Moritz Eichhorn

Neue Einwanderungspolitik: Will die SPD nicht aus 2015 lernen?

02.12.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Über Einbürgerungen sprechen Scholz und Faeser in Kreuzberg. Foto: imago/Frank Ossenbrinck

Olaf Scholz und Nancy Faeser wollen eine neue Einwanderungspolitik. Sie senden dabei ein riskantes Signal: Wer einmal hier ist, darf bleiben. Ein Kommentar.

In der deutschen Politik macht man Dinge gern zweimal falsch: einmal auf konservative, dann auf progressive Art, einmal schlägt das Pendel zu weit nach rechts, dann zu weit nach links. So ist es auch bei der Migrationspolitik, die die Bundesregierung nun neu ordnen will.

Am Montag stellten die Integrationsstaatsministerin, die Innenministerin und der Kanzler bei einer PR-Veranstaltung in Kreuzberg ihr Konzept einer neuen Migrationspolitik vor. Das Ganze soll dreiteilig sein. Ein Chancenaufenthaltsrecht soll Menschen, die über Jahre eine Duldung nach der nächsten erhalten haben, den Erhalt eines Aufenthaltstitels ermöglichen, ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild Spitzenkräfte anlocken. Und schließlich soll eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts dafür sorgen, dass auch Menschen mit geringen Deutschkenntnissen den deutschen Pass erhalten können, zum Teil, ohne den alten Pass aufgeben zu müssen.

Bei dem Termin wurde nun aber fast ausschließlich über letzteres gesprochen, die erleichterte Einbürgerung für schon lange hier lebende Menschen, Stichwort Kreuzberg. „Deutschland. Einwanderungsland.“ stand auf Plakaten hinter den Rednern. So, als wollten sie einen Punkt hinter die Debatte, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland sei, setzen. Basta.

Jahrzehntelang war das geleugnet worden – übrigens von Union und SPD. Gastarbeiter wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren zu Hunderttausenden angeworben, doch bis in die 90er bestand die Vorstellung, die Gäste würden – trotz Kindern und Enkeln und Grund und Boden und Schulabschlüssen und Berufen – wieder in die alte Heimat zurückkehren. Das war da schon lange eine Illusion. Die SPD verstand das früher als die Union.

Doch auch die versteht es mittlerweile. Und vor allem: Dass wir noch mehr Einwanderungsland werden müssen, wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen. Seit Jahren fehlen auf allen Ebenen Arbeitskräfte. Aber was für ein Einwanderungsland wollen wir eigentlich sein?

Die SPD zieht die falschen Schlüsse angesichts einer alternden und kinderärmeren Gesellschaft. Nach der Leugnung, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, gab es in Deutschland den zweiten großen Fehler: das Umschwenken auf eine unkontrollierte Migration. In diesem Fehler steckt die SPD fest.

Das Offenhalten der Grenzen, wie wir es 2015 erlebten, war keine moderne Einwanderungspolitik. Es war eine Entscheidung, die einen Keil in die Gesellschaft getrieben und Deutschland von seinen EU-Partnern entfremdet hat – und die kaum Arbeitskräfte ins Land holte. Die Menschen, die nach Deutschland kamen, Hunderttausende ohne Ausbildung, Berufserfahrung, Deutschkenntnisse oder Anspruch auf Asyl, leben zum Großteil bis heute von staatlichen Leistungen. 

Die SPD redet nun vor allem über erleichterte Einbürgerungen, anstatt über das Punktesystem für Fachkräfte. Menschen, die seit Jahrzehnten nicht gut integriert sind, sollen die Staatsbürgerschaft erhalten, damit sie besser integriert werden. Dafür sollen Hürden, was Kenntnisse der Staatsbürgerkunde und Sprache angeht, abgesenkt werden. Damit senden Olaf Scholz und Nancy Faeser genau das Signal erneut, das schon 2015 verheerend war: Man muss nur irgendwie nach Deutschland gelangen, dann darf man bleiben. Und jetzt sogar schnell eingebürgert werden.

Gleichzeitig ist völlig unklar, ob die Einbürgerung wie geplant nach fünf statt bisher acht Jahren einen Effekt auf Spitzenkräfte hat, die wir eigentlich anwerben wollen. Fragen der Steuerbelastung von Spitzenkräften, nach Wohnraum in Großstädten und guten Bildungseinrichtungen sind da entscheidender. Und vor allem spart der Kanzler ein Thema aus: Abschiebungen. Im Koalitionsvertrag war noch von einer „Rückführungsoffensive“ die Rede. Zu sehen ist davon bisher nichts.

Am Freitagnachmittag einigte sich in Berlin Rot-Grün-Rot darauf, nun doch keine Moldauer ohne Chance auf Asyl abzuschieben. Eigentlich sollte mit dieser Maßnahme in überfüllten Unterkünften Platz für Ukrainer geschaffen werden. Begründet wurde die Kehrtwende damit, dass in Moldau Winter herrsche. Es wird also noch dauern, bis auch der zweite große Fehler der Migrationspolitik von allen erkannt ist.

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