Von Peter Unfried

Hilft Hass gegen die AfD?

27.01.2024
Lesedauer: 3 Minuten
Protest in Darmstadt gegen Rechtsextremismus am 23.01.2024; Foto: Boris Roessler/dpa

Die großen Kundgebungen der letzten Tage sollten keine Proteste gegen, sondern Bekenntnisse für etwas sein. Die pluralistische Demokratie nämlich.

Am vergangenen Sonntag wurde ich am Berliner Reichstag zum Hass aufgefordert. Ich sollte doch tatsächlich im Rahmen einer großen Kundgebung für die liberale Demokratie in den Choral einstimmen: „Ganz Berlin hasst die AfD.“ Tat ich selbstverständlich nicht. Ich lehne Hass ab. Als „Haltung“ ist das indiskutabel und als Strategie fatal.

Selbst wenn einige Teile dieser Gesellschaft unsere Art zu leben hassen sollten: Auf Hass mit Hass zu reagieren, potenziert Hass. Genauso wenig wird die Gleichsetzung AfD-Wähler = Nazi etwas Gutes bringen, außer dem, der das propagiert, ein geiles Gefühl moralischer Überlegenheit.

Was „bringen“ denn nun die Massenkundgebungen der jüngsten Tage? Auf jeden Fall eine Menge Pep-Talk von Politik und Medien. Die demokratische Mehrheitsgesellschaft habe ihre „Hilflosigkeit überwunden“, sie repolitisiere sich endlich, wende sich „schaudernd“ von der radikalen Rechten ab und so weiter.

Die gutmeinenden Leitartikel-Pastoren sind unterwegs, die „Bringt alles nichts“-Checker und auch die Ideologen, die die Kundgebungen in ihrem – linken – Sinne einsammeln wollen. Ganz abstrus und kontrafaktisch wird es, wenn gar von einem „Aufstand“ die Rede ist, als seien wir Demonstrierende im Widerstand gegen eine bereits herrschende Macht.

Zunächst einmal teile ich die Unterstellung nicht, dass unsere demokratische Mehrheitsgesellschaft (die anderen, nicht wir!) eine lasche Pipifax-Truppe sei, die sofort ins Illiberal-Autoritäre lemmingt, wenn das Hardcore-Nazis so passen würde. Das ist für den Westen angesichts der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik eine Unverschämtheit und für den Osten zu negativ gedacht.

Richtig ist aber, dass viele Leute – ich gehöre dazu – verstehen oder spüren, dass die Erfolgsgeschichte nicht mehr so weitergeht, und das macht Leute kirre. Die Frage ist ungeklärt, ob und wie irgendeine Bundesregierung Politik machen kann, die die großen Fragen nicht mehr aufschiebt und eine starke postfossile Wirtschaft sozialverträglich priorisiert. Genauso unklar ist, ob und wie eine (Medien-)Gesellschaft diese Fragen besprechen kann. Nach meiner Einschätzung reden und denken wir in einer Welt, die es so nicht gibt, mit überkommenen Begrifflichkeiten (etwa „links“ und „rechts“) und in die falsche Richtung, nämlich rückwärts.

Jetzt aber selbst pastoral: Die großen Kundgebungen der letzten Tage sind keine Proteste gegen, sondern Bekenntnisse für etwas – für unsere Art zu leben und leben zu lassen, für eine pluralistische Gesellschaft, die sich auf der Basis des Grundgesetzes über demokratische Kompromisse verständigt.

Es ist fundamental, dass dies keine linken oder grünen Kundgebungen sind und schon gar keine „gegen rechts“, sondern Demokratiefeiern, zu denen selbstverständlich auch Konservative und CDU/CSU gehören. Gehören müssen, sonst hätten wir ja keine Mehrheit.

Der Denkwechsel angesichts von AfD und radikal veränderter Lage, und das meint explizit sich für „progressiv“ haltende Leute: Wir müssen verstehen, dass wir durch Verhärtung und Dagegensein nichts gewinnen können, sondern nur durch Allianzen. Dass wir ein kritischer, aber überzeugter Teil der Mehrheitsgesellschaft sein müssen.

Wir können nichts verteidigen und verbessern, wenn wir uns nicht eindeutig darauf verpflichten. In der Realität, mit all ihren moralisch und politisch schwierigen Umständen. Wir sind nicht mehr dagegen, wir sind dafür. Das ist unsere Bundesrepublik und unsere Europäische Union – und genauso die von konservativen Demokraten.

Wir brauchen keinen Hass, wir brauchen jetzt bundesrepublikanischen Patriotismus.

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