Mit einer Kampagne auf Sparflamme wollte Emmanuel Macron in seine Wiederwahl gehen. Das könnte sich nun rächen. Seine Rivalin Marine Le Pen ist so stark wie nie.
Die Anspannung war spürbar, als Emmanuel Macron am letzten Wochenende vor rund 30 000 Menschen in Paris seinen einzigen grossen Wahlkampfauftritt abhielt. Die bevorstehende Präsidentenwahl, rief Macron warnend in die Menge, sei ein Kampf zwischen Fortschritt und Abschottung, zwischen Patriotismus und Europa auf der einen Seite und den Nationalisten auf der anderen. «Helft uns, schliesst euch uns an», forderte der Präsident die Franzosen auf.
Macron hat Grund zur Nervosität. Zwar stehen seine Chancen auf eine zweite Amtszeit weiter gut. Doch sein bequemer Vorsprung auf die Rechtspopulistin Marine Le Pen ist in den Umfragen geschrumpft. Sollte es nach der ersten Wahlrunde am kommenden Sonntag zu einer Stichwahl zwischen Macron und Le Pen kommen, rechnen die Institute mit einem sehr knappen Ergebnis. Le Pens Sieg scheint nicht mehr ausgeschlossen.
Wie konnte das passieren? Noch vor wenigen Wochen war Macron der eindeutige Favorit gewesen. Das Rennen schien für den Amtsinhaber quasi gemacht. Nun aber scheint sich zu rächen, dass sich der Präsident seiner Sache offenbar zu sicher war – und seine Prioritäten zeitweise woanders legte.
Mehr Krisenmanager als Kandidat
Während seine Konkurrenten seit Monaten durch das Land reisen, einen Fernsehauftritt nach dem anderen abhalten, Märkte besuchen und Hände schütteln, hat Macron seinen Wahlkampf lange Zeit anderen überlassen. Zu Kampagnentreffen und Tür-zu-Tür-Aktionen schickte er Minister, Abgeordnete oder sonstige Anhänger. Er selbst widmete sich vor allem diplomatischen Vermittlungen rund um die Ukraine-Krise. Fernsehdebatten mit seinen Konkurrenten lehnte er ab. Seine Kandidatur erklärte er nicht etwa mit einer mitreissenden Rede, sondern mit einem Brief in der Regionalpresse.
Macron hat lange in der Rolle des Präsidenten verharrt, die des Kandidaten hat er vernachlässigt. Und selbst als er dann endlich Wahlkampf machte, fehlte es an der Dynamik und der Überzeugungskraft, die ihn vor fünf Jahren ausgezeichnet hatten. Bei der Vorstellung seines Wahlprogramms Mitte März wartete er nicht mit knackigen Vorschlägen auf. Die Präsentation glich vielmehr dem Referat eines Technokraten. Macron sprach über eine Stunde lang und verlor sich in technischen Details. Bei den Franzosen hängengeblieben sind vor allem die Rente mit 65 statt 62 Jahren und eine Weiterbildungspflicht für Sozialhilfeempfänger. Sinnvoll mögen diese Massnahmen durchaus sein, begeistern können sie die Wähler kaum.
Die Rolle des internationalen Krisenmanagers, in die Macron im Ukraine-Krieg geschlüpft ist, hat die Bevölkerung zunächst zu schätzen gewusst. Doch mittlerweile verfängt sie nicht mehr. Die anfängliche Erschütterung über den Krieg ist der Angst vor dessen Folgen gewichen. Sorgen über die Inflation und die schwindende Kaufkraft dominieren. Marine Le Pen bedient diese Themen seit Wochen gekonnt.
Le Pen inszeniert sich als Kaufkraft-Kandidatin
Die Rechtsnationalistin positioniert sich als Verfechterin der kleinen Leute, die den Franzosen «ihr Geld und ihr Land zurückgeben» will. Nach den beschlossenen Sanktionen gegen Russland warnte sie sofort vor deren Auswirkungen auf das Portemonnaie der Franzosen.
Zwar schlägt auch Macron einiges vor, um die Kaufkraft zu stärken, einen Tankrabatt hat seine Regierung bereits eingeführt. Doch gerade in einkommensschwächeren Schichten fühlen sich viele eher von der Populistin angesprochen. Denn den Ruf als «Präsident der Reichen» ist Macron nie ganz losgeworden. Zu schaffen macht ihm nun zudem ein kürzlich veröffentlichter Senatsbericht über lukrative Aufträge seiner Regierung an private Beraterfirmen. Eine davon, die amerikanische Firma McKinsey, hat demnach jahrelang keine Steuern gezahlt.
Le Pens Nähe zum Kreml und ihre jahrelange Bewunderung für Wladimir Putin haben ihr dagegen kaum geschadet. Auch wirkt sie heute um einiges gemässigter als im letzten Wahlkampf, obwohl sie am Kern ihres ultranationalistischen Programms nichts geändert hat. Ihr Konkurrent am rechten Rand, der Hetzer Éric Zemmour, hat wesentlich zu diesem Eindruck beigetragen.
Vor fünf Jahren war Macron aus der Stichwahl gegen die Rechtsnationalistin Le Pen als strahlender Sieger hervorgegangen. Seitdem positioniert er sich als ihr Gegenpol. Dahinter steckte das Kalkül, Le Pen in einem erneuten Duell wieder klar zu schlagen. Doch die Lage ist nicht mehr die gleiche wie 2017. Macrons Wette ist riskant.