Georg Altrogge

In der Aufarbeitung ihrer größten Krise scheitert die ARD an sich selbst

16.09.2022
Lesedauer: 6 Minuten
Tom Buhrow, aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant Quelle: pa/dpa/Henning Kaiser

Die Unzufriedenheit wächst, Rufe nach Reformen werden lauter. Die Intendanten des gebührenfinanzierten Senderverbunds zeigen sich betroffen, sind aber zu grundlegenden Änderungen nicht bereit. Die eigene Rolle reden sie klein – allen voran ihr Chef.

Nach einer Serie von Skandalen müht sich der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow, ein Zeichen des Aufbruchs zu setzen. Doch sein Versuch, mit einem medienwirksamen Auftritt vom Krisenmodus in den Vorwärtsgang zu schalten, schlug fehl. Stattdessen verteidigte er die Entsendung von nahezu zwei Hundertschaften öffentlich-rechtlicher Mitarbeiter zum CDU-Parteitag und tat, als sei die RBB-Affäre im Kern Folge des Versagens Einzelner. In der Aufarbeitung ihrer größten Krise scheitert die ARD an sich selbst.

Die Gelegenheit war günstig, die Bühne da. Nach zwei Tagen Klausur mit den Kollegen der neun Anstalten des Senderverbunds in Bremen hatte WDR-Intendant Buhrow zur Pressekonferenz an seinem Dienstsitz in Köln geladen. Vielleicht war es ein Zeichen, dass die eigentlich angekündigte Interims-Managerin des RBB der Veranstaltung fernblieb. Katrin Vernau, langjährige Vertraute Buhrows, hatte gerade Wichtigeres zu tun: Aufräumarbeiten.

RBB-Desaster als Ereignis aus einer anderen Welt

Als Nachfolgerin einer Ex-Senderchefin und Ex-ARD-Vorsitzenden, der Vetternwirtschaft, Selbstbereicherung und ein „Klima der Angst“ im Unternehmen nachgesagt werden, soll die bisherige WDR-Verwaltungsdirektorin den angeschlagenen Regionalsender wieder auf Kurs bringen. Den etwaigen Verdacht, dass die Vorgänge dort irgendwas mit der ARD zu tun haben könnten, erstickt Buhrow im Keim. Er spricht vom RBB-Desaster wie über ein Naturereignis fernab seiner Welt, einem Beben, dessen „Epizentrum in Berlin liegt“.

Gut fünf Minuten dauert seine Eingangsrede, mit der er seine große Chance vergibt: die Chance, sich als Vorsitzender für Versäumnisse bei der Kontrolle in den Anstalten zu entschuldigen, Ursachen zu benennen, massive Reformen anzukündigen. Stattdessen ist es eine Ansprache, in der es von Fleißkärtchen wimmelt, die in ARD-Kreisen verteilt worden seien, wie Arbeitskreise für Digitalisierung und „Umschichtung“ (womit Spareffekte gemeint sind). Außerdem soll es gemeinsame Standards geben und mehr Eigenständigkeit bei den Geschäftsstellen der Aufsichtsgremien, die bisher oft von Sendern mitbetrieben wurden. Über die meisten Projekte reden sie schon lange in ARD, das Veränderungstempo erscheint Außenstehenden zäh.

Buhrow benutzt Begriffe aus dem Wirtschafts-Neudeutsch, spricht von „Governance“, „Compliance“, kündigt „Modernisierung“ an und moniert „endliche Budgets“. Doch was sich ändern soll, bleibt schwammig. Der alte und nun erneut amtierende Vorsitzende ist ein Meister im Relativieren und in der Selbstverzwergung beim Problemlösen. Die Sender hätten ja „weitestgehend gute“ Kontrollmechanismen. Über die entscheide aufgrund der föderalen Struktur ohnehin nicht er: „Die ARD scheint manchmal wie ein Konzern, sie ist aber keiner.“ Oder: „Die besten Regeln nutzen nichts, wenn es nicht in der Kultur drin ist.“ Schließlich gehe es nur „zum Teil um Systemversagen“, zum „überwiegenden Teil um persönliches Versagen“.

ARD-Chef offenbart Wissenslücken

„Auch als ARD-Vorsitzender gucken Sie nicht in die einzelnen Sender hinein“, sagt Buhrow mit Blick auf das Malheur bei RBB und NDR, wo es Rücktritte hagelte und die Aufklärer derzeit Sonderschichten schieben. Dass sich seine Vorgängerin Patricia Schlesinger heimlich erhebliche Gehaltszuschläge für den ARD-Vorsitz einstrich, sei ihm nicht bekannt gewesen, eröffnet er den Journalisten: „Ich habe das genauso fassungslos gelesen wie Sie.“ Überhaupt wirkt der Ober-Intendant beim Pressetermin erstaunlich schlecht informiert.

So kündigt er einen Zwischenbericht der Compliance-Anwälte im RBB-Rundfunkrat für denselben Tag an, wie er „in der Zeitung gelesen habe“. Dass der Bericht vom Vortag eine Falschmeldung war, erfährt er erst während der Pressekonferenz durch eine WhatsApp-Nachricht des RBB. Auch die nicht ganz unmaßgebliche Frage, ob die ARD bei der Überarbeitung der Compliance-Regeln externe Hilfe zu Rate ziehe, erwischt den Chef auf dem falschen Fuß. Das wisse er nicht, sagt Buhrow, „da sind unsere Justitiare dran“.

Der ARD-Chef beteuert indes, dass sein Senderverbund sich der Situation stelle, „dass es Fragen gibt, auch grundsätzliche“. Aber was er sagt, und wie er es sagt, signalisiert, dass er und die Verantwortlichen jetzt bitte zur Tagesordnung übergehen wollen, raus aus dem „Scheinwerferkegel, der auf jede Kleinigkeit gerichtet ist“. In seiner Logik scheint Vertrauen besser als Kontrolle: „Wir haben ein gutes Gefühl, was die Aufklärung in den Sendern angeht.“ In „der Sache befasst“ habe man sich beim Intendantentreffen damit nicht.

191 Akkreditierungen beim CDU-Parteitag

Wie wenig bahnbrechende Veränderungen im überteuerten System erwünscht sind, das die Beitragszahler jährlich mit mehr als sechs Milliarden Euro finanzieren, hatte schon SWR-Intendant Kai Gniffke erfahren müssen, als er in diesen Tagen ein gemeinsames „Mantel-Programm“ für alle dritten Programme vorschlug und für sein Vorpreschen intern herbe Kritik einstecken musste. Eine so gravierende Forderung, scheint es, will man in der ARD doch lieber in Ruhe in den Gremien diskutieren, bevor man sie verwirft.

So wunderte es nicht, dass Buhrow die massenhafte Akkreditierung von Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen beim CDU-Parteitag vergangene Woche in Hannover gegen kritische Fragen verteidigte. Dort waren allein 86 Berichterstatter vor Ort, nach WELT-Informationen inklusive Technik und Kamerateams sogar 191 Personen. Es sei schon richtig, dass „einem die Zahl an sich groß vorkommt“, so Buhrow, es sei aber auch „sehr viel berichtet worden“, allein bei Phoenix (34 Akkreditierungen) pro Tag elf Stunden lang live.

Auf Anfrage dieser Zeitung hatte die ARD den Verzicht auf bei privaten Medienhäusern übliche weitreichende Synergie ähnlich gerechtfertigt. Ein Sprecher nannte den Parteitag ein auch für die „regionale politische Berichterstattung äußerst wichtiges Ereignis“, bei dem es für die Vertreter der vielen Einzelsender auch ums Netzwerken für die „Expertise“ der Korrespondenten gehe. Buhrow und der ebenfalls anwesende SWR-Intendant Kai Gniffke, ab Januar 2023 ARD-Chef, nehmen den Ball indirekt auf, indem sie künftigen Beitragserhöhungen keine Absage erteilen.

Rundfunkreform? „Das ist nicht Sache der ARD“

So ging es bei der ersten ARD-Pressekonferenz nach den Skandalen bei RBB und NDR weniger um Grundsätzliches wie kostenfressende Mehrfachstrukturen oder ehrgeizige Umbauarbeiten im Senderverbund, sondern um Projektarbeit wie die Digitalisierung oder die Entwicklung der Mediathek, die Programmchefin Christine Strobl raumgreifend vorstellte. Erfolgsmeldungen wie der Fakt, dass die Folgen der ersten Staffel des Radfahrer-Epos „Being Jan Ullrich“ in der Mediathek drei Millionen Mal gestreamt wurden, erscheint im Hinblick auf die aktuelle Krise der ARD merkwürdig deplatziert – so als würde in der PK zu einem bundesweiten Börsencrash über ein lokales Startup-Projekt berichtet.

Seinen größten Trumpf hat Buhrow bis dahin noch nicht mal ausgespielt, den hebt er sich für den Schluss auf. Es gebe hinsichtlich Veränderungen berechtigte Anliegen, so der Vorsitzende: „Die demokratische Gesellschaft darf sagen, was sie will, und Fragen stellen.“ Aber: „Da müssen wir uns ehrlich machen. Das haben nicht wir zu entscheiden, das ist nicht Sache der ARD. Die Politik ist der Besteller.“ Die Öffentlich-Rechtlichen würden sich einer Debatte über einen neuen „Generationenvertrag“ zu ihrer Rolle nicht entziehen. Doch von ganz oben gibt es auch nach der jüngsten Skandalserie dazu kein Signal. Bisher, sagt Buhrow, „hat sich keiner von der Politik bei uns gemeldet“.

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