Susanne Gaschke

Karl Lauterbach darf man gar nichts verzeihen

03.11.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Corona-Kita-Studie hielt Gesundheitsminister Lauterbach fest: «Kitas waren keine Infektionsherde.» Bildquelle: Emmanuele Contini / Imago

Schwerer Fehler der deutschen Corona-Politik: Für die monatelange Schliessung von Kindergärten gab es keine wissenschaftliche Rechtfertigung. Doch der deutsche Gesundheitsminister findet kein Wort des Bedauerns.

Man kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass der SPD-Politiker Karl Lauterbach ohne Corona nicht Mitglied der deutschen Bundesregierung geworden wäre. Er hatte sich als Dauer-Mahner und -Warner in den Talkshows des Landes festgesetzt und auf diese Weise ab 2020 eine Popularität erlangt, die es ihm ermöglichte, sich als Gesundheitsminister in das Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz, ebenfalls SPD, hineinzutrotzen. Scholz hatte ihn dort nicht dringend haben wollen, und auch in der SPD-Bundestagsfraktion hielt ihn kaum jemand für ministrabel.

Lauterbach hätte nun mit seiner Amtsführung alle Kritiker überraschen können. Er hätte sich sofort und energisch einer Ertüchtigung der deutschen Intensivstationen und Notlazarette widmen können, damit die «Überlastung des Gesundheitswesens» nie wieder als Argument für weitreichende Grundrechtseinschränkungen, für Ausgangssperren und Lockdowns herangezogen werden könnte.

Und er hätte eine unaufgeregte, aber schonungslose Aufarbeitung der deutschen Corona-Politik anstossen können – was allerdings bedeutet hätte, Fehler und Übertreibungen klar zu benennen. Auch die eigenen. Lauterbachs Vorgänger von der CDU, der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn, hatte es zu Beginn der Pandemie weise formuliert: «Wir werden einander viel zu verzeihen haben.» Dafür müsste man aber irgendwann bilanzieren, was zu verzeihen ist.

Kitas waren niemals «Treiber der Pandemie»

Lauterbach überrascht niemanden, er bleibt sich treu: als düsteres Orakel und als jemand, der immer recht hat(te). Am vergangenen Mittwoch wurde in Berlin eine Studie des Deutschen Jugendinstituts und des Robert-Koch-Instituts vorgestellt, die Sprengstoff enthielt: Danach waren die monatelangen Schliessungen von Krippen und Kindergärten vollkommen überflüssig. Die Übertragungsrate in diesen Einrichtungen lag dramatisch unter der Ansteckungsgefahr in Familien.

Kitas waren, wie es in dem eigenartigen Fachjargon heisst, der sich in der Corona-Zeit entwickelte, «keine Treiber der Pandemie». Das bedeutet: All die Schäden, all die Traumata, die bei kleinen Kindern entstanden sind, weil die vielzitierte «Vorsicht» in den vergangenen drei Jahren immer nur dem Virus galt und allen anderen Gefahren des Lebens nicht – sie waren umsonst.

Kindergärtnerinnen berichten von verzögerter Sprachentwicklung. Von Kindern, die nach Monaten zu Hause das Laufen wieder verlernt hatten. Von Kindern mit diffusen Ängsten, von total überlasteten Eltern. All das war ein – wie wir jetzt wissen (aber auch damals durchaus schon ahnen konnten) – überflüssiger Preis für eine dogmatische Politik.

Verpasste Chance

Eine Politik, die Karl Lauterbach 2020 nur als Parlamentarier mitverantwortete, aber doch mit seinen öffentlichen, durch einen Professorentitel geadelten Äusserungen vorantrieb. Dass Kinder grosse «Virenschleudern» seien, sagte er mehrfach. Wie viele seiner anderen Behauptungen – über das Alter der Intensivpatienten, über die «indische Mutante» – stimmte das nicht.

Als eine Journalistin der Zeitung «Welt» ihn bei der Pressekonferenz zur Kita-Studie fragte, ob er denn seinen Irrtum in dieser Angelegenheit bedauere, antwortete er kühl: «Ich halte nichts von Schuldzuweisungen. Man muss immer den guten Künsten und der Wissenschaft folgen und das, was neu ist, nutzen, um nach vorn zu gehen.»

Kein Wort des Bedauerns. Kein Wort des Mitgefühls. Kein Versprechen, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein, wenn man «den guten Künsten und der Wissenschaft» folgt, die man gerade für richtig hält. Karl Lauterbach hätte die Chance gehabt, eine vernünftige Diskussion darüber zu beginnen, wie tiefgreifend die Corona-Politik die deutsche Gesellschaft verändert hat.

Welche Irrtümer es gab, welche Fehler gemacht wurden, wo man sich verrannt hatte. Er hat diese Chance nicht ergriffen. Es ging ihm, auch angesichts eines haarsträubenden Befundes, nur um sich selbst: nichts zu korrigieren. Diesem Minister darf man gar nichts verzeihen.

Das könnte Sie auch interessieren

Wegen westlicher Raketen
21.11.2024
Deindustrialisierung
21.11.2024
805 Strafanträge seit Amtsantritt
21.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

9 + zwanzig =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Gunnar Schupelius – Mein Ärger
17.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien