Grüne und FDP wollen die Ukraine mit mehr Waffenlieferungen bei ihrer Gegenoffensive unterstützen – teilweise fordern sie Kampfpanzer für Kiew. Die SPD ist bisher zurückhaltend und findet sich wieder in der Defensive.
Muss Deutschland verstärkt Waffen an die Ukraine liefern, um die momentanen Erfolge im Kampf gegen die russischen Besatzer zu sichern? Diese Frage wird in der Ampel-Koalition immer lauter diskutiert. Vor allem Grüne und FDP dringen auf die Lieferung schwerer Waffen.
„Alle in der Regierung wissen indes, dass noch mehr möglich wäre“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour der „Augsburger Allgemeinen“. Deutschland müsse die Ukraine dabei unterstützen, noch vor dem Wintereinbruch „so viel wie möglich von ihrem eigenen Land zu befreien“. Er sprach sich für weitere Lieferungen aus den Beständen von Bundeswehr und Industrie aus.
Lambrecht: „Viel Gerät auf dem Papier“
Weiter an die Bestände der Bundeswehr zu gehen, stößt bei Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) auf wenig Begeisterung. „Ich habe viel Gerät auf dem Papier – aber wenn ich mir die Einsatzbereitschaft anschaue, dann sieht die ganz anders aus“, sagte sie dem Onlinemagazin Politico. Dies liege an der früheren Unterfinanzierung der Bundeswehr. Für die mit der NATO abgestimmte Verstärkung der Ostflanke brauche sie Soldaten, „die richtig ausgebildet und ausgestattet sind, und ich muss in der Lage sein, Material nach Litauen zu verlegen.“
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist bei weiteren Waffenlieferungen bisher zurückhaltend und verweist darauf, dass auch die großen NATO-Partner keine Panzer direkt liefern und Deutschland keine Alleingänge unternehmen wolle.
Diese Linie bekräftigte auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. „Sehr wohl unterstützen wir aber mit den osteuropäischen Partnern den Ringtausch“ sagte Kühnert auf RTL/ntv mit Blick auf das laufende Verfahren. Er warnte davor, schleichend in den Krieg hineingezogen zu werden. Deutschland wolle Russland nicht dazu animieren, völlig irrational am Ende zu handeln und noch ganz andere Staaten anzugreifen.“ Das sei ein wichtiger Aspekt in der Auseinandersetzung. Und dieser Aspekt müsse – „bei allem heißen Herzen“ – immer auch bedacht werden.
FDP für Kampfpanzer-Lieferung
Vor allem aus der FDP wächst jedoch der Druck: „Ich wünschte mir, dass der Bundeskanzler seine Linie ändert. Ich wünschte mir, dass die Verteidigungsministerin ihre Linie ändert“, sagte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im ARD-Morgenmagazin. Erforderlich sei die Lieferung des Schützenpanzers Marder und auch des Kampfpanzers Leopard 2. „Das ist unglaublich wichtig und sollte sofort passieren“, meinte Strack-Zimmermann.Sie appellierte an all diejenigen, „die immer noch nicht verstanden haben, dass in einer Kriegssituation wie der diesen die Erfolge der Ukraine nur untermauert werden können, wenn sie jetzt die Waffen haben, die sie brauchen“.
Ähnlich hatte sich zuvor auch der FDP-Verteidigungsexperte Marcus Faber geäußert und die direkte Lieferung von Marder-Schützenpanzern gefordert. „Mit unseren Panzern würde die Befreiung schneller vorankommen, und weniger Ukrainer müssten sterben“, sagte er der „Bild“-Zeitung.
Auch FDP-Chef Christian Lindner warb für eine zusätzliche Unterstützung Deutschlands. „Wir müssen jeden Tag prüfen, ob wir noch mehr tun können, um ihnen in diesem Krieg beizustehen“, schrieb Lindner auf Twitter.
Union macht Druck
Auch von außerhalb der Regierung wächst der Druck auf die SPD: „Die aktuelle Entwicklung in der Ukraine zeigt, mit den nötigen Mitteln kann Putins Invasionsdrang erfolgreich zurückgeschlagen werden“, sagte der verteidigungspolitische Fraktionssprecher Florian Hahn (CSU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Berlin muss endlich seine Zurückhaltung aufgeben und mehr Waffen liefern.“
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der „Bild“-Zeitung: „Dazu zählen insbesondere auch Panzer aus den Beständen der Bundeswehr. Nirgendwo sonst werden sie gegenwärtig zur Wiederherstellung des Friedens gebraucht.“
Russischer Botschaft spricht von „roter Linie“
Die bisherigen Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte nun der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew. „Allein die Lieferung tödlicher Waffen an das ukrainische Regime, die nicht nur gegen russische Soldaten, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung im Donbass eingesetzt werden, ist eine ‚rote Linie‘, die die deutsche Regierung (…) nicht hätte überschreiten dürfen“, sagte Netschajew in einem Interview der russischen Tageszeitung „Iswestija“.
Er verwies dabei auf die „moralische und historische Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nazismus im Zweiten Weltkrieg“.
Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 12. September 2022 um 09:30 Uhr.