Von Benedict Neff

Die deutsche Sehnsucht nach dem Islam

23.03.2024
Lesedauer: 7 Minuten
Ramadan-Beleuchtung in Köln, März 2024. Bildquelle: Ying Tang / NurPhoto / Getty

Deutsche Politiker rollen den Muslimen den Gebetsteppich aus. Dass dies mit Integration belohnt wird, dürfte ein frommer Wunsch sein. Über den neuen deutschen Ramadan-Kult.

Das deutsche Politik-Establishment ist im Ramadan-Fieber. Aussenministerin Annalena Baerbock wünschte in einer Videoansprache eine gesegnete Fastenzeit: «Ramadan mubarak!» Die Städte Frankfurt und Köln haben eine Fasten-Beleuchtung angemacht. Die Frankfurter Bürgermeisterin spricht von «Lichtern des Miteinanders», einem Zeichen «gegen antimuslimischen Rassismus und auch gegen Antisemitismus». Sogar der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff meldet sich aus der Versenkung und spricht von einem «ganz wichtigen Signal». Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» titelt «Happy Ramadan», und der WDR kommentiert: «Es ist Zeit für einen deutschen Ramadan».

Für einmal scheinen die Bedenken über kulturelle Aneignung keine Rolle zu spielen, Medien wie der WDR geben sogar Empfehlungen ab, wie man sich gegenüber muslimischen Freunden verhalten soll. Wichtig: Respekt zeigen und mit «Ramadan mubarak» begrüssen, wie es die Aussenministerin vorgemacht hat.

Die Verklärung des Fremden

Diese Phänomene wären kaum der Rede wert, würden sie nicht mit einer verschämten deutschen Kultur korrespondieren, die sich in ihrem Streben nach Inklusion allmählich verdünnisiert. Man erinnert sich etwa an eine deutsche Integrationsbeauftragte, die Weihnachtskarten versandte, auf denen das Wort «Weihnachten» nicht vorkam: «Egal woran Sie glauben . . . wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.» Oder an ihre Vorgängerin im Amt, die mit dem Satz berühmt wurde: «Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.»

Die neue deutsche Zelebrierung des Ramadans findet in einem Kontext der Selbstverleugnung statt. In einem Land, in dem Kreuze Anstoss erregen, in dem Kitas Schlagzeilen machen, weil sie – aus Rücksicht auf Muslime – kein Schweinefleisch mehr verwenden; und ein Martinsfest auch mal als «Sonne-Mond-und-Sterne-Fest» durchgeführt wird, um ja niemanden zu verletzen.

Während Politiker, Journalisten und Beamte oft einen verklemmten Bezug zur eigenen Kultur haben, neigen sie dazu, das Fremde zu verklären. In dieser Konstellation ist das Grundproblem der deutschen Integrationspolitik angelegt: Fremde Kulturen werden in ihrem Fremdsein gefördert. Und wenn sich Ausländer in eine deutsche Kultur eingewöhnen wollen, so bekommen sie von den Behörden zu hören, dass eine solche Kultur nicht existiere. Sprache, Literatur, Musik, Geschichte, Philosophie, Formen des Umgangs und der Geselligkeit, die jüdisch-christliche Prägung? Eine Leerstelle.

Der deutsche Selbstekel

Die deutschen Selbstzweifel sind alt, sie reichen viel weiter zurück als der Holocaust, der sie allerdings noch verstärkt hat. Thomas Mann hat über den «Selbstekel» der Deutschen geschrieben und über ein Land, das sich als «das Land des Hässlichen» fühle. Ein solch radikaler Selbsthass ist unter den Völkern ziemlich einzigartig. Friedrich Nietzsche hat ihn zum eigentlichen deutschen Wesenskern erklärt: «Gut deutsch sein heisst sich entdeutschen.»

Die Kehrseite dieser verdrucksten Existenz ist die pathologische Selbstüberhöhung, mit der die Deutschen auch ihre verheerenden Erfahrungen gesammelt haben. Die Nation schwankt zwischen den Polen hin und her, wobei derzeit die Selbstscham ausgeprägter ist. Dies auch im Sog einer westlichen Kultur, die generell mit ihrer Geschichte, insbesondere mit dem Kolonialismus, hadert.

Warum ist dies relevant? Weil in diesem Identitätsvakuum der Islam in Deutschland stattfindet. Die These liegt nahe, dass unter diesen Umständen der Islam nicht deutscher wird, sondern Deutschland islamischer. Nicht die wachsende Minderheit passt sich an – wie soll sie auch? Sie bekommt kein Angebot –, sondern die Mehrheitsgesellschaft. Dem Nichtdeutschseinwollen liegt der Wunsch zugrunde, etwas anderes zu sein, die Sehnsucht nach dem Fremden. Kannten die Deutschen nicht schon das Italien-Weh und die Griechenland-Sehnsucht? Vielleicht ist die Verneigung vor dem Islam der neuste Spleen, der west-östliche Divan des 21. Jahrhunderts, hinter dem sich eigentlich ein Heimweh verbirgt.

Verstobene Illusionen

Nur scheint sich die deutsche Elite schwärmerischen Illusionen hinzugeben. Man denke an den Bau der Megamoschee in Köln mit 55 Meter hohen Minaretten, die von den Behörden als Haus der interkulturellen Begegnung angedacht war und schliesslich als islamistisch-nationalistisches Zentrum im Geiste Erdogans eröffnet wurde. Anstatt wie abgemacht auf Deutsch, wird nun auf Türkisch gepredigt. In der Sozialarbeit spricht man von Integrationsvereinbarungen. Im Falle der Kölner Moschee kann man konstatieren: Der Klient hat die Vereinbarungen nicht eingehalten, trotzdem wurde er belohnt. Seit 2021 darf der Muezzin dreimal pro Woche zum Gebet rufen. 2024 kam die Ramadan-Beleuchtung.

Die Politiker wollen gutmeinend dem Islam Respekt entgegenbringen und scheinen dabei nicht zu merken, dass sie Verachtung provozieren und mit ihrem Nachgeben Parallelgesellschaften fördern. Ebenjener Christian Wulff, der sich über die Frankfurter Ramadan-Beleuchtung freut, sagte einmal, Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat, Islam und Pluralismus seien kein Widerspruch. Vielleicht nicht in einer idealen Welt, aber in einer realen Welt eben schon.

Bei allem Respekt für den Islam scheinen viele Politiker nicht zu verstehen, dass diese Religion auch ein politisches Vehikel ist. Dass die rund 900 von der Türkei kontrollierten Moscheen in Deutschland nicht Integration fördern, sondern Desintegration, dass sie Menschen zurück an ihre autoritäre Heimat binden. Necla Kelek hat Moscheen einmal als «Keimzellen einer Gegengesellschaft» bezeichnet. Der westliche Liberalismus interessiert Erdogan gerade so viel, als er eine ideale Plattform ist, um seinen Islamismus unter den deutschen Türken in aller Freiheit zu fördern.

Ramadan-Beleuchtung gegen Judenhass?

Die deutschen Politiker schauen über vieles hinweg. Insbesondere steht die Förderung des Islams einer Emanzipation der Frauen diametral entgegen. Widersprüche werden mit Miteinander-Floskeln übertüncht; so bringt man eine Verbeugung vor dem Islam und eine feministische Aussenpolitik spielend zusammen. Plötzlich wird der Kampf für das Kopftuch zum Ausdruck eines liberalen Feminismus.

Besonders aber fällt der Selbstbetrug im Falle des Antisemitismus auf. So verkauft die Frankfurter Bürgermeisterin die Ramadan-Beleuchtung auch noch als Massnahme gegen Judenhass, obschon sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass dieser gerade unter Muslimen in Deutschland besonders verbreitet ist. Das deutsche Trauma aus dem Zweiten Weltkrieg erweist sich als ein warmes Nest für Islamisten, die zum Teil auch noch die Chuzpe haben, sich als die «neuen Juden» zu inszenieren.

Dieser Opferstatus wird von regelmässigen Studien befeuert, während der Mehrheitsgesellschaft ein schlechtes Attest ausgestellt wird. Das Echo in den Medien klingt dann so: «Die Integration klappt, die Akzeptanz fehlt» («FAZ»), oder: «Muslimfeindlichkeit in Deutschland weit verbreitet» (ARD). Deutschland, so wirkt es leicht, sei von einer Islamophobie befallen.

Hinter den Ängsten verbirgt sich die Sorge angesichts eines muslimischen Fundamentalismus, den die Studien meist nicht einfangen. Eine Studie wie die von der Universität Münster von 2016 wird in den Medien deutlich weniger prominent gehandelt. Darin identifiziert sich fast die Hälfte der befragten Muslime mit folgender Aussage: «Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe.» 23 Prozent fanden, Muslime sollten es vermeiden, dem anderen Geschlecht die Hand zu schütteln. 21 Prozent bezeichneten ihre Haltung gegenüber Juden als negativ.

Viele Muslime haben sich säkularisiert und von kulturellen Dogmen gelöst, kaum jemand würde infrage stellen, dass sie Teil der deutschen Gesellschaft sind. Hinter der angeblichen Islamophobie steckt letzten Endes die berechtige Sorge, dass sich die Heimat durch den Islamismus negativ verändert – die deutsche Politik wirkt dagegen nicht beruhigend.

Ein Gedankenspiel

Was in Deutschland vor sich geht, könnte man auch vom Gesichtspunkt eines kollektiven Unbewusstseins betrachten. Vielleicht wartet das Land insgeheim darauf, durch Zuwanderung verändert zu werden. Eine Islamisierung Deutschlands würde einige Probleme lösen. Die Frage der Schuld etwa. Als Muslime würden sich die Deutschen vom Holocaust eher abkehren. Die deutschen Ängste und Zweifel würden aufgehoben durch einen robusten Islam. Gleichzeitig müsste man sich auch nicht mehr als Täternation fühlen, man könnte sich vielmehr in eine muslimische Opferkultur fügen. Man stünde nicht mehr an der Seite Israels, sondern ganz offen zu den Brüdern und Schwestern in Palästina. Ja, Deutschland könnte sogar wieder anknüpfen an den alten Judenhass, und gleichzeitig könnte man sich selbst als die fernen Opfer eines angeblichen neuen Genozids wähnen. Die Deutschen wären nun die Muslime, die Opfer, die Juden.

Wem das zu gesucht und zu dystopisch ist, der darf sich auch einfach weiter wundern, wie der Islam in Deutschland politisch gefördert, während die eigene Kultur schamhaft vermittelt wird. Eine Kultur, die Fremde aufnehmen und offen sein will, sollte sich selbst aber als Kultur respektieren. Denn auf die suchende Nation hat der Islam eine klare Antwort: «Allahu akbar», Gott ist gross.

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