Auch im deutschen Wahlkampf beschwören die Grünen gerne gesellschaftliche Krisen, um dann staatlichen Schutz anzubieten. Mit der moralisch geprägten Politik droht eine staatliche Mikrosteuerung in allen Bereichen des Lebens.
Die zurückliegenden Wahlen in Deutschland haben gezeigt, dass das Thema Klimawandel die Wähler, insbesondere die jungen Wähler, mobilisieren und den Grünen beachtliche Erfolge bescheren kann. Die Umweltpolitik ist zu einem gesellschaftlichen Thema ersten Ranges geworden. Vor allem die Klimapolitik ist längst zu einem Sammelbecken grundlegender Gesellschafts- und Kapitalismuskritik geworden. Hier werden die zentralen Charakteristika des Denkens und Handelns der Grünen besonders deutlich.
Die Grünen bezeichnen sich selbst als die «moralischste aller Parteien in Deutschland» – so Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und (noch) Parteimitglied der Grünen. Und tatsächlich betreiben die Grünen eine stark moralisch geprägte Politik, die hauptsächlich auf Werturteilen beruht.
Das Gut-böse-Schema
Als Ursache für die Klimakrise sehen die Grünen die weitverbreitete «niedrige» Gesinnung vieler Menschen. Das Weltklima werde destabilisiert, weil rücksichtslose Menschen das Klima absichtlich gefährdeten, um ihre egoistischen Ziele zu verfolgen. Diese Sichtweise schafft ein klares moralisches Feindbild und erlaubt es den Grünen, die Welt gemäss einem Gut-böse-Schema einzuteilen und ihre eigene moralische Überlegenheit gegenüber anderen herauszustellen.
Aus Sicht der Grünen wird gutes Handeln allein durch eine gute Gesinnung zum Ausdruck gebracht und nicht etwa durch positive Handlungsfolgen. Diese Sichtweise entbindet die gut gesinnten Menschen davon, sich über die tatsächlichen Folgen ihres eigenen Tuns zu informieren und dieses zu rechtfertigen. Die gute Absicht allein legitimiert das eigene Handeln, ob der eigentliche Handlungszweck auch tatsächlich erreicht wird, ist dann weitgehend unerheblich.
Das politische Angebot der Grünen ist ein moralisch-fürsorglicher Staat. Dieses Angebot wird vor allem dann nachgefragt, wenn Krisen oder Katastrophen tatsächlich drohen oder von Politik und Medien an die Wand gemalt werden. Ein zentrales Politikelement der Grünen besteht deshalb darin, zunächst vermeintliche gesellschaftliche Krisen und Bedrohungen zu skizzieren und dann staatlichen Schutz anzubieten.
Klimaschutz steht im Zentrum
Die Legitimation ihres Handelns erfahren die Grünen vor allem durch den Schutz des Klimas. Gemäss ihrem Wahlprogramm streben sie nicht einen menschenwürdigen Wohlstand, sondern einen «klimagerechten Wohlstand» an. Sie sehen es als ihre höchste Verpflichtung, zum Schutz des Klimas alles zu unternehmen und diesem Ziel alles unterzuordnen, da eine Klimakatastrophe unmittelbar bevorstehe.
Die Politik und insbesondere die Klimapolitik der Grünen sind stark ideologiegeprägt. Der Klimaschutz ist die «Überlebensfrage der Menschheit», das höchste und wichtigste gesellschaftliche Ziel, dem sich alles andere unterzuordnen hat. So fordern die Grünen ein «klimagerechtes Wirtschaften». Kompromisse mit anderen gesellschaftlichen Zielen dürfen nicht gemacht werden.
Die Ideologielastigkeit der grünen Klimapolitik kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass viele der von den Grünen vorgeschlagenen Massnahmen keinen Beitrag zu einer rationalen Lösung des Klimaproblems darstellen, sondern nur der Propagierung der eigenen Weltanschauung dienen. Denn viele energie- und klimapolitische Vorhaben entpuppen sich bei näherer Betrachtung als reines Wunschdenken und als Illusion, wenn sie mit den harten Tatsachen der ökonomischen und naturwissenschaftlichen Realität konfrontiert werden.
Tendenz zum Dirigismus
Die Grünen verbinden moralischen Anspruch und ideologische Überzeugung mit einem ausgeprägten Konstruktivismus und einer Tendenz zum Dirigismus. Sie haben ganz konkrete Vorstellungen davon, wie welche gesellschaftlichen Bereiche zu funktionieren haben und welche gesellschaftlichen Ergebnisse erwünscht sind. Dabei denkt die Partei vor allem in Verboten und staatlichen Vorgaben, mit denen sie das politisch Gewünschte unmittelbar und schnellstmöglich herbeiführen möchte.
Die Verbots- und Ausstiegsliste der Grünen ist so lang, dass sich ihre Vertreter bemühen müssen, diese zu beschönigen. So spricht Katrin Göring-Eckardt nicht von Verboten, sondern von «radikal-realistischen Forderungen», und Robert Habeck deutet die Grünen gleich als «Gestaltungspartei» um.
Dieses Streben nach «Gestaltung» wird motiviert durch das Gerechtigkeitsverständnis und das Menschenbild der Grünen. Sie kritisieren die Verteilungsergebnisse des Marktes per se als ungerecht und unsozial und lehnen damit Leistungsgerechtigkeit beziehungsweise Regelgerechtigkeit als gesellschaftliche Prinzipien ab.
Die Grünen konzentrieren ihren Blick auf die Ergebnisse und fordern Ergebnisgerechtigkeit oder gleich gesellschaftliche Gleichheit. Das wiederum bietet viel Spielraum für die moralische Interpretation des Marktes und der Marktergebnisse – vor dem Hintergrund einer mehr oder weniger offenen Wachstums- und Kapitalismuskritik. Die Klimapolitik erscheint aus dieser Sicht als probates Mittel, um die marktliche Wettbewerbsordnung zu transformieren.
Deshalb offenbart das Wahlprogramm der Partei – nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie – ein «ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis, das mit einer sehr eingeengten Perspektive auf das Staatsziel Klimaschutz Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft durch Konzepte staatlicher Lenkung und Umverteilung ersetzen will.»
Die Vielzahl von Verboten, Geboten und die staatliche Mikrosteuerung in allen Bereichen des Lebens sind Elemente einer anderen Gesellschaftsordnung, in der der Staat das Leben und das Wirtschaften der Menschen steuert – ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Machbarkeit. Die Marktwirtschaft gilt es durch eine «globale sozial-ökologische Transformation» zu überwinden – mit dem Ziel, dass sich alle wirtschaftlichen Aktivitäten am «gesamtgesellschaftlichen Wohlstand» ausrichten (so das Grünen-Grundsatzprogramm von 2020).
Dieses Ziel lässt sich aber nur durch massive Eingriffe des Staates in Markt und Wettbewerb erreichen. Annalena Baerbock gibt das auch zu: «Wir müssen radikal sein und ganz offen einen Systemwechsel verlangen.» Und dafür ist nichts besser geeignet als die Klimapolitik, mit der freiheitliche und marktwirtschaftliche Prinzipien ausser Kraft gesetzt werden können und eine Renaissance staatsdirigistischer Ideen eingeleitet werden kann. Diese Tendenzen lassen sich schon heute beobachten; sie werden sich im Zuge des Green Deal der EU noch wesentlich verstärken. Wird hier nicht Einhalt geboten, ist die Ökodiktatur nicht mehr fern.
Kritiker dieser Ideologie werden als «Klimaleugner» diffamiert.
Wähler müssen Debatte wollen
Ob die Grünen ihr Ziel tatsächlich erreichen, hängt von den Wählern ab. Solange sie sich weiter mit Gesinnung und Moral zufriedengeben, werden die Grünen nicht von ihrer gesinnungsethischen Strategie abrücken. Die Wähler müssen eine offene und vorurteilsfreie Diskussion verlangen und verantwortungsvolle, rationale Problemlösungen einfordern. Nur so besteht die Aussicht, dass in der Politik wieder ein angemessenes Verhältnis zwischen Gesinnung und Verantwortung, zwischen Moral und Vernunft hergestellt wird.
Fritz Söllner ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, an der Technischen Universität Ilmenau. Zuletzt von ihm erschienen: «Die Geschichte des ökonomischen Denkens» im Springer-Verlag (2021). Rupert Pritzl, Volkswirtschafter, ist im Bayerischen Wirtschaftsministerium tätig und Lehrbeauftragter an der FOM-Hochschule.