In einer Fraktionssitzung sagt der CDU-Chef, die Ampel sei nicht an der FDP gescheitert – und drängt zu Tempo bei Neuwahlen. Am Nachmittag trifft Merz den Bundespräsidenten.
Berlin. Der Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU, Friedrich Merz, fordert nach dem Scheitern der Ampelkoalition schnelle Neuwahlen. „Verantwortung zu tragen heißt jetzt so schnell wie möglich Neuwahlen“, sagte er Berichten von Teilnehmern zufolge in einer außerordentlichen Fraktionssitzung am Morgen.
Es gebe keine Entscheidungen mehr mit FDP oder Union, wurde er weiter zitiert. Kooperationen in Einzelprojekten werde es nur geben, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage vor dem 15. Januar stelle. Er habe den Bundespräsidenten gebeten, in seiner für elf Uhr angesetzten Pressekonferenz keine Vorfestlegungen zu treffen. Merz berät sich mit Frank-Walter Steinmeier am Nachmittag. Vorher wird er sich mit Kanzler Olaf Scholz treffen. Dies erfuhr das Handelsblatt aus dem CDU-Präsidium.
Wie es hieß, werde der Oppositionsführer den Kanzler auffordern, die Vertrauensfrage in Kürze zu stellen. Erst dann sei die Union bereit, über den Bundeshaushalt oder einzelne Gesetzesvorhaben zu verhandeln und unter Umständen zur Mehrheit zu verhelfen. Einen entsprechenden Beschluss hatte die Fraktion am Morgen getroffen.
Um zu einer vorgezogenen Neuwahl zu kommen, will Scholz, wie zuletzt Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005, im Bundestag Mitte Januar die Vertrauensfrage stellen – in der Absicht, diese zu verlieren. Auf Vorschlag des Kanzlers könnte der Bundespräsident gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes (GG) daraufhin den Bundestag innerhalb von 21 Tagen auflösen. Eine Neuwahl müsste laut Artikel 39 GG innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Scholz kündigte am Mittwochabend Neuwahlen bis Ende März an.
Dobrindt: „Die Ampel ist gescheitert, weil die Ampel schlecht war“
Nach Angaben von Teilnehmern der Fraktionssitzung gab es lauten Applaus für Friedrich Merz als dieser sagte: „Die Ampel ist zu Ende.“ Merz betonte, die Regierung sei bereits mit Beginn des Ukrainekriegs am Ende gewesen und nicht an der FDP gescheitert. Zwar ließe sich über den Stil im Umgang streiten. Allerdings sei das Wirtschaftswende-Papier von FDP-Chef Christian Lindner „in der Sache richtig, gut begründet“.
„Die Kurskorrektur in der Wirtschaftspolitik“ sei seit Monaten nötig, so Merz. „Jetzt schaut die Bevölkerung auf uns. Deshalb müssen wir mit der gebotenen Ruhe, Klarheit und Demut handeln.“ Er kündigte an, dass die Fraktion das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf die Tagesordnung setzen werde, um die Wirtschaft zu entlasten.
» Lesen Sie auch: Neuwahlen im März – Kanzler Scholz entlässt Finanzminister Lindner
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte vor den Abgeordneten: „Die Ampel ist gescheitert, weil die Ampel schlecht war. Aber sie ist auch gescheitert, weil wir gut waren.“ Die Union habe immer staatspolitische Verantwortung gezeigt. Nun sei es am Bundeskanzler, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Er dürfe „keine politische Insolvenzverschleppung betreiben“.
Europapolitisch kein Grund für schnelle Wahlen
Weitere Fraktionsmitglieder schlossen sich Berichten von Teilnehmern zufolge der Forderung an. „Wir sollten den Kanzler davon überzeugen, dass er so schnell wie möglich die Vertrauensfrage stellen soll“, wurde Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei zitiert. „Es darf keine Minderheitsregierung durch die Hintertür geben.“
Der europapolitische Sprecher der Fraktion, Gunther Krichbaum (CDU), soll erklärt haben, dass es aus europapolitischen Erwägungen für SPD und Grüne keinen Grund gebe, die Neuwahlen vorzuziehen. Die Bundesregierung sei nun vielmehr in der Lage, in Europa jetzt so abzustimmen, wie es ihr passe. In der Vergangenheit war dies mit der FDP immer wieder ein Problem gewesen.
Der Europapolitiker und Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU, Dennis Radtke, hält zügige Neuwahlen indes auch europapolitisch für geboten. „Je schneller nun Neuwahlen herbeigeführt werden, umso besser“, sagte er dem Handelsblatt. „Wir brauchen endlich wieder eine Regierung, die in Europa Akzente setzt als Gegengewicht zu Trump.“
Deutsche Wirtschaft fordert „so schnell wie möglich“ Neuwahlen
Führende Vertreter der deutschen Wirtschaft halten zügige Neuwahlen ebenfalls für geboten. „Angesichts der weltpolitischen Lage und der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Standorts Deutschland brauchen wir jetzt so schnell wie möglich eine neue, handlungsfähige Regierung mit eigener parlamentarischer Mehrheit“, sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm.
„Jeder weitere Tag mit dieser Bundesregierung ist ein verlorener Tag“, kommentierte der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Dirk Jandura, das Ende der Ampel. „Wir fordern Neuwahlen, und zwar so schnell wie möglich.“
„Für die Erneuerung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dürfen wir keine Zeit verlieren.“
Wolfgang Große EntrupVCI-Hauptgeschäftsführer
Der Mittelstandsverbund ZGV, der rund 230.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland vertritt, hält einen Neuanfang für überfällig. „Bundeskanzler Olaf Scholz darf deshalb mit der Vertrauensfrage nicht bis Januar warten, sondern sollte sie umgehend im Bundestag stellen“, sagte Verbandspräsident Eckhard Schwarzer. „Wir können uns angesichts der ernsten wirtschaftlichen Lage in Deutschland und unserer internationalen Herausforderungen weitere Monate Stillstand nicht erlauben.“
Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) mahnt, jetzt schnell Klarheit zu schaffen. „Eine monatelange Hängepartie und politischen Stillstand können wir uns nicht leisten“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Neuwahlen müssten daher zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattfinden. „Denn für die Erneuerung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dürfen wir keine Zeit verlieren.“
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Helge Braun (CDU), sieht auch deshalb Handlungsbedarf, weil der Haushalt hinfällig sei, wie er in der Unionsfraktionssitzung sagte. Eigentlich sollten in der heutigen Sitzung des Bundestagsausschusses die vorliegenden Anträge für Beschaffungsprojekte der Bundeswehr beschieden werden.
Der Haushälter Christian Haase soll Parteichef Merz angehalten haben, bei der Schuldenbremse weiter standhaft zu bleiben. Die Vorschläge von Scholz und den Grünen seien „ein vergiftetes Angebot“.