrscheinlich werden SPD und Grüne der FDP einige Zugeständnisse machen, um den kleineren Partner zu besänftigen. Doch das wird kaum ausreichen. Ohne substanzielle Fortschritte droht die Wirtschaft weiter abzurutschen und das Land in ernsthafte Schwierigkeiten zu geraten.

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