David Engels

Frankreich entscheidet

09.07.2023
Lesedauer: 5 Minuten
Zusammenstoß zwischen Polizei und Jugendlichen in Nanterre in Frankreich Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Christophe Ena

In Frankreich zeigt sich, was auch anderen Regionen Europas bevorsteht. Das Land befindet sich in einer tragischen Abwärtsspirale. Doch Frankreich zerfällt eben nicht in Franzosen und Migranten beziehungsweise Polizei und Kriminelle, wie oft behauptet wird, sondern in drei ganz unterschiedliche Fraktionen. Ein Kommentar von David Engels.

Wie so oft ist Frankreich das Menetekel dessen, was ganz Westeuropa in den nächsten Jahren erwartet. Konnte jemand ernstlich glauben, es sei möglich, jährlich Millionen von Armutsmigranten aus afrikanischen und nahöstlichen Staaten ungefiltert und ohne kulturelle Integrationsstrategie nach Europa zu holen, ohne schwerste Konflikte zu riskieren? Zumal es sobald nicht mehr möglich ist, die Neubürger mit Sozialleistungen und Billigjobs zufriedenzustellen, und sie zumindest in den Städten die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Beides ist in Frankreich mittlerweile eingetroffen. Die gewaltsamen Ausschreitungen, welche das Land immer häufiger erschüttern (mal mit, mal ohne „Anlaß“), sind wohl nur der Anfang. Freilich: Wie immer wird man noch einmal den inneren Frieden durch eine Steigerung der Sozialleistungen, verstärkte Quotenregelungen, Kampf gegen Rassismus und „tiefgreifende“ Reformen der Polizei erkaufen, von der man wie so oft sowohl mehr als auch weniger Durchgreifen fordern wird.

Aber wird der Friede diesmal halten? Welche Konsequenzen wird dies auf die Bedeutung Frankreichs als Wirtschafts- und Tourismusstandort haben? Wie wird sich die politische Landschaft verschieben? Eigentlich sind es alles rhetorische Fragen: Das Land befindet sich in einer tragischen Abwärtsspirale, von der selbstverständlich nur die Extreme profitieren werden – Extreme, denen keine echte Mitte gegenübersteht.

Alle Institutionen sind politisiert worden

Denn auch das ist eine wichtige Lektion aus den Unruhen: Selbst jene Institutionen wie Polizei und Armee, welche eigentlich unpolitisch für die gesamte „République“ stehen sollten, sind durch und durch politisiert worden. Sicher, in den Mannschaftsrängen mag der ehrliche Willen herrschen, endlich mit den immer weiter um sich greifenden No-go-Zones und der Clankriminalität aufzuräumen. Zumal eine große Frustration darüber besteht, daß Medien, Justiz und Politik systematisch auf der Seite der Kriminellen stehen, solange diese nur einen Migrationshintergrund und somit den Anspruch auf die Opferrolle haben, sei es aus Angst vor der Rassismuskeule, sei es aufgrund der prosaischen Tatsache, daß alle Gefängnisse brechend voll sind und jeder Neubürger auch ein linker Neuwähler ist.

Doch hat die seit langem systematisch durchgeführte Personal- und Karrierepolitik Emmanuel Macrons und François Hollandes auch ihre Spuren hinterlassen: Die Polizei ist mittlerweile nicht nur für Millionen von medial zu edlen Wilden verklärten, wenn auch sozial auf der Strecke gelassenen migrantischen Halbstarken ein rotes Tuch geworden, sondern auch für viele Normalbürger, die sich nur zu gut daran erinnern, wer sie bei den Gelbwesten-, Covid- und Rentenprotesten so enthusiastisch niedergeknüppelt hat. So erklärt sich auch die erstaunliche Zurückhaltung, mit der die Rechte auf die Unruhen von Nanterre reagiert.

Denn Frankreich zerfällt eben nicht in Franzosen und Migranten beziehungsweise Polizei und Kriminelle, wie oft behauptet wird, sondern in drei Parteien. Erstens die Migranten der „France des banlieues“, welche einen Teufelspakt mit den Linksradikalen geschlossen haben und in Jean-Luc Mélenchon ihren Exponenten finden, der ganz explizit Stimmung macht gegen die Kultur des alten weißen Mannes. Er zieht mit Argumenten wie „Die Polizei tötet“ die Vorstädte auf seine Seite.

Die Krise umfaßt nicht nur Frankreich

Zweitens die marginalisierten Bewohner der „France périphérique“, welche weitgehend in einer entvölkerten und infrastrukturell völlig abgehängten Provinz leben, in den Medien als rechte Hinterwäldler gelten und ihre Hoffnung auf Marine Le Pen und Eric Zemmour gesetzt haben, deren rhetorische Forderung nach „Rémigration“ angesichts der vielen Millionen Migranten, der unzähligen Mischehen und nicht zuletzt der extrem hohen Gewaltbereitschaft der Betroffenen sowie der ethnischen Durchmischung von Polizei und Armee brandgefährlich ist.

Und drittens die „Bobos“ der Großstädte mitsamt der Boomer-Generation der Atlantikküste, welche durch die an den Pariser Eliteschulen ausgebildete herrschende Polit- und Medienclique repräsentiert werden und in Macron sowie seinem Staatsapparat den einzigen Garanten gegen das Chaos sehen. Und das, obwohl sich sein Programm im wesentlichen auf ein beherztes „Weiter so“ reduziert, das dem Wohl der nächsten paar Jahre das Geschick der nächsten Generationen opfert. Es sind also nicht nur drei Parteien, sondern vielmehr drei Völker, die sich hier herausgebildet haben, und daher ist Macron zumindest in dem Punkt zuzustimmen, daß Frankreich sich am Rand eines echten Bürgerkriegs befindet.

Dabei umfaßt diese Krise mittlerweile nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa: Zum einen, weil sich andere Staaten – man denke an die Benelux-Länder, wo ebenfalls Unruhen ausgebrochen sind – in einer analogen Lage befinden, und es sich ohnehin weniger um eine innerfranzösische oder gar soziale Angelegenheit denn vielmehr einen echten Zivilisationskrieg handelt. Das beweist schon die Tatsache, daß eben nicht nur Banken, sondern auch Bibliotheken, Kirchen, Schulen und Rathäuser verwüstet wurden. Zum anderen, weil eine schwere Krise im hochverschuldeten Frankreich auch Deutschland und die gesamte EU in den Abgrund ziehen würde. Man bedenke etwa die Auswirkungen der Griechenlandkrise.

Freilich, von einer Einsicht sieht man wenig, auch nicht in Deutschland, fatalerweise dem wirtschaftlichen wie politischen Zentrum der EU. Zwei Beispiele: Just während in Frankreich noch die Schulen und die Häuser einfacher Menschen brannten, forderten die deutschen Wirtschaftsweisen eine Steigerung der jährlichen Einwanderung auf mindestens 1,5 Millionen Migranten und den Verzicht auf deutschsprachigen Schulunterricht, während pars pro toto die Chemnitzer Jugendsektion der „Linken“ allen Ernstes dazu aufrief, von Frankreich zu „lernen, wie man mit Reichen umgeht“. Es scheint Berlin nicht schnell genug zu gehen, auch Deutschland an den Abgrund zu manövrieren.

JF 28/23 

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