Der Fall einer 16-Jährigen aus Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass der «Kampf gegen rechts» in Deutschland ausser Kontrolle geraten ist.
Deutschland führt einen Kampf «gegen rechts», und laut dem Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang soll dieser bereits «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» beginnen. Wer sich bisher fragte, was das wohl bedeuten könnte, weiss es nun: In dieser Woche wurde bekannt, dass eine 16-jährige Schülerin im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern kürzlich aus dem Unterricht geholt worden ist, damit die Polizei ihr in Gegenwart ihres Schulleiters eine «Gefährderansprache» halten konnte.
Was hatte das Mädchen getan? Eine terroristische Vereinigung gegründet? Einen Amoklauf angekündigt? Haldenwangs Vorgesetzte, die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser, veralbert? Nein. Die Schülerin hatte auf Tiktok ein Video gepostet. Keine Frage: Die chinesische Plattform ist kritikwürdig, und deutsche Schulen täten gut daran, im Unterricht über die Gründe aufzuklären. Aber das Filmchen, um das es geht, ist völlig harmlos.
Weder wird darin der Staat verunglimpft, noch wird die Demokratie verächtlich gemacht. Vielmehr handelt es sich um eine relativ kindliche Visualisierung eines relativ kindlichen Arguments: Schlümpfe – blaue, nach überwiegender Meinung der fachkundigen Comic-Community homosexuelle Mini-Zwerge – seien blau. Und auch Deutschland werde nun blau.
Komplett von der Meinungsfreiheit gedeckt
Blau, muss man wissen, sind nicht nur die Schlümpfe. Blau ist auch die Parteifarbe der AfD. Aber das sagt die 16-Jährige nicht einmal.
So oder so: Beide Aussagen des Mädchens sind faktisch richtig; die zweite ist durch Umfrageergebnisse praktisch aller Meinungsforschungsinstitute bestätigt. Beide Behauptungen – Schlümpfe blau, AfD politisch erfolgreich – sind zudem komplett von der Meinungsfreiheit gedeckt. Für einen Polizeieinsatz, selbst gegen Erwachsene, bieten sie nicht den geringsten Anlass.
Der sozialdemokratische Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, rechtfertigte gleichwohl das Vorgehen der Ordnungskräfte. Man fragt sich, was er wohl sagen würde, wenn seine eigenen Töchter aus dem Klassenzimmer abgeführt würden. Aber es geht hier gar nicht um subjektive Gefühle, sondern um einen Dammbruch: Dieser Fall führt vor Augen, wohin die Reise geht, wenn die deutsche Regierung aus SPD, Grünen und Freien Demokraten einen starken Staat demonstrieren will – und Beamte wie der Schulleiter aus Mecklenburg-Vorpommern den «Kampf gegen rechts» unterhalb der Strafbarkeitsgrenze wörtlich nehmen und in vorauseilendem Gehorsam aktiv werden.
Was hätte ein verantwortungsvoller Pädagoge getan? Erste Möglichkeit: gar nichts; die AfD ist keine verbotene Partei, und die Videos einer Schülerin sind erst einmal deren Privatsache. Alternativ hätte er mit der Schülerin sprechen können. Oder mit den Eltern. Oder dem Klassenlehrer – wenn das denn überhaupt nötig gewesen wäre. Er hätte eine Diskussion über Schlümpfe organisieren können. Oder über Demokratie.
Der Fall schlägt im Osten Deutschlands hohe Wellen. Das dürfte auch daran liegen, dass die Menschen dort sensibel reagieren, wenn ein westdeutscher Schulleiter derart überreagiert. Dessen Vorgehen gegen die 16-Jährige erinnert an einen Text des ausgebürgerten DDR-Dichters Reiner Kunze über eine Schülerin, die in der Pause eine Postkarte aus Tokio herumreicht: «Ihr Klassenlehrer erteilte ihr einen Verweis. Sie betreibe innerhalb des Schulgeländes Propaganda für das kapitalistische System.»
Ist es wirklich wieder so ähnlich?