Die Corona-Apps hätten aus einer Vision Wirklichkeit machen können: Digitale Behördengänge und moderne Verwaltung schienen auf den Weg gebracht. Insbesondere im Gesundheitswesen wäre das bitter nötig gewesen. Das Ausland lacht erneut über Deutschland.
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uca ist tot – es lebe Luca? Nicht wirklich. Die App versinkt in der Bedeutungslosigkeit, kaum ein Bundesland nutzt sie noch. Man kann den Entwicklern vieles vorwerfen: dass sie ihre Versprechen nicht gehalten haben, dass sie den tatsächlichen Nutzen des steuerfinanzierten Programms nie selbstkritisch offengelegt haben.
Und auch, dass es unanständig ist, der riesigen Nutzer-Basis plötzlich eine Art „Bezahl-Ausweis-Ticket-Speisekarten-App“ aufschwatzen zu wollen. Denn mal ehrlich – die meisten Nutzer haben Luca schlichtweg heruntergeladen, weil sie sonst nicht ins Restaurant gekommen wären.
Dabei zeigt der Luca-Absturz vor allem eines: Deutschland scheitert an seinen Digitalprojekten – immer noch und immer wieder. Die Idee hinter Luca war tatsächlich fortschrittlich. Statt tagelang auf Briefe vom Amt zu warten, sollten Behörden und Bürger direkt und digital miteinander kommunizieren können.
Auch 2022 bleibt das weitgehend nicht mehr als eine Vision. Die Zeichen stehen eher auf „Weiter so“. Denn so wenig beeindruckend die Bilanz von Dorothee Bär (CSU) als Ex-Staatsministerin für Digitales ausfällt – die Ampel schafft es bisher nicht einmal, einen Nachfolger zu stellen.
Zuständig dafür wäre Kanzler Olaf Scholz. Mehr Macht bekommt nun vor allem Neu-Digitalminister Volker Wissing von der angeblichen Modernisierungs-Partei FDP. Eine neue Abteilung für „Digital- und Datenpolitik“ und eine für „Digitale Konnektivität“ sowie zwei neue Staatssekretäre sollen das Thema im Verkehrsministerium nun „vorantreiben“, heißt es auf Nachfrage von WELT. Es gelte „Top-Priorität“.
Sicher, nach nur zwei Monaten im Amt ist ein pauschales Urteil vorschnell. Zumal die Ampel-Regierung viele verschleppte Großprojekte wie die Schulmodernisierung oder den Breitbandausbau geerbt hat. Doch auf den Aufbruch, den insbesondere das FDP-Duo Christian Lindner und Volker Wissing versprach, wartet das Land bisher vergeblich.
Grüne und SPD sind aber genauso in der Bringschuld. Gerade im Gesundheitswesen folgt auf einen Flop der nächste. Still und leise wurde jetzt das einstige Pilotprojekt E-Rezept auf Eis gelegt – oder wie es bei der Bundesregierung heißt, „auf unbestimmte Zeit verschoben.“
Auch die elektronische Patientenakte steckt fest. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scheint mit anderen Dingen beschäftigt zu sein – kein Wunder, richtet er sich doch schon für die nächsten „zehn Jahre“ im Corona-Tunnel-Modus ein.
Dabei versprach gerade die Pandemie endlich Fortschritt. QR-Codes zu scannen, statt Zettel auszufüllen, ist für viele zum Alltag geworden. Gut so! Die Corona-Warn-App, die fast jeder zweite Bürger nutzt, per Open Source funktioniert und robusten Datenschutz aufweist, könnte der Grundstein für digitale Behördengänge und eine moderne Verwaltung sein. Doch anstatt sie ernsthaft weiterzuentwickeln, dient sie lediglich dem Vorzeigen des Impfstatus. Die roten Warnungen nimmt kaum noch jemand ernst. Und Check-ins werden wohl bald obsolet.Anzeige
Doch selbst bei dieser Basis-Funktion bekommen die Entwickler der Vorzeigeunternehmen SAP und Telekom scheinbar nicht einmal das hin, was Informatik-Studenten im zweiten Semester schaffen würden: Um zu beweisen, dass der vorgezeigte QR-Code wirklich zur dritten Impfung gehört, müssen User jedes Mal nach unten scrollen. Eigentlich eine Kleinigkeit. Aber sie zeigt, dass wir schon an grundlegenden Dingen scheitern.
Wohlgemerkt: Die App hat bislang 130 Millionen Euro gekostet. Nun stellt sich heraus, dass sie bis Ende des Jahres weitere 50 Millionen Euro kosten soll, um „zusätzliche Funktionalitäten“ anzubieten. Welche das sein sollen, verschweigen die Entwickler. Da wird nicht nur der Bundesrechnungshof skeptisch. Von Modernisierungs-Pionieren wie etwa im Baltikum oder Skandinavien wird Deutschland ausgelacht – während die Digital-Misere unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter nach unten drückt.
Was zu tun wäre, ist eigentlich klar. Der Normenkontrollrat diktiert es seit Jahren: Behördliche Prozesse bündeln und vereinheitlichen, auf sichere Open Source-Alternativen umstellen, lähmende Vorschriften schmälern oder abschaffen.
Besser ginge das auf Bundesebene wohl mit einem Digitalministerium – welches die FDP noch im Wahlkampf gefordert hatte. „Die Digitalpolitik ist unkoordiniert, ziellos und chaotisch. Das kann sich unser Land nicht mehr leisten“, hieß es damals. Dass nun neue Abteilungen und Stellen geschaffen werden, ist begrüßenswert. Aber dass die neue Regierung nicht so weitermacht, wie die alte aufgehört hat, muss sie erst noch beweisen.