Die Vereinten Nationen kritisieren den zunehmenden Druck auf ihre Vertreter – schließen einen Abzug aber aus. Israel beschuldigt indes die Hisbollah, gezielt aus der Nähe von Uno-Soldaten zu feuern.
Bei den Gefechten in Nahost – sei es im Libanon oder in Gaza – geraten auch Vertreter oder Mitarbeiter der Vereinten Nationen immer häufiger zwischen die Fronten. Zuletzt richtete sich der Fokus auf die Risiken für die Uno-Friedenstruppe im Libanon (Unifil).
Die Angriffe auf diese Einheiten während der israelischen Offensive gegen die Hisbollah könnten nach Angaben von Uno-Generalsekretär António Guterres Kriegsverbrechen darstellen. »Das Personal der Unifil und ihre Einrichtungen dürfen niemals angegriffen werden«, betonte Guterres am Sonntag in einer Erklärung. »Angriffe auf Friedenstruppen verstoßen gegen das Völkerrecht … (und) können ein Kriegsverbrechen darstellen«.
Zur Aufforderung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, die Unifil-Truppen aus den Kampfgebieten im Südlibanon abzuziehen, sagte Guterres, die Friedenstruppe bleibe auf ihren dortigen Stützpunkten. Fünf Blauhelmsoldaten wurden in den vergangenen Tagen bei den Auseinandersetzungen im Südlibanon verletzt, was international auf scharfe Kritik stieß.
Am Sonntag warf die Uno-Mission der israelischen Armee vor, mit Panzern in eine Stellung der Blauhelmsoldaten im Südlibanon eingedrungen zu sein. Zwei israelische Panzer hätten das Haupttor des Stützpunktes in der Gegend von Ramia zerstört und seien »gewaltsam« eingedrungen, hieß es in einer Erklärung von Unifil. Nach 45 Minuten seien die israelischen Soldaten wieder abgezogen. Eine Analyse zur Situation der Friedenstruppen finden Sie hier.
Die israelische Armee erklärte später, nach bisherigen Erkenntnissen habe einer ihrer Panzer versucht, verwundete Soldaten zu evakuieren, während er unter Beschuss gewesen sei. Dabei habe er sich »um mehrere Meter« in einen Unifil-Stützpunkt zurückgezogen. Später habe er die Basis wieder verlassen.
Die Unifil beklagte zudem, am Samstag hätten Soldaten der israelischen Armee »eine entscheidende logistische Bewegung der Unifil in der Nähe von Mais al-Dschabal blockiert und ihr den Weg versperrt«. Unifil forderte die israelischen Behörden auf, Erklärungen zu liefern, und sprach von »schockierenden Verstößen«.
Das israelische Militär erklärte, die Hisbollah greife von Stellungen aus an, die sich in unmittelbarer Nähe von Posten der Uno-Blauhelmtruppen im Südlibanon befinden. Wie die israelische Armee am Abend mitteilte, seien im vergangenen Monat etwa 25 Raketen auf israelische Gemeinden und Truppen von Stellungen der Hisbollah in der Nähe von Unifil-Posten abgefeuert worden.
Bei begrenzten und »gezielten« Einsätzen im Südlibanon seien Israels Truppen nur »einige Dutzend bis einige hundert Meter« von Unifil-Posten entfernt auf unterirdische Waffenlager gestoßen, hieß es weiter. Die Hisbollah habe im Laufe der Jahre ihre Angriffsinfrastruktur bewusst in der Nähe von Stellungen der Uno-Friedensmission aufgebaut.
Die Unifil-Friedenstruppe ist seit 1978 im Libanon stationiert, sie umfasst mehr als 10.000 Soldaten und Zivilkräfte. Seit der nach dem Libanonkrieg von 2006 vom Uno-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution 1701 wurden die Aufgaben der Blauhelmtruppe deutlich erweitert.
Beschuss geht über Nacht weiter
Die Gefechte gingen unterdessen auch in der Nacht auf Montag weiter. Die Hisbollah feuerte Raketen auf den Norden Israels ab. Wie die israelische Armee mitteilte, fing die Flugabwehr ungefähr fünf aus dem Libanon abgefeuerte Geschosse erfolgreich ab. Zuvor hatten in der Bucht von Haifa und den umliegenden Gemeinden die Warnsirenen geheult. Laut der »Times of Israel« waren die Explosionen der Abwehrgeschosse am Nachthimmel über Haifa zu sehen. Lesen Sie hier, warum Benjamin Netanyahu dem Libanon mit Zerstörungen wie in Gaza droht.
Zudem wurde bekannt, dass es bei einem Drohnenangriff der Hisbollah auf einen israelischen Militärstützpunkt südlich von Haifa vier Tote gegeben hat. Bei dem Angriff am Sonntag seien vier israelische Soldaten getötet und sieben weitere schwer verletzt worden, teilte die Armee am Abend mit. Zuvor hatte der israelische Rettungsdienst Hatzalah erklärt, bei dem von der Hisbollah reklamierten Angriff in Binjamina seien mehr als 60 Menschen verletzt worden, einige von ihnen lebensgefährlich.
Die Hisbollah hatte zu dem Drohnenangriff auf einen Militärstützpunkt in der zwischen Haifa und Tel Aviv gelegenen Stadt erklärt, sie habe einen »Schwarm von Angriffsdrohnen« in Richtung eines Ausbildungslagers in Binjamina gestartet. Die Attacke sei eine Reaktion auf israelische Luftangriffe unter anderem auf die Viertel Basta und Nweiri in der libanesischen Hauptstadt Beirut.
Auch in Gaza gab es weitere Attacken. Bei einem israelischen Angriff auf ein ehemaliges Schulgebäude im Gazastreifen sind nach Angaben der Zivilschutzbehörde in dem Palästinensergebiet mindestens 15 Menschen getötet worden. Das Gebäude im Flüchtlingslager Nuseirat, das inzwischen als Notunterkunft diente, sei von der israelischen Artillerie beschossen worden, sagte der Sprecher der Behörde, Mahmud Bassal, am Sonntag. Unter den Opfern seien »Kinder, Frauen und ganze Familien«. 50 weitere Menschen seien verletzt worden. Das israelische Militär teilte auf Anfrage mit, dass es »die Berichte prüfe«. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet lassen sich nicht unabhängig verifizieren.
WHO kann Kliniken in Gaza beliefern
Aus humanitärer Sicht gab es zuletzt immerhin eine kleine Erfolgsmeldung. Nach mehreren gescheiterten Versuchen konnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwei Krankenhäuser im Norden des Gazastreifens mit medizinischem Material beliefern. »Der WHO und ihren Partnern ist es gestern nach neun Versuchen in dieser Woche endlich gelungen, die Krankenhäuser Kamal Adwan und Al-Sahaba zu erreichen«, erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Sonntagabend bei X. Außer medizinischen Gütern wurden auch Blutkonserven und Treibstoff geliefert. Mehr Informationen zur katastrophalen humanitären Lage in Gaza finden Sie hier.
Die Belieferung der Kliniken mit den Hilfsgütern, an der auch der palästinensische Rote Halbmond beteiligt gewesen sei, sei »inmitten anhaltender Kampfhandlungen abgeschlossen« worden. Ghebreyesus schilderte, die Fahrer des Hilfskonvois seien einer »demütigenden Sicherheitsuntersuchung« unterzogen und an einem Kontrollpunkt sogar vorübergehend festgenommen worden. Dies sei »inakzeptabel«, urteilte der WHO-Chef.
Die Uno-Organisation kritisiert immer wieder, dass die israelischen Behörden Hilfslieferungen sowie die Evakuierung von Patienten in dem Palästinensergebiet behindern. Am Freitag hatte Ghebreyesus erneut verlangt, eine kontinuierliche Belieferung der Krankenhäuser im Gazastreifen zu ermöglichen.
Der nun erfolgte Hilfseinsatz diente auch der Verlegung von Patienten. Aus dem Kamal-Adwan-Krankenhaus seien 13 Patienten in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza gebracht worden, erklärte die WHO. Weitere sechs Patienten wurden demnach verlegt, die vorher bereits aus dem Al-Awda- in das Kamal-Adwan-Krankenhaus gebracht worden waren. Laut Ghebreyesus werden pro Tag mindestens 50 bis 70 weitere Verletzte in die Kamal-Adwan-Klinik eingeliefert.
jok/dpa/AFP