Es war die Woche der Entscheidung für Gesundheitsminister Karl Lauterbach (61, SPD). Am Mittwoch wurde bekannt: Die Beiträge für die Krankenversicherung schießen zum Jahreswechsel nach oben! Sein wichtigstes Gesetz – die Klinik-Reform – brachte er einen Tag später durch den Bundestag.
Im BILD-Gespräch bezog der Minister Stellung.
BILD: Herr Lauterbach, im nächsten Jahr knallt der Beitrag zur Krankenversicherung um 0,8 Prozentpunkte hoch. Wird es nur wieder teurer, oder auch mal besser?
Karl Lauterbach: „Es wird auch besser. Natürlich, es muss auch besser werden. Der Grund, weshalb es teurer wird: Wir haben höhere Löhne, Pflegekräfte verdienen besser, Angestellte verdienen besser in den Krankenhäusern und wir haben dort auch Inflation. (…) Aber die andere Hälfte der Wahrheit ist: Wir haben große Effizienzprobleme. Unser System ist das Teuerste in Europa – ist aber bei der Qualität nicht spitze, eher im Mittelfeld. Daher brauchen wir Strukturreformen. Aber das System ist für das, was es leistet, zu teuer.“
„Die Strukturen sind veraltet, sind ineffizient“
Aber Herr Lauterbach, 0,8 Prozentpunkte hoch, das gab es zuletzt 1975!
„Zunächst hatten wir in Jahrzehnten nicht eine solche Inflation. Somit ist das schon ein Stück weit verstehbar. Aber das ist nicht das Hauptproblem, sondern das Hauptproblem ist wirklich: Die Strukturen sind veraltet, sind ineffizient, sind in dieser Grundstruktur zum Teil 40 Jahre alt. Und es kann nicht so weitergehen.“
Sie haben gesagt, der Beitragssatz-Anstieg muss gestoppt werden. Können Sie ein konkretes Jahr nennen, wann es denn so weit ist?
„Mit den Reformen, die wir jetzt schon gemacht haben, die jetzt anfangen zu wirken, und den Reformen, die wir gerade machen, kommt tatsächlich auch dieser Beitragssatzanstieg zu einem Stopp.“
Experten sagen aber, dass durch Ihre Krankenhausreform kurzfristig die Beiträge noch mal steigen und nicht sinken werden.
„Das ist tatsächlich richtig. Im nächsten Jahr wäre der Beitragssatz nicht so stark gestiegen, wie wir es jetzt erwarten. Wenn ich hingegangen wäre, hätte gesagt, okay, wir lassen die Krankenhäuser jetzt sterben. Wenn wir die Reform jetzt nicht machen würden (…), hätten wir im nächsten Jahr ein Krankenhaussterben von mehreren Hundert Krankenhäusern, die insolvenzgefährdet sind. Das sind zum Teil Kliniken auf dem Land, die wir dringend nötig haben. Daher stimmt das: Die Krankenhausreform kostet jetzt kurzfristig etwas, macht Druck auf den Beitragssatz.“
Klinik-Sterben – vor allem im Westen
Können Sie sagen, wie viele Krankenhäuser in Deutschland es bald nicht mehr geben wird?
„Es ist ganz klar, dass wir in zehn Jahren spätestens ein paar Hundert Krankenhäuser weniger haben werden. Das ist auch richtig so. Für diese Krankenhäuser haben wir nicht den medizinischen Bedarf. (…) Jetzt steht jedes dritte Bett leer. Wir haben dafür nicht das Personal. Und es ist auch ein Gewinn der Qualität, wenn wir wie in anderen Ländern auch, die Versorgung mit komplizierteren Eingriffen zentralisieren. (…) Somit: Ein paar Hundert Häuser werden weg sein. Viele davon in westdeutschen Großstädten.“
Wie können Sie denn garantieren, dass tatsächlich Krankenhäuser auf dem Land, die dringend benötigt werden, erhalten bleiben und nicht, bis Ihre Reform greift, in Konkurs gehen?
„Diese kleinen Häuser bekommen für die Bereiche, mit denen sie derzeit Defizite machen, Zuschläge: die Kinderheilkunde, die Geburtshilfe, die Notfallversorgung, Unfallversorgung, Traumatologie, Versorgung von Schlaganfällen, Intensivmedizin. Somit gibt es Zuschläge für dieses Brot-und-Butter-Geschäft, was es auf dem Land überall geben muss.“
„Wir setzen die Ärzte sehr ineffizient ein“
Wer auf dem Land wohnt, fährt in einigen Regionen 80, 90 Kilometer zu einem Termin bei einem Facharzt, den er vor einem halben Jahr gemacht hat. Und das in einem der reichsten Länder der Welt …
„Wir setzen die Ärzte sehr ineffizient ein. Wenn ich die Ärztedichte in Deutschland anschaue, dann sieht es bei uns sehr gut aus. Da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Wir haben aber einfach ein komplett ineffizientes System: Auch die Fachärzte könnten, wie die Hausärzte, einfach viel effizienter arbeiten, wenn zum Beispiel die Digitalisierung geklappt hätte. Wir haben es seit 20 Jahren nicht geschafft, die elektronische Patientenakte einzuführen. (…) Nach 20 Jahren haben wir das jetzt erzwungen durch ein paar Veränderungen, die wir im Gesetz gemacht haben.“
„Ich bin der preisgünstigste Gesundheitsminister“
Fakt ist, Sie sind der Gesundheitsminister, unter dem die Beiträge am meisten angestiegen sind. AOK-Chefin Carola Reimann sieht sie auf dem Weg zum teuersten Gesundheitsminister der Nachkriegszeit.
„Das ist zunächst einmal falsch. Die Wahrheit ist: Ich mache Strukturreformen und werde erreichen (…), dass die Beiträge langfristig nicht mehr standardmäßig steigen. Somit bin ich, wenn man so will, der preisgünstigste Gesundheitsminister für die Krankenkassen. (…) Und lassen Sie mich noch einen Punkt sagen: Wir haben so ein ineffizientes System, die Lebenserwartung in Westeuropa ist in keinem Land niedriger als bei uns. Italien, Spanien, Belgien, Niederlande, Schweden, Finnland, Österreich, Schweiz, Luxemburg – überall ist die Lebenserwartung höher als bei uns, als in unserem sehr teuren System. Mit dieser schlechten Lebenserwartung muss man sich auch die Frage gefallen lassen: Was ist der Beitrag der Krankenkassen gewesen?“
„Ein paar Dutzend Krankenkassen weniger vorstellbar“
Wir haben so viele Krankenkassen wie kein anderes Land, die haben alle Chefs, Büros, Dienstwagen, Angestellte – können wir uns die noch leisten?
„Ich will nicht darüber spekulieren. Aber es ist ganz klar: Wir können uns ein paar Dutzend Krankenkassen weniger gut vorstellen. Es muss aber über die Qualität kommen und daher machen wir jetzt per Gesetz die Qualität der Krankenkassen vergleichbar. Das gefällt übrigens auch nicht jedem Krankenkassen-Manager.“
Ab jetzt stabile Beiträge? Ja!
Noch einmal konkret nachgefragt: Sie sagen, 2025 wird es noch mal teurer. Aber dann ist Schluss?
„Ich glaube nicht, dass für 2026 wir noch mal die Krankenkassenbeiträge erhöhen müssen.“
Sie trauen sich den Satz zu: 2025 wird auf absehbare Zeit das letzte Jahr sein, in dem die Krankenkassenbeiträge steigen?
„Ich gehe davon aus, dass die Krankenkassenbeiträge jetzt stabil sein werden. (…) Wenn wir die Reformen alle noch machen können, an denen wir derzeit arbeiten (…), und wir die gesamte Legislaturperiode noch arbeiten können, dann bleibt auch der Beitragssatz stabil.“
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