Hendrik Wieduwilt

Kann man mit „Bluesky“ Elon Musk fertig machen?

06.10.2023
Lesedauer: 6 Minuten
X, das frühere Twitter, droht zum Stammtisch für Rechtsradikale und Webcam-Girls zu verkommen - auch ein Verdienst von Elon Musk. (Foto: dpa)

Elon Musk machte aus Twitter den Nazi-Stammtisch X, also habe ich „Bluesky“ probiert. Noch ist es ein Safespace für Linksradikale – und so gut wie das frühere Original wird es wohl nie.

Opfer haben es nicht leicht, in PR-Fragen allerdings sind sie unschlagbar: Die Öffentlichkeit liebt Opfer und sie glaubt ihnen erst einmal alles. Deshalb geben sich AfDler wie Tino Chrupalla und Alice Weidel redlich Mühe, was auch immer ihnen widerfahren ist (man weiß da nicht viel, wie praktisch), soweit wie möglich zu dramatisieren. Die AfD ist der Neymar der politischen Arena: Meist weinend am Boden – aber mit dem Klappmesser in der Tasche.

Bei mir hat das Geopfere allerdings auch ganz gut funktioniert. Ich habe nämlich „Bluesky“ ausprobiert, die neue Alternative zu Twitter, das noch immer drauf besteht, „X“ genannt zu werden und dessen Marketing inzwischen eher an ein Duschgel für männliche Teenager erinnert als an ein Soziales Netzwerk. Und da wurde ich zum Opfer. Tränenemoji! Doch dazu gleich mehr.

X ist leider nicht mehr Twitter, deshalb wollte ich weg. Elon Musk wirbt für die AfD, hält Medien seine Hoden ins Gesicht und macht keinen Hehl aus seiner knallrechten Agenda. Das ist nicht gut für den Chef eines globalen digitalen Diskursraums. Es ist in etwa so, als würde der Schiedsrichter im Mannschaftstrikot aufs Feld laufen, Vuvuzela in der einen Hand und einen Bengalo in der anderen.

Auf Bluesky ist auch nicht alles gut.

Posten für Rechtsradikale und Webcam-Girls

Das macht etwas mit einer Plattform: Es zieht nämlich Rechtsextreme an und, da immer mehr seriöse Marken als Werbekunden abspringen, reichlich Spam. Wer auf X etwas postet, macht das für Rechtsradikale und Webcam-Girls. „Wie lange noch?“, fragen sich viele, auch ich, und wir suchen Alternativen. Niemand weiß, wie sehr Musk die Meinung auf der eigenen Plattform lenkt – seine eigene Sichtbarkeit hat er jedenfalls nachweislich aufpoliert.

Das Rettungsboot Bluesky verspricht viel: Es sieht nahezu genau so aus wie Twitter, was auch daran liegt, dass Twitter-Gründer Jack Dorsey hinter der Idee steht. Es hat alles, was früheren Alternativen fehle: Es funktioniert reibungslos, anders als „post.news“, es ist verfügbar, anders als Facebooks „Threads“, und es ist kein puzzeliger Bastelladen wie der anonyme Treff der veganen Liegeradfahrer, „Mastodon“.

Und, wie ist es dort so? Viele betreten Bluesky so, als besuchten sie zum ersten Mal die Schwiegereltern: Sie lächeln, loben und versuchen alles, um nur nicht anzuecken. Es war ja alles so stressig, Twitter, der Job, das Leben! Hier, im Himmel, suchen viele die Erlösung.

Rehkitze, Du Pissflitsche!

So postet man erzharmlose Dinge, etwa den eigenen Kaffee („lecker!“), lobt das Interieur („so schön hier, viel besser als X!“) und lächelt, lächelt, lächelt. Der neueste Trend heißt: „Meine Bluesky Freunde und ich“. Das geht so: Man postet diesen Spruch und dazu ein Foto mit niedlichen Tieren. Zum Beispiel Rehkitze oder süße Vögel. Ich denke mir das nicht aus!

Als manche Nutzer und auch ich anmerkten, man müsse womöglich auch Stimmen zulassen, die sich rechts der eigenen Meinung positionieren, CDU-Chef Friedrich Merz etwa oder – Gott steh uns bei! – Journalisten der „Welt“, flogen den linksradikalen Happyfaces kollektiv die Sicherungen aus der Platine: „halt dein dummes maul du witzfigur“, schrieb einer, „yalla gegen jeden Schreibtischjokel“ oder eben: „Pissflitschen“. Konsens schien: Wir bleiben unter uns, „das ist jetzt unsere Plattform“. Linksextreme Accounts kopieren also Elon Musks Idee einer kuratierten Saalschlacht – dem Zeitgeist geht die Ironie nicht aus.

So viel Gegenwind war für mich PR-technisch allerdings ganz angenehm, ich fühlte mich Alice Weidel in einer mallorquinischen Safe-Finca: Der WDR befragte mich für die Abendnachrichten im Interview, wie das denn so sei, auf diesem „Bluesky“ und interessierte sich besonders für das ja auch wirklich wundervolle Wort „Pissflitschen“. Die „Welt“, immerhin auch Konkurrent von ntv, zitierte am Freitag den ntv-Kolumnisten. Toll! Ich liebe Aufmerksamkeit!

„Hater hier stehen Jenen drüben in Nichts nach“

Noch lieber wäre mir allerdings eine gute Twitter-Alternative. Wird Bluesky je erwachsen? Inzwischen haben sogar Grüne und Sozialdemokraten das radikale Klima dort beklagt. „Uff, hartes Erwachen nach dem himmlischen Brückentag“, schreibt etwa der Vorsitzende der grünennahen Böll-Stiftung, Jan Philipp Albrecht, die „Hater hier stehen Jenen drüben in Nichts nach“.

Immerhin: Inzwischen stellen sich auch Springerjournalisten dort in den Sturm, etwa Paul Ronzheimer von der „Bild“. Allerdings ist Paul Ronzheimer als Kriegsreporter an Kalaschnikows gewöhnt, bei „Pissflitschen“ schlägt der nicht einmal die Augen auf. Und überhaupt: Ein Twitter wird Bluesky auch dann nicht, wenn der Linksdrall allmählich abnimmt. Und das liegt an der Architektur.

Bluesky ist nämlich anders gebaut als X. Das frühere Twitter ist zentral verwaltet, es richtete sich an alle, es schuf einen globalen digitalen Denkraum – plus Albereien. Man konnte zwar einzelne Personen blocken oder auch eine Reihe am Stück, aber es galt: Man ist drinnen oder draußen. Bluesky bietet Insellösungen: Es ist wie Mastodon dezentral verwaltet, durch Server, die jeweils die Meinungspolitik aufsetzen.

Mitteextremisten: „Habt ihr einen Knall?“

Wie absurd so etwas sein kann, zeigt die Liste, mit der viele Nutzer als „Mitteextremisten“ betitelt werden. Wer drauf ist, ich etwa oder die SPD-Politikerin Sawsan Chebli („Habt ihr einen Knall?“), wird für andere versteckt.

Dort führt er dann hin, der Traum des widerspruchsfreien Gesprächs: In den linksradikalen Autoritarismus. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Wenn X untergeht, ist der digitale Denkraum zerbrochen. Was bleibt, das hat das Magazin „Wired“ schon vor Monaten ausführlich analysiert, sind separate Privat-Höllen, ob auf Bluesky-Servern oder Mastodon – beides ist dann für den Diskurs schlimmer als Twitter.

X-Twitters Untergang ist mehr als eine theoretische Möglichkeit: Twitters Wert ist von 44 Milliarden Dollar auf 8 Milliarden Dollar abgestürzt, berichtet Reuters gerade. In Amerika droht eine enorme Zuspitzung des digitalen Streits durch die US-Wahlen. Wenn Musk dabei versagt, dort Desinformation zu bremsen, könnten Apple und Google X-Twitter schlicht aus ihren App-Stores werfen. Die EU-Kommission hat zudem wiederholt gedroht, den Zugang zur Plattform zu sperren – und sie könnte das Unternehmen nach wie vor mit Geldbußen in die Insolvenz treiben.

Also: Schnallt Euch bitte an, liebe Linksradikale auf Bluesky: Auch wir Pissflitschen und Mitteextremisten kommen in den Himmel! Mein Tipp für die ersten Tage: Lächeln, lächeln, lächeln – und auch einmal das Interieur loben.

Quelle: ntv.de

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