Seit Monaten befinden sich die Grünen im Abwärtsstrudel. In Hessen kündigt ihnen die CDU nun auch noch die eigentlich gut funktionierende Koalition auf. Die Entscheidung ist von hoher Symbolkraft: Der über Jahre verfolgten Strategie, Partei der Mitte zu werden, droht ein Scheitern auf ganzer Linie.
Sie wollten die Landesregierung in Hessen anführen und jetzt dürfen sie nicht einmal mehr Juniorpartner sein. Die Grünen sind nach zehn Jahren schwarz-grüner Regierung raus, Ministerpräsident Boris Rhein nimmt Koalitionsverhandlungen mit der SPD auf. Rhein verweist auf „größere Schnittmengen“ mit den Sozialdemokraten. Der aus Frankfurt stammende Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour findet das „völlig unverständlich“.
Tatsächlich hat das Bündnis gut funktioniert, es hatte bis zum Wahltag akzeptable Zufriedenheitswerte. Doch darum geht es nicht. Die Union fährt – wie FDP und AfD – einen strikten Anti-Grünen-Kurs. SPD, Linke und die Wagenknecht-Bewegung halten ebenfalls Abstand. Die Grünen sind nach Jahrzehnten des Ankommens im Parteien-Establishment wieder die Schmuddelkinder, mit denen die Bürgerlichen nicht zusammen spielen wollen.
Nirgendwo tut das der Partei mehr weh als in Hessen, wo mit dem grünen Landesminister Joschka Fischer der Marsch durch die Institutionen einst so richtig Fahrt aufnahm. In dem in Teilen tiefschwarzen Bundesland emanzipierte sich die Partei damals von manch böswilliger Zuschreibung aus dem Unternehmerlager. Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir war lange Zeit beliebtester Landespolitiker, setzte im Streit um die Abholzung des Dannenröder Forsts konsequent die Regierungslinie gegen Waldbesetzer aus den grünen Vorfeldorganisationen durch. Seine einst guten Aussichten auf die Regierungsführung aber schrumpften seit Jahresanfang mit jeder weiteren Schlagzeile über Robert Habecks vermeintlichen „Heizungs-Hammer“ sowie über andere Konflikte in der Bundesregierung.
Mehr Mitte als Al-Wazir geht nicht
Die Grünen fielen in Hessen vom zweiten auf den vierten Platz der Parteien zurück und verlieren nun auch noch ihre Regierungsbeteiligung, weil die Union überzeugt ist, sich von den Grünen maximal distanzieren zu müssen, insbesondere beim Thema Migration. Für die Grünen ist das dramatisch, weil ihre Strategie der vergangenen Jahre vorerst gescheitert ist. Mit einer konsequenten Politik der Mitte werde es den Grünen gelingen, ihre Klimaziele mehrheitsfähig zu machen und umzusetzen, lautete das Credo der ehemaligen Parteivorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock. Mittiger als Al-Wazir geht es kaum. Aber gereicht hat das nicht, weil die Grünen im Bund nur Gegenwind produzierten.
Dabei hatte Habeck in Berlin im Großen versucht, was Al-Wazir im Kleinen schon gelungen war: Als Bundeswirtschaftsminister will er nicht nur den Umbau auf erneuerbare Energien vollziehen, sondern beweisen, dass die Grünen die bessere Wirtschaftspolitik für Deutschland machen. So wollten sie sich neue Wählerschichten erschließen, um eines Tages doch den Bundeskanzler stellen zu können. Und tatsächlich hat es ja eine Phase gegeben, in der auch langjährige Unionswähler insbesondere Habeck viel abgewinnen konnten. Fast zwei Jahre nach Amtsantritt ist von dieser anfänglichen Begeisterung aber wenig übrig. Deutschlands Wirtschaft schrumpft, die Inflation ist noch immer hoch und ein spürbarer Aufschwung nicht in Sicht.
Macht die Basis weiter mit?
Habecks Begründungen für die aktuelle Lage – Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, die unter Angela Merkel forcierte Gas-Abhängigkeit, verschlafene Infrastruktur-Reformen – beruhigen die Menschen nicht. Vielmehr verknüpfen viele Wählerinnen und Wähler die alarmierende Situation mit der sich verfestigenden Erzählung von den Grünen als Verbotspartei, als lebensferne Eliten-Partei, als abgehobene Migrationstreiber. Die politischen Wettbewerber, nicht zuletzt die CDU unter Friedrich Merz, bedienen dieses Image, weil sie merken: Gegen die Grünen lassen sich Wähler mobilisieren. So gesehen ist Boris Rheins Schwenk hin zur SPD nur konsequent.
Die Grünen-Führung steht vor den Scherben einer jahrelangen Aufbau-Arbeit. Für den Weg aus der Krise setzt sie vor allem auf das Prinzip Hoffnung – darauf, dass die Wählerinnen und Wähler bis 2025 doch noch ein Einsehen haben werden, dass die Grünen-Beteiligung an der Bundesregierung ihr Gutes hatte. Und sie wollen mehr denn je eine Partei der Mitte sein, während es in der Grünen-Basis ob der vielen Kompromisse bei den Themen Umwelt und Migration rumort. Ob die neuen „Schmuddelkinder“ unter dem Druck der Ausgrenzung zusammenrücken oder sich doch einmal Unzufriedenheit Bahn bricht, wird sich in zwei Wochen zeigen beim Bundesparteitag in Karlsruhe – im ersten Bundesland mit grünem Ministerpräsidenten, und auf lange Zeit dem Einzigen.
Quelle: ntv.de