Die Zahlen sind bedrohlich: Fast jedes fünfte Unternehmen will energieintensive Geschäftsfelder in Deutschland aufgeben. Auch BASF gehört dazu. Der Chemiekonzern will in China an seinen Investitionsplänen festhalten. Die Forderungen werden lauter, dass die Ampel handeln muss.
Die Zahlen lesen sich bedrohlich: Fast jedes fünfte Unternehmen will energieintensive Geschäftsfelder in Deutschland aufgeben. Auch BASF spielt mit dem Gedanken. Und denkt ausgerechnet an China: Der Chemiekonzern will an seinen Investitionsplänen im Reich der Mitte festhalten.
Deindustrialisierung heißt der Begriff, der Chancen auf das Unwort 2022 haben könnte. Denn die Energiekrise, von der Deutschland stark betroffen ist, sorgt für zwei Dinge: Firmen, die es sich leisten können, wandern ins Ausland ab, wo Länder mit günstigen Energiepreisen locken. Und diejenigen, die diese Möglichkeit nicht haben, stehen vor dem Aus.
Hohe Gaspreise gefährden Unternehmen
So sind fast alle Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie (M+E-Industrie) von der aktuellen Energiekrise betroffen, wie aus der bundesweiten Blitzumfrage von Gesamtmetall unter den Mitgliedsunternehmen der Arbeitgeberverbände der M+E-Industrie hervorgeht. 97 Prozent der Firmen sind durch Kostensteigerungen bei Energie und energieintensiven Vorleistungen betroffen, jeder sechste Betrieb sogar in einer existenzgefährdenden Art und Weise. Die hohen Preise sind ursächlich: Die Einkaufskosten haben sich 2022 im Vergleich zu 2021 um 65 Prozent erhöht, bei Energie (Gas und Strom) sogar mehr als verdoppelt (plus 115 Prozent).
Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte bei der Präsentation der Ergebnisse: „Die Energiekrise trifft die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie mit voller Wucht – und zwar über alle Branchen und Größen hinweg. Von einer stabilen Lage kann absolut keine Rede sein. Sie ist zudem von großer Unsicherheit geprägt. Eine Gasmangellage würde die Probleme extrem verschärfen. 2023 erwarten wir für die M+E-Industrie ein erneutes Rezessionsjahr.“
Noch ist die Auftragslage nicht schlecht
Dabei ist die Auftragslage aktuell noch gar nicht so schlecht: Nur: Wenn sich die abzeichnende Rezession stärker als befürchtet entwickelt, werden die Auftragsbestände ebenfalls zurückgehen. Daher agieren die Unternehmen, die können. Wie BASF. Und schauen ins Ausland.
BASF-CEO Brudermüller will die Kosten des Chemiekonzerns in Europa und vor allem in Deutschland so schnell wie möglich deutlich reduzieren. In dieser Woche bekräftigte der Konzernchef dem „Spiegel“ zufolge zudem, an der geplanten Investition von zehn Milliarden Euro in einen neuen Verbundstandort in China festzuhalten und den Umsatz in dem Land deutlich steigern zu wollen.
Das Problem: BASF ist im dritten Quartal in Deutschland in die roten Zahlen gerutscht. Nach Konzernangaben haben die deutschen Standorte in der Zeit Millionenverluste gemacht. Die Rede ist von einem niedrigen, dreistelligen Millionenbetrag. „Da hauen die hohen Energiepreise voll rein“, sagte BASF-Finanzchef Engel.
Wegen verschlechterter Geschäfte und schwierigerer Rahmenbedingungen in Europa legte die BASF-Führung jüngst ein Sparprogramm auf, das 2023 bis 2024 umgesetzt werden soll. Denn Preisanpassungen alleine helfen anscheinend nicht. Die Kürzungen sollen die jährlichen Kosten außerhalb der Produktion um 500 Millionen Euro senken. Mehr als die Hälfte der Einsparungen will der Vorstand am Standort Ludwigshafen realisieren, wo BASF rund 39.000 seiner weltweit etwa 111.000 Mitarbeiter beschäftigt. Sowohl Unternehmens-, Service- und Forschungsbereiche als auch die Konzernzentrale sollen gestrafft werden, hieß es. Dabei schließt das Unternehmen Stellenstreichungen nicht aus.
Arbeitsplatzabbau steht auf der Agenda
Bereits Mitte Oktober hatte eine Ifo-Umfrage für die Stiftung Familienunternehmen gezeigt, dass das Thema Arbeitsplatzabbau mittlerweile auf der Agenda steht. Ein Viertel der Unternehmen in Deutschland plane wegen der gestiegenen Energiepreise den Abbau von Arbeitsplätzen. 57 Prozent gaben an, sie wollten deswegen geplante Investitionen verschieben. Und 17 Prozent der Firmen planten, energieintensive Geschäftsfelder ganz aufzugeben.
Der Vorstand der Stiftung, Rainer Kirchdörfer, nannte die Ergebnisse der Umfrage ein Alarmsignal: „Wir sehen seit einiger Zeit eine schleichende Verlagerung industrieller Wertschöpfung. Dies werden wir als Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust erst in Jahren spüren – dann aber unumkehrbar.“ Diese „fatale“ Entwicklung am Standort Deutschland beschleunige sich, sagte Kirchdörfer weiter. Die Unternehmen führen die Fertigung in Deutschland zurück oder verlagerten ihre Produktion dorthin, wo Energiekosten, Steuern und Bürokratielasten niedriger sind.
Was macht die Politik?
Nun stellen sich zwei Fragen: 1. Wie reagiert die Politik darauf? Der Druck der Opposition wächst: Die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann, sagte zu „Bild“, eine „Winterlücke“ gefährde Arbeits- und Ausbildungsplätze, dem Mittelstand drohe „der Energie-Kollaps“. Die CDU-Politikerin forderte eine „Winterbrücke“: „Die Bremse muss spätestens zum 1. Januar kommen, nicht nur für Gas. Und nicht nur für energieintensive Betriebe“, sagte sie.
Sie fordert: „Wer eine Deindustrialisierung verhindern will, muss das Energieangebot ausweiten, die Energiepreise bremsen und Betriebe entlasten. Sonst ist der Exodus programmiert. Wirtschaftsminister Habeck muss endlich seine Prioritäten ändern – erst das Land, dann die Partei.“
Noch ist bei der Mehrheit der Konjunkturexperten von einer „milden Rezession“ die Rede, d.h. der Arbeitsplatzabbau verläuft auch wegen des Fachkräftemangels moderat. Sollten allerdings die Worst-Case-Szenarien mit einem Wirtschaftseinbruch von bis zu acht Prozent in 2023 Realität werden, weil sich etwa die Gasmangellage aufgrund einer harten Winters verschärft, dürfte auch diese Bastion fallen.
Kein Wunder, dass die Forderungen auf die Ampel zum Handeln zunehmen, bevor diese auf Rot springt.