Das öffentlich-rechtliche Fernsehen diskutiert über Gründe und Folgen des Blutbads von Solingen. Ein Thema wird dabei nicht beim Namen genannt. Klartext spricht nur ein Polizist.
Der Islamische Staat (IS) war, das lässt sich bei aller Abscheu sagen, der Künstler des Terrors. Er hat archaische Szenen geschaffen, die tief in Urängste greifen. Nun ist er in der Banalität des Bösen angekommen.
Der Islamische Staat hat den Anschlag von Solingen für sich reklamiert. Der Wahrheitsgehalt ist noch unklar. Und doch offenbart sich, wie armselig dieser Terror ist: ein Irrer, ein Messer, dessen Klingenlänge bei Anschlägen auf den Hals nicht relevant ist, hoffentlich nicht noch mehr als die bekannten drei Toten. Und eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen lässt sich Deutschland von einem Messerdeppen treiben. Die Reflexe im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind bemerkenswert.
Es profitiert nur „die eine Partei“
Schalten wir in den ARD-„Presseclub“ vom Sonntag. Unter der Moderation von Jörg Schönenborn fällt auf, wie sehr die drei Buchstaben „A“ und „f“ und „D“ vermieden werden. Da erinnert „Zeit“-Journalist Christian Bangel daran, dass auch eine Woche vor den Europawahlen ein Islamist in Mannheim mit dem Messer gemordet hat. Und Bangel warnt: „Von einem Überbietungswettbewerb, wie man am härtesten mit Migranten umgeht, profitiert nur eine Partei.“ Er vermeidet es, den Namen zu nennen.
Deutlicher wird die freie Journalistin Sabine Rennefanz: „Wir haben es jetzt wieder mit einem Asylbewerber zu tun, der eigentlich nicht hätte hier sein sollen. Natürlich wird das jetzt die Debatte prägen. Die Debatte ist aufgeheizt. Die Leute haben Angst – das Gefühl kann man nicht wegreden. Ich möchte wissen, was wird getan, um die innere Sicherheit zu verbessern. Wenn die Parteien sich dem nicht stellen, dann profitiert nur die eine.“ Wieder also: die eine Partei. Nennen will man ihren Namen lieber nicht.
Täter aus Syrien, Opfer aus Syrien
Schalten wir in den ARD-„Brennpunkt“: Reporter befragen Augenzeugen des Anschlags von Solingen. Gleich zu Beginn zeigt das Erste ein Opfer. Es stammt aus Syrien. Der 33-Jährige lebt seit einem Jahr in Deutschland, war mit einem Freund bei der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen.
Im letzten Moment kann er sich vor dem Messerangriff wegducken, wird nicht am Hals getroffen, sondern an der Schulter. Die Wunde ist genäht – wenige Zentimeter haben ihn vom Tod getrennt. Dem Zuschauer zeigt dieser „Brennpunkt“: Aus Syrien kommen nicht nur Täter. Aus Syrien kommen auch Opfer.
Ist Deutschland unsicherer geworden?
Was der „Brennpunkt“ auch zeigt, ist die Hilflosigkeit. „Es kommt immer die Frage, kann man nichts dagegen tun“, sagt etwa Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Seine Antwort: „Die kann man leider nicht so schnell beantworten, die Sache ist ja sehr kompliziert.“ Der Zuschauer hört vom zuständigen Innenminister: „Kann man noch nicht abschließend beurteilen.“ Und: „Kann man noch nicht sagen.“
In einem allerdings ist sich Herbert Reul sicher: „Nein, die Sicherheitslage hat sich nicht verändert. Wir haben eine wachsende abstrakte Gefahr. Wie oft haben wir Anschläge verhindert, vier, fünf Mal. Das war schön, da freuen wir uns, dass nichts passiert ist. Jetzt ist mal was passiert.“
Beim ZDF-„Länderspiegel“ war Reul sehr viel deutlicher, als er noch vor Ort in Solingen vor die Kamera trat: „So etwas haut einen schon aus den Schuhen.“ Unterstützung für Reul gibt es vom ARD-Terrorismusexperten Michael Götschenberg. Der wird gefragt, ob die Bundesrepublik an diesem Wochenende unsicherer geworden sei. „Das Gefühl ist nachvollziehbar“, bestätigt der ARD-Experte. „Aber qualitativ gibt es keine Veränderung. Genau solche Anschläge gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Die Bedrohungslage hat sich qualitativ nicht verändert.“
Deutliche Kritik kommt von der Polizei
Zwei Sätze fallen in der Solingen-Berichterstattung auf. Einer kommt von Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Da läuft die Suche nach dem Täter noch, so widersprüchlich sind die Beschreibungen durch die Augenzeugen. Zu dem Zeitpunkt sagt Huth in die Kamera: „In London hätten wir längst Bilder von dem Täter, weil da überall Überwachungskameras hängen.“
Das zeigt, sehr vorsichtig formuliert, was der Polizei häufig fehlt: mehr Unterstützung für ihre Arbeit. Tatsächlich bleibt die Tätersuche erfolglos, bis der sich selbst einer Streife stellt. Der zweite Satz findet sich in den ZDF-Kindernachrichten „Logo!“. Da sagt eine Psychotherapeutin unseren Kindern: „Angst ist ein wichtiges Gefühl.“ Die Frage ist, wie immer, wie man damit umgeht.